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Befangen im Vorhof der Hölle

In Südafrika gibt es prozentual mehr Swimming-pools als in den USA, und Sudafrikas Wirtschaft hat nach Japan die höchste Wachstumsrate aller Industriestaaten. Aber in Südafrika stirbt fast die Hälfte aller schwarzen Kinder, bevor sie zehn Jahre alt sind, und in Südafrika knüpft der Henker durchschnittlich jeden vierten Tag einen Menschen auf. Vier Millionen Weiße halten 15 Millionen Schwarze wie in einem Arbeitslager gefangen.
aus DER SPIEGEL 43/1971

Am Kap der Guten Hoffnung liegt das Paradies: In üppigen Wildparks gedeihen Löwe und Elefant. Unter ihren Füßen ruht Gold. Auf sattem Rasen golft der Tourist.

Er sieht eine Insel politischer Stabilität auf dem brodelnden afrikanischen Kontinent, ein Zeugnis für die Überlegenheit europäischer Schaffenskraft gegenüber afrikanischem Schlendrian. »Brechen Sie aus ... Süd-Afrika erwartet den Abenteurer in Ihnen«, fordert die südafrikanische Touristenorganisation Satour in Anzeigenserien.

Rund eine Viertelmillion Besucher folgen alljährlich dem Appell, um, so Anzeigen der »South African Airways«, »paradiesische Wildheit und mitreißende Abenteuer« zu erleben, um »an den sonnenüberfluteten Sandstränden des Ozeans« zu faulenzen, um »Attraktionen in Hülle und Fülle« zu bewundern.

Die Deutschen bewundern die 10 000 Kilometer entfernten Attraktionen Südafrikas besonders lebhaft und von alters her. Sie fühlten mit Ohm Krüger, dem Burenpräsidenten, dessen Armee 1902 den perfiden Briten unterlag. Sie sangen das Lied vom sterbenden Burenkapitän und dessen letztem Flehen, das da lautet: »Es lebe Oranje, Transvaal!«

Ewige Sonne und glänzende Gehälter locken heute alljährlich über 3000 deutsche Einwanderer nach Südafrika. Deutsche Gesangvereine beleben Südafrikas Kulturleben, die Deutschen feiern Karneval und küren ihre Weinkönigin. Die deutsche Sprache wird in vielen Teilen des Kaplandes verstanden.

In einer 18 Seiten dicken Sonderbeilage feierte Springers »Welt« Südafrika unlängst als ein Land, das sich »dem modernistischen Zwang egalitärer Gleichmacherei« widersetze und allen Anfeindungen zum Trotz »blüht. wächst, expandiert«. Südafrika ist, so ein südafrikanischer Reiseprospekt. eines der »Wunder dieser Erde«.

Südafrika ist aber auch, so ein südafrikanischer Priester, der »Vorhof zur Hölle": das Land der Apartheid« von der Völkergemeinschaft konsequent. wenn auch erfolglos gebrandmarkt. Tansanias Nyerere: »Das südafrikanische Regime ist einzigartig böse.« Ein Deutscher, Franz Josef Strauß. weiß es anders. Der Bayer mahnte die Welt, sie möge aus der »gefühlvollen Beurteilung durch deutsche Pensionatsdamen und skandinavische Humanisten« zu einer »realistischeren« Einschätzung Südafrikas zurückfinden.

Eine realistische Einschätzung des Landes zwischen Tafelberg und Krüger-Nationalpark, Drakensbergen und Kalahari-Wüste fällt offenbar schwer. Die Massenmedien der Welt haben -- bis auf die sehr kritischen englischen Zeitungen -- Südafrika als Thema weithin noch nicht entdeckt; ihre Korrespondenten ziehen es meist vor, mit dem Regime zu leben und lieber nicht zu genau hinzusehen.

Dabei würde beispielsweise die weite Hochfläche rings um die südafrikanische Provinzstadt Queenstown schon bei geringer Aufmerksamkeit Atemberaubendes enthüllen. Denn 35 Kilometer südlich von Queenstown. mitten in der menschenabweisenden, steinebedeckten rötlich-braunen Landschaft der östlichen Kap-Provinz liegt Sada. Kein Schild weist von Queenstown aus den Weg. Weiße dürfen nur mit behördlicher Sondergenehmigung dorthin -- denn Sada ist ein Getto für Schwarze.

Kilometerlang. in eintönigen Reihen, ziehen sich ihre Hütten über die rauhe Hochebene. Die metallenen Klosetthäuschen hinter den Behausungen glitzern in der glühenden Mittagssonne. Der scharfe Kap-Wind, der von allen Himmelsrichtungen in das Lager wehen kann. wirbelt Wolken aus feinem Lehmstaub auf. Einige Sada-Bewohner mühen sich, vor ihren Häuschen Mais zu züchten. Doch auf dem harten Boden wachsen die Maisstauden selten höher als einen Meter.

Im Sommer wird es unter den Wellblechdächern unerträglich heiß, im Winter frieren die Menschen von Sada. Denn Holz zum Heizen müssen sie bei weißen Farmern in der Umgebung kaufen -- drei je 30 Zentimeter lange Holzscheite für 25 Pfennig.

Die wenigsten haben das Geld dafür, denn in Sada gibt es kaum Arbeit. Einige der Arbeitsfähigen kamen bei der weißen Lagerverwaltung unter, für rund 80 Mark im Monat.

Sie müssen im Monat von einem Sack Maismehl leben, in Südafrika »Mealiemeal« genannt. Die meisten Kinder von Sada haben dicke Bäuche, wie sie die Welt von Biafra-Bildern kennt: Symptom für die Protein-Mangelkrankheit Kwashiorkor.

Die rund 15 000 Menschen, die heute in Sada leben, kamen nicht freiwillig. Viele Jahre, oft ihr ganzes Leben, hatten sie auf den Farmen der Weißen oder in den Industriezentren der Kap-Provinz gelebt und gearbeitet -- bis eines Tages Lastwagen der Regierung vor ihren Behausungen hielten und sie nach Sada schafften.

Sie wurden deportiert, weil sie in den Fabriken und auf den Farmen der Weißen nicht mehr verwendbar sind, weil die weißen Herren am Kap. so der Behördenausdruck, in ihnen »redundant people«, »überflüssige Menschen« sehen: Alte. Witwen. Kinder. »Südafrika ist für Farbige ein Arbeitslager.«

Das Schicksal derer von Sada ist -- mit Varianten -- das Schicksal von 15 Millionen Gefangenen unter der Verwaltung von knapp vier Millionen weißen Gefängniswärtern. Daß diese Wärter, die oft seit Jahrhunderten ansässigen weißen Siedler, sich auch Afrikaner nennen, daß sie keine andere Wahl zu haben glauben, macht ihre Haltung verständlich und ihr Schicksal fast tragisch, aber das Problem Südafrika nahezu unlösbar.

Dieses Land, fürwahr, ist einmalig, nicht nur dank seiner Sonnenstrände und Elefantenherden. Südafrika nennt ein Herrschaftssystem sein eigen, das seinesgleichen auf der Welt nicht hat, das von der Staatslehre noch nicht erfaßt ist und für das es demzufolge noch keinen Namen gibt. Man könnte diesen Staat als Rassendiktatur bezeichnen oder, besser noch, als Desmoteriokratie -- als Gefängnisstaat.

Wie eine riesige Viehherde -- so halten die weißen Herren am Kap ihre schwarzen Arbeitstiere gefangen. Die Schwarzen erfüllen allerdings eine wichtige Funktion: Industrie-Heloten der Weißen zu sein.

»Südafrika ist für Farbige ein Arbeitslager«, urteilt eine Uno-Analyse. »Die Frage drängt sich auf«, so der Bericht, »ob dieses System tatsächlich weniger unterdrückerisch ist als offene Sklaverei.«

Wer in Südafrika mit schwarzer Haut geboren wird, bleibt sein Leben lang rechtlos. Er muß ziehen, wohin ihn der weiße Mann befiehlt; er muß die Arbeit annehmen, die dieser ihm zuweist, und er darf nicht streiken.

Weiße allein bestimmen den politischen Weg Südafrikas; Weiße allein herrschen in der Wirtschaft wie in der Verwaltung, in der Justiz wie in der Armee. Ihr Staat ist eines der reichsten Länder der Erde. 75 Prozent der Goldproduktion in der westlichen Welt kommt vom Kap. Nach Japan weist die südafrikanische Wirtschaft die höchste Wachstumsrate aller Industriestaaten auf.

Doch davon profitiert nur der weiße Mann: Nach Kaufkraft gemessen, liegen die Afrikaner-Löhne in den Gold- und Diamanten-Bergwerken heute nicht höher als 1911. Die landwirtschaftlichen Einkommen der Schwarzen sind in manchen Gebieten mittlerweile sogar gesunken. Folge: In dem Sonnenparadies am Südzipfel Afrikas sterben 40 Prozent der schwarzen Kinder vor dem zehnten Lebensjahr.

Obwohl die Weißen nur 20 Prozent der südafrikanischen Bevölkerung stellen, kassieren sie 74 Prozent des Volkseinkommens. Während das monatliche Pro-Kopf-Einkommen eines Afrikaners 36 Mark beträgt, entfallen auf jeden Weißen 480 Mark -- 13mal soviel.

Die Ausbeutung der nicht-weißen Mehrheit durch die weiße Minderheit ist gesetzlich legitimiert, vom Staat gewollt: Per Gesetz legten die Weißen fest, daß alle qualifizierten und besser bezahlten Berufstätigkeiten Weißen vorbehalten bleiben. Mindestlöhne sichern den Weißen ihre Privilegien. Anders als der irrationale Rassenfanatismus eines Hitler stellt sich das südafrikanische Apartheid-Regime als eine pragmatisch konzipierte Diktatur dar. »Die Quintessenz des Apartheid-Systems«, so die Uno-Analyse, »ist, daß es den Afrikanern unmöglich gemacht wird, etwas anderes zu sein als billige Arbeitskraft.«

»Unproduktive« Afrikaner werden deportiert.

Das Arbeitslager ist trefflich organisiert:

* Südafrika besteht aus weißen und schwarzen Gebietsteilen. Afrikaner und ihre Familien dürfen sich im weißen Südafrika prinzipiell nur aufhalten, wenn sie dort einer Arbeit nachgehen.

* Afrikaner, die nicht in den Arbeitsprozeß einzugliedern sind, werden in die Afrikaner-Reservate, auch »Heimatgebiete« oder Bantustans, deportiert. Für die 15 Millionen Afrikaner wurden 13,7 Prozent des Landes reserviert die restlichen 86,3 Prozent verbleiben den vier Millionen Weißen. In den Bantustans gibt es kaum Bodenschätze und fast keine Industrie.

Das System erscheint perfekt: »Unproduktive« Afrikaner werden aus den Industriegebieten in die Reservate umgesiedelt; im Arbeitsprozeß verwendbare Afrikaner aus den Reservaten aber müssen Arbeit in den Fabriken der Weißen suchen: Stets steht den weißen Herren Südafrikas eine beliebig manipulierbare Reserve-Armee an Arbeitskräften zur Disposition.

Afrikaner, die im weißen Südafrika einen Job suchen, müssen jede Arbeit annehmen, die ihnen die Behörden zuweisen -- sonst werden sie in die Reservate abgeschoben. Wer seinen Arbeitskontrakt bricht, begeht ein kriminelles, kein zivilrechtliches Delikt: wer streikt. wird mit Gefängnis bis zu drei Jahren oder 4000 Mark Geldbuße bestraft.

Jeder Afrikaner über 16 Jahren, der sich in städtischen Gebieten aufhält, muß stets ein sogenanntes Paßbuch bei sich tragen. Gültig ist dies unter anderem nur, wenn der Arbeitgeber des Afrikaners allmonatlich bescheinigt, daß der Paßinhaber bei ihm beschäftigt ist.

Über eine halbe Million Afrikaner werden jedes Jahr in den Städten Südafrikas arretiert, weil sie bei Razzien ihr Paßbuch nicht vorweisen konnten. Es hilft nichts, den Polizisten nachzuweisen, daß ein gültiges Paßbuch zu Hause im anderen Jackett steckt ohne Paßbuch auf der Straße angetroffen zu werden, ist für einen Afrikaner bereits ein kriminelles Vergehen, das mit hohen Geldstrafen, mindestens 20 Tagen Haft oder mit 70 Tagen Zwangsarbeit auf einer weißen Farm geahndet wird.

An Wochenenden, wenn die Polizei ihre Samstag- und Sonntagabend-Razzien veranstaltet, reichen oft die Polizeiwagen nicht aus, um die zahlreichen Inhaftierten in die Gefängnisse zu transportieren. Am Montag leisten die Richter Rekordarbeit; Könner urteilen in Johannesburg einen Fall in 20 Sekunden ab.

Ein Riesengetto für 700 000 schwarze Afrikaner.

In dreckigen Overalls. in löchrigen Jacketts und abgerissenen Schuhen stehen dann die Paßsünder vor dem gelangweilt-mürrisch dreinblickenden weißen Richter im Barackenbau des Johannesburger »Bantu Commissiotier's Court«. Auf die Frage des Richters: »Bekennen Sie sich schuldig?« murmeln sie leise, kaum hörbar ihr »schuldig«. Ohne erkennbare Gemütsbewegung nehmen die Männer den Schuldspruch hin, resignierend vor der Allmacht des weißen Mannes, vor der Perfektion des Systems.

Nirgends zeigt sich dieses System so unbarmherzig wie in den sogenannten »Townships«, den Vorstadtsiedlungen. in denen die Farbigen leben, die sich auf weißem Territorium aufhalten dürfen. Aus Sicherheitsgründen liegen sie zwischen 10 und 50 Kilometern vor den Städten der Weißen: Langa vor den Toren Kapstadts, Gelvandale an der Peripherie von Port Elizabeth, Catormanor am Rand von Durban -- vor allem aber Soweto 20 Kilometer südwestlich der Industriemetropole Johannesburg.

Soweto, nach den Anfangsbuchstaben von »South Western Townships« benannt, ist die größte Township Südafrikas: Rund 700 000 Afrikaner leben in diesem Schwarzen-Getto. Sie wohnen in kleinen, öden Buden, die sie selbst »Streichholzschachteln« nennen. 8, manchmal 12 bis 14 Menschen hausen auf höchstens 30 Quadratmetern -- die Größe eines normalen Wohnzimmers in den kleineren Bungalows der Weißen. Zwar gibt es Sportplätze und auch einige Kinos, aber nur jedes dritte Soweto-Haus hat elektrischen Strom. Der Henker arbeitet jeden vierten Tag.

Die Afrikaner-Behausungen von Soweto sind Eigentum der Stadt Johannesburg, die sie für rund 25 Mark im Monat vermietet. Wer seine Miete nicht pünktlich zahlt, wird angeklagt -- vor einem Strafgericht. Denn Afrikaner, die mit ihrer Miete in Verzug geraten, begehen ein kriminelles Delikt.

Im Durchschnitt verdient ein Soweto-Arbeiter in den Fabriken Johannesburgs 235 Mark im Monat. Das Existenzminimum für eine fünfköpfige Soweto-Familie aber liegt nach Angaben südafrikanischer Ärzte bei 305 Mark. 68 Prozent der Soweto-Familien leben unter dem Existenzminimum.

Die Trostlosigkeit des Getto-Daseins und der Gegensatz zwischen weißem Wohlstand und schwarzer Armut sind die Ursachen von Verbrechen und Alkoholismus in den Gettos: Südafrika hat die wohl höchste Kriminalität der Welt. Auf 100 000 Südafrikaner kamen 1969 laut Statistik 26 Morde (USA 7). 44 Notzuchtverbrechen (USA 15) und 439 andere Gewaltverbrechen (USA 141).

Im Zentralgefängnis von Pretoria knüpft der Henker fast jeden vierten Tag einen Menschen auf. Mit 80 Hinrichtungen hielt er auch 1970 den Weltrekord.

Opfer wie Täter sind bei 95 Prozent der Gewaltverbrechen Schwarze und Farbige. »Der von der weißen Machtgruppe auferlegte Zwang«, so erläutert der deutsche Soziologe Heribert Adam, »wird zunehmend durch Aggression gegen die eigenen Gruppenangehörigen kompensiert.«

Allein in Soweto ermorden Afrikaner jährlich 750 Afrikaner. Längst hat es die Polizei in Soweto aufgegeben, bei Mordfällen Spuren zu sichern. Die Polizisten begnügen sich zumeist damit. ein Tuch über die Opfer zu werfen. die dann manchmal erst zwölf Stunden später abgeholt werden.

Dieser Wirklichkeit des Township-Lebens versuchen viele Schwarze wenigstens für ein paar Stunden in der Woche zu entfliehen -- mit Hilfe einer Taschenflasche Brandy oder einiger Liter sogenannten Kaffern-Biers.

»Das tragischste Vertriebenen-Elend der heutigen Welt.«

Aus den Zapfhähnen der 20 Biergärten von Soweto läuft allabendlich ein endloser Strom des dicklich-braunen Saftes in die kleinen Plastikeimer, aus denen die Afrikaner das Gebräu trinken. Abends zwischen fünf und sechs, wenn die verdreckten und veralteten Vorortzüge in die Bahnhöfe von Soweto rattern und sich die stets überfüllten Waggons leeren, wird es in den Biergärten lebendig. Viele Arbeiter gehen gar nicht erst in ihre Häuschen, sie steuern direkt auf die Zapfhähne zu.

Stundenlang hocken sie dann vor ihren Plastikeimern voll Kaffern-Bier auf den niedrigen Bänken oder auf dem Erdboden herum, palavern, singen, streiten oder schlagen sich. Mit tiefen Schlucken trinken sie das alkoholarme Getränk, um rechtzeitig vor neun Uhr betrunken zu werden -- denn dann ertönt eine Sirene und signalisiert, daß die Biergärten schließen.

Der frühe Schließungstermin ist amtlich verordnet: »Die meisten müssen doch morgens schon um drei oder vier Uhr aufstehen«, erläutert fürsorglich ein Regierungsbeamter, »und wenn sie nicht früh ins Bett kommen, sind sie am nächsten Tag an ihrem Arbeitsplatz nicht fit.«

Fit zu sein, um in den Fabriken und Minen. in den Bungalows und Restaurants der Weißen zu schuften, ist die Ratio ihres Getto-Lebens, das die meisten Afrikaner nicht freiwillig wählten.

Nicht freiwillig auch gaben die Schwarzen in der Gegend von Babanango im Zululand die Felder auf, die sie seit Jahrhunderten bestellten: 1970 erhielten sie von den Bantu-Behörden plötzlich einen Ausweisungsbefehl. Die Bauern mußten ihre Hütten, ihre Felder und Viehherden aufgeben. Wer nicht wich, dem zerschlugen oder verbrannten weiße Polizisten das Haus.

Heute hausen viele Bauern von Babanango im Lager Mpungamphlope. Hier dürfen sie kein Vieh züchten, haben sie keine Felder mehr, finden sie nicht einmal Fabrikarbeit. Um ihre Familien vor dem Verhungern zu retten. bleibt für die Bauern von Mpungamphlope daher nur ein Ausweg: Sie müssen sich als Arbeiter mit Einjahreskontrakten in den Fabriken von Durban oder Johannesburg, von Port Elizabeth oder Pietermaritzburg verdingen.

Jedes Jahr treibt das Regime rund 100 000 Afrikaner aus den von den Weißen beanspruchten Gebieten in die unterentwickelten und schon jetzt übervölkerten Reservate, die Bantustans. Ihr Vertriebenen-Elend gehört, so der Johannesburger Rechtsanwalt Joel Carlson. »zu dem Tragischsten und Schrecklichsten in der heutigen Welt«.

Mit dem Versprechen, den Bantustans schrittweise die Autonomie zu gewähren, müht sich die südafrikanische Regierung seit über zehn Jahren, die Vertreibung zu rechtfertigen. Doch dieses Versprechen ist nicht mehr als ein Propagandatrick. Als bisher einziger Bantustan erhielt die Transkei 1963 die formelle Autonomie, freilich nur auf dem Papier: Noch immer müssen alle Gesetze, die das Transkei-Parlament verabschiedet, von Pretoria genehmigt werden; wichtige staatliche Bereiche wie Post oder Polizei verbleiben voll in weißer Hand; und in den sechs Ministerien der Transkei-Hauptstadt Umtata sind die schwarzen Minister nur Galionsfiguren, in Wirklichkeit regieren dort die weißen Staatssekretäre.

Für die rund zweieinhalb Millionen Transkei-Bewohner gibt es noch immer nur rund 40 000 gewerbliche Arbeitsplätze. Und selbst in den wenigen Betrieben der Transkei erteilen weiterhin die Weißen das Kommando. Sogar das grundsätzlich nur für Schwarze zugängliche »Transkei Hotel« in Umtata wird von einem weißen Ehepaar geführt.

Afrikaner-Gebiete wie die Transkei wirtschaftlich unabhängig zu machen, das liegt nicht in der Ratio des Apartheid-Systems. Denn abgeschoben in diese trostlosen Freiluftgefängnisse, die Südafrikas Behörden »Heimatgebiete« nennen, werden vor allem jene Afrikaner. die im industriellen Arbeitsprozeß oder auf den weißen Großfarmen nicht mehr verwendbar sind -- im Jargon des südafrikanischen Bantu-Ministeriums: »die Alten, Untauglichen, Witwen. Frauen mit unselbständigen Kindern«, oder auch »Bantus auf europäischen Farmen, die wegen ihres Alters überflüssig« werden. »Alles muß getan werden«, so ein anderer ministerieller Erlaß, »um die Übersiedlung des unproduktiven Bantu ... in die Heimatgebiete zu veranlassen.« Von 90 Gräbern sind 70 Kindergraber.

Es wird in der Tat alles getan, das lästige Menschenmaterial wegzuschaffen. Mit Gewaltandrohung und Gewaltanwendung, mit Versprechungen, wie sie die SS den Juden machte, die in die KZs abtransportiert wurden, bringen die Beamten des Bantu-Ministeriums die Afrikaner dazu, die Regierungslastwagen mit Ziel Sada oder Limehill. Ilingi oder Mnxesha zu besteigen -- Siedlungen. in denen heute Hunderttausende Afrikaner dahinvegetieren. Siedlungen, die auf keiner Touristenkarte verzeichnet sind.

»In Mnxesha werdet ihr Häuser mit Bad und einem Ofen haben, dort gibt es Geschäfte und vieles mehr, versprachen die weißen Beamten Afrikanern, die von der Stadt Middelburg in das Lager Mnxesha umgesiedelt werden sollten. Doch als die Afrikaner in Mnxesha ankamen, mußten sie in kleine Holzhütten mit Wellblechdächern einziehen -- 15 Quadratmeter für sieben bis zehn Personen. Es gab weder Läden noch Arbeitsplätze, weder Schule noch Krankenhaus.

Die Witwe Eliza, etwa 40, lebte in Burgersdorp, wo sie sich und ihre sechs Kinder von Hausarbeit bei Weißen ernährte. Im Dezember 1968 wurde sie nach Mnxesha abgeschoben. Dort fand sie keine Arbeit mehr, die Familie mußte von dem staatlichen Wohlfahrtssatz leben -- sieben Mark für jedes Kind im Monat. Folge: Im Mai 1969 starben zwei ihrer Kinder, zwei weitere, 13 und sechs Jahre alt, erkrankten an Pellagra**; ein anderes liegt mit Unterernährung im Krankenhaus. Wie Eliza. erging es vielen Familien in Mnxesha: Im Mai 1969 hatte der Friedhof des Lagers 90 Gräber. 70 waren Kindergräber.

Rund eineinhalb Millionen solcher »überflüssiger Menschen« wurden im letzten Jahrzehnt in die übervölkerten und unterentwickelten Reservate getrieben. »Productive Labour"« »einsatzfähige Arbeitskraft« holen die Weißen dafür aus den Reservaten in ihre Fabriken.

Laut Regierungspropaganda soll die Umsiedlung gewährleisten, daß die Afrikaner sich in den Heimatgebieten »in Übereinstimmung mit ihrer eigenen Natur entwickeln«, daß sie »ihre eigene Identität bewahren«. Tatsächlich aber bewirkt die Menschenverfrachtung das Gegenteil: Familien werden auseinandergerissen, gewachsene soziale Bindungen gewaltsam zerstört.

Damit dieses System nicht gefährdet wird, die Afrikaner einen Anspruch auf Besserbehandlung gar nicht erst artikulieren können, wird ihr Bildungsniveau planmäßig gedrückt. Für die Ausbildung eines weißen Kindes gibt Südafrikas Regierung jedes Jahr durchschnittlich rund 800 Mark aus, für ein schwarzes Schulkind 80 Mark.

Während weiße Kinder die staatlichen Schulen kostenlos besuchen können, müssen die Schwarzen Schulgeld zahlen: zwischen 88 Mark im Jahr für die unterste Stufe der Grundschule und 330 Mark für die obersten Klassen der Oberschule im Durchschnitt also den Verdienst eines Monats. Dazu kommen noch die Kosten für die Schulkleidung. für Bücher und Examina.

Dennoch stehen Hunderttausende vor Schulanfang tagelang Schlange. um einen Schulplatz für ihr Kind zu ergattern. Gegenwärtig fehlen beispielsweise in Soweto rund 800 Klassenräume. Ein afrikanischer Lehrer muß im Durchschnitt 60 Schulkinder unterrichten, ein weißer Lehrer nur 21 Kinder.

Schwarze Intellektuelle gründeten daher in Soweto die Selbsthilfeorganisation Aseka, die »Vereinigung für die Bildungsförderung des afrikanischen Volkes«. Doch Selbsthilfe ist verboten: Als Soweto-Eltern letztes Jahr Geld zur Erweiterung einer Schule gesammelt hatten, untersagten ihnen die Behörden den Bau zusätzlicher Klassenräume.

Dem schwarzen Stadtrat von Soweto. der nur Empfehlungen an den weißen Stadtrat von Johannesburg aussprechen kann, erging es ähnlich: Die schwarzen Stadtväter schlugen vor, die Mieten oder den Bierpreis in Soweto anzuheben und den Mehrertrag für den Schulbau zu verwenden. Der weiße Stadtrat lehnte ab.

Das hat Methode: Schon vor fas zwei Jahrzehnten warnte Südafrikas späterer Premier Verwoerd, die Afrikaner durch eine gute Schulbildung »die ihnen die grünen Weiden der europäischen Gesellschaft zeigt ... in die Irre zu führen«, oder gar durch Bildung »heim Bantu Erwartungen zu wecken, die nicht im Einklang mit den Möglichkeiten dieses Landes stehen«. »Wir müssen der Boss sein, und die Schwarzen sind die Diener.«

Nur ganz wenigen Afrikanern gelingt es, die Bildungsbarrieren zu überwinden. 1970 waren 4578 schwarze Studenten eingeschrieben -- gegenüber 73 204 weißen Studenten. Und nur ganz selten kann ein Schwarzer im Ausland studieren. Dem Zahnarzt Robert Denalane war es gelungen.

Robert wird von den Afrikanern in Soweto »Der Deutsche« genannt. denn er hat sich sein Wissen als Werkstudent in Heidelberg erworben. 1967, zwei Jahre nach seinem Examen, kam er zurück nach Soweto. Für eine Behandlung berechnet er 1,25 Mark. Er fährt einen Volkswagen und gehört heute zu jener dünnen Schicht Afrikaner, die von den Weißen Kaffir society genannt wird.

Dennoch lebt auch Robert Denalane wie ein Gefangener. »Was soll ich mit meinem Geld anfangen?«, fragt er. »Ich darf in Johannesburg nicht in ein gutes Restaurant gehen; ich darf dort kein Kino. kein Theater, kein Konzert besuchen. Ich darf dies nicht, ich darf jenes nicht.«

Mehr noch als die einfachen Afrika ncr, die sich zumeist fatalistisch dem weißen Superioritäts-Anspruch unterwerfen, leiden schwarze Intellektuelle wie Denalane unter der allgegenwärtigen Diskriminierung. Sie gelangen nur

* Bei der Gesundheitskontrolle.

** Eine Mangelerkrankung, die durch einseitige Ernährung, zum Beispiel mit Mais, entsteht. Die Pellagra verläuft zum Teil tödlich.

durch schmuddelige Seiteneingänge zu den für sie bestimmten Postschaltern und Bahnsteigen. Sie müssen Fahrstuhle mit der Aufschrift »Für Schwarze und Waren« besteigen. Sie dürfen zahlreiche Städte ohne Sondergenehmigung abends ab zehn Uhr nicht mehr betreten. In Bloemfontein verwehren ihnen die Weißen sogar am Tage den Zutritt zum Platz am Hertzog-Denkmal; Hunde dürfen dort jederzeit promenieren.

15 Kilometer lang fahren die Farbigen von Kapstadt sonntags im Süden der Stadt an breiten, meist menschenleeren Stränden vorbei, die den Weißen reserviert sind, bis sie ihr eigenes kurzes, stets überfülltes Stück Strand erreichen. Zum Baden lädt das Meer hier nicht ein: Es ist voller Wasserpflanzen.

»Wir werden wie Untermenschen behandelt, wir werden überall weggestoßen, wir müssen uns für unsere eigene Existenz entschuldigen«, sagt der schwarze Arzt Dr. William Nkomo.

Kein Schwarzer kann durch Anpassung oder Leistung den Untermenschen-Status überwinden. Die südafrikanische Rassendiktatur erscheint daher auch Tansanias Regierungschef Nyerere verwerflicher als alle anderen Diktaturen. Denn, so Nyerere: »Wenn ein Mensch unterdrückt wird wegen seiner Handlungen oder wegen seiner Ansichten. dann kann er, wenn es ihm an Mut fehlt oder wenn es ganz schlimm kommt, anders handeln oder seine Ansichten ändern. Aber kein Mensch kann jemals seine Vorfahren ändern.

Ungestört von lästigen Schwarzen oder Farbigen, kann die weiße Herrenrasse ihr Leben genießen -- ein Leben, das einem deutschen Einwanderer in Kapstadt vorkommt »wie ein Urlaub

* In einer zerschossenen Burenfarm.

ohne Ende«. »Es ist nun mal so«, sagt Dario Gonella, Chef des Fiat-Zweigwerks in Südafrika, »wir müssen der Boß sein, und die Schwarzen sind die Diener.«

»Das wird sich in den nächsten 300 Jahren nicht ändern«, meint Hildegard Lyons, Chefin einer kleinen Weberei bei Umtata. Es war immer so. »Das Volk gestattet keine Gleichheit zwischen Farbigen und Weißen.«

Denn anders als etwa die Portugiesen in ihren Kolonien, verdammten die puritanischen Holländer. die sich vor rund 300 Jahren am Kap niederließen, die Vermischung mit den Einheimischen als »eine Schande für die Niederländer und andere christliche Nationen«. Diesen Christen waren die Schwarzen -- so der Gründer der Kap-Kolonie, Jan van Riebeeck -- »ein rohes, gewissenloses Volk«.

»Als barbarisch, verräterisch und unzuverlässig« sahen die Kap-Buren auch die Zehntausende malaiischer und madagassischer Sklaven an. die sie in den folgenden Jahrzehnten nach Südafrika verschleppten. Dennoch erschienen die Asiaten den Buren höherstehend als die Schwarzen.

Südafrikas Rassenhierarchie« wie sie bis heute fortbesteht, wurde damals gegründet: Den Bodensatz der Gesellschaft bilden die Afrikaner, von den Weißen am Kap ursprünglich »Kaffern«, heute offiziell Bantus genannt. Darüber stehen die Asiaten und die Mischlinge, darüber die Weißen als geborene Herrenrasse.

Anfang des 19. Jahrhunderts verloren die weißen Herren freilich ihre Allmacht -- an andere Weiße: Die Engländer besetzten das strategisch bedeutsame Kap-Gebiet. Verbittert zogen 12 000 Huren zwischen 1835 und 1843 auf ihrem »Großen Treck« ins Innere des Landes.

Dort wollten sie -- anders als die Engländer, die inzwischen die Sklaverei verboten hatten -- »die ordnungsgemäßen Beziehungen zwischen Herr und Diener bestehen lassen« (so Treckführer Retief). In die Verfassung des später gegründeten Burenstaats Transvaal schrieben die Treckburen denn auch sogleich: »Das Volk gestattet keine Gleichheit zwischen Farbigen und den weißen Einwohnern, weder in der Kirche noch im Staat.«

Die unumschränkte Burenherrschaft in den Staaten Oranje und Transvaal währte nur wenige Jahrzehnte. Ende des 19. Jahrhunderts wurden in den beiden Huren-Republiken Diamanten und Gold gefunden -- Grund genug für die Briten. die Huren niederzuwerfen und sich die Herrschaft über ganz Südafrika zu sichern.

Und was die Huren stets hatten verhindern wollen, drohte ihnen in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts: eine allmähliche Assimilation von Schwarz und Weiß. Denn Millionen Afrikaner zogen -- angelockt von den Verdienstmöglichkeiten in den Diamanten- und Goldgruben -- aus ihren Stammesgebieten in die neuen Bergbauzentren, wo sie in das von Engländern beherrschte südafrikanische Wirtschaftsleben integriert wurden.

Zwar gewährte London seiner südafrikanischen Kolonie 1910 die Unabhängigkeit. Doch zunächst fehlte den untereinander zerstrittenen Huren die Macht, der wirtschaftlich bedingten wachsenden Assimilierung wirksam entgegenzutreten.

Das änderte sich 1948, als die Nationale Partei des ultrarechten Hendrik Verwoerd mit Wahlparolen wie »Assimilation ist Selbstmord der Weißen« die gemäßigtere Vereinigte Partei der englisch sprechenden Südafrikaner schlug. Verwoerd und seine Gefolgsleute« während der Nazizeit glühende Hitler-Verehrer, machten sich nun daran, mit dem »rassischen Chaos« aufzuräumen, das frühere südafrikanische Regierungen angeblich geduldet hatten.

Seither werden in Südafrika Polizeistaatsterror und frühkapitalistische Ausbeutung, Massenarmut und Vertriebenen-Elend unter dem Gütesiegel »getrennte, aber gleiche Entwicklung« verdeckt.

»Apartheid"« räumliche Trennung der Rassen, so erläutern die Regierungspropagandisten in Südafrikas Hauptstadt Pretoria« sei »der beste Dienst, den die Weißen den Nicht-Weißen leisten können«, sei »Garant für Stabilität und Fortschritt« am Südzipfel des afrikanischen Kontinents. Die Formel stimmt sogar, wenn man sie auf den Fortschritt der Weißen reduziert.

Den »armen Weißen« früher noch ein soziales Problem am Kap. gibt es heute kaum noch. Südafrikas weiße Minderheit erfreut sich -- nach den USA -- des zweithöchsten Lebensstandards in der Welt. Die Südafrikaner haben prozentual mehr Swimmingpools und reisen öfter ins Ausland als die Amerikaner. An Freizeit hat diese Swimming-pool-Society keinen Mangel: Die Arbeit beginnt selten vor neun, zwischen vier und fünf leeren sich bereits die Büros in den Städten. »Wir betrachten die Bantus als Kinder.«

Daheim erledigen die Maid oder der Boy die Hausarbeit für 70 Mark im Monat. So kann man sich in den freien Stunden im Garten und auf dem Golfplatz, am Beach und beim Barbecue vergnügen. Abends geht's dann zur Dinner-Party oder in ein gutes Restaurant. wo bei Pfeffersteak und einer Flasche Grünberger Stein keiner über das Elend in den Townships und Reservaten spricht.

Denn das Elend der Schwarzen ist in den Augen vieler weißer Südafrikaner gottgewollt: Sie glauben an die zivilisatorische oder biologische Unterlegenheit der Andersfarbigen. »Begriffe wie Freiheit und Menschenwürde«, sagt Dr. Zimmermann vom Bantu-Ministerium in Pretoria, »so was kennen die doch gar nicht in ihrer Sprache.«

»Wir betrachten die Bantus als Kinder«, meint auch Bruno Plathe, weißer Regierungsbeamter in der Transkei-Hauptstadt Umtata, »Sie können sich doch gar keine Vorstellung von der Faulheit dieser Brüder machen. Die stehen den ganzen Tag wie die Galionsfiguren herum und vermehren sich noch wie die Karnickel.«

Gern argumentieren die Weißen. schließlich gehe es den Schwarzen im übrigen Afrika viel schlechter als dem Bantu. Doch der Einwand zieht nicht: Mindestens zehn Länder Schwarzafrikas weisen ein höheres Pro-Kopf-Einkommen auf als die schwarze Bevölkerung Südafrikas, so die Elfenbeinküste, Ghana oder Sambia.

In der Verteidigung ihrer Privilegien sind sich die vier Millionen Weißen heute nahezu einig: Nur 15 Prozent der englischsprachigen Johannesburger, so ergab eine Umfrage, und nur drei Prozent der afrikaanssprachigen wollen den Afrikanern gleiche Rechte wie den Weißen zugestehen.

Opposition gegen den regierungsamtlichen Rassenwahn betreiben nur wenige: mutige Priester der englischen Kirchen, wie Gonville ffrench-Beytagh, der Dekan von Johannesburg, dem jetzt wegen Aufruf zur gewaltsamen Revolution die Todesstrafe droht; ein paar tausend Studenten des englischsprachigen Studentenverbands Nusas; und einige Politiker, wie das einzige Parlamentsmitglied der Progressiven Partei, die Abgeordnete Helen Suzman.

Die Oppositionspolitiker der Vereinigten Partei, die über rund ein Drittel der Parlamentsstimmen in Kapstadt verfügt, lehnen wie die Regierungspartei rassische Gleichberechtigung ab. Sie erregen sich allenfalls über den spießigen Puritanismus des Immoralitätsgesetzes, das gemischtrassige Liebe mit einem halben Jahr Gefängnis belegt, oder über Kuriosa der Rassengesetzgebung, die Japaner und Perser wie Weiße einstuft, Inder und Araber jedoch als Nicht-Weiße.

Und im Verein mit ihren Finanziers von der südafrikanischen Industrie opponieren die Männer um Oppositionschef Sir de Villiers Graaff gegen jene Apartheid-Maßnahmen, die Südafrikas Wirtschaftswachstum gefährden könnten -- vor allem gegen die rigorose Anwendung des Gesetzes, das gehobene Jobs den Weißen reserviert und so zur Folge hat, daß in einigen Branchen Arbeitskräfte fehlen.

»Ich wundere mich, warum die Schwarzen nicht rabiat werden.«

An den ausbeuterischen Löhnen für Afrikaner wollen die Industriebosse jedoch nichts ändern. Denn sie sichern der südafrikanischen Industrie extrem hohe Renditen. So liegen die Gewinne britischer Firmen in Südafrika um fast 50 Prozent höher als die der übrigen britischen Unternehmen im Ausland. Obgleich die US-Investitionen in Südafrika nur 1,2 Prozent der amerikanischen Auslandsinvestitionen ausmachen, bringen sie zwei Prozent der Auslandsgewinne.

Welche Vorzüge Investitionen in Südafrika haben, das hatte der Geschäftsführer des Porzellanfabrikanten Philip Rosenthal, heute SPD-MdB und Parlamentarischer Staatssekretär, 1965 bei der Einweihung eines südafrikanischen Zweigwerks erläutert: »Bei der Firma Rosenthal in Bayern ... verdient ein Arbeiter in zwei Stunden das, was mancher Bantu in einer Woche verdient. Für uns ist das eine sehr große Einsparung.« Nach England und den USA ist die Bundesrepublik Deutschland Südafrikas wichtigster Lieferant.

Als »Paradies für Investoren« ("Industriekurier") schätzt Deutschlands Unternehmerschaft das Land am Kap, aber auch, weil die schwarzen Arbeitskräfte dank umfassender Kontrolle gut kalkulierbar sind. Georg Eckert, bis Ende August Chef der Volkswagen of South Africa: »Das wirkt sich positiv aufs Geschäft aus: Man weiß, man hat seine Arbeitskräftezufuhr und bekommt soundso viel aus bestimmten Gebieten.«

Über 4000 Arbeitskräfte sind bei der südafrikanischen VW-Dependance beschäftigt, darunter 1700 Schwarze und 650 Farbige, die in Schnellkursen für ihre Arbeit am Montageband trainiert werden. Eine Lehrlingsausbildung gewährt das VW-Zweigwerk, wie alle anderen südafrikanischen Firmen, ausschließlich Weißen.

Nur wenige besonders clevere Afrikaner und Mischlinge, etwa der Schlosser Anthony, erlangen die Qualifikation eines VW-Facharbeiters. Anthony gehört zur Betriebsinstandhaltung, und er wird -- wie seine weißen Kollegen -- zur Reparatur und Pflege von Maschinen eingesetzt. Er arbeitet, so versichern deutsche Ingenieure in Uitenhage, genauso gut und zuverlässig wie die weißen Schlosser. Doch wenn er eine Maschine repariert, muß eine weiße Aufsichtsperson dabei sein -- so jedenfalls will es ein Vertrag zwischen VW und der weißen Automobilarbeitergewerkschaft.

Anthony erhält nur ein Drittel dessen, was seine weißen Schlosser-Kollegen einstecken. Und das ist noch relativ günstig, denn im Durchschnitt verdienen Weiße für gleiche Arbeit fünfmal soviel wie Schwarze.

Sollten sich Volkswagen in einer wirtschaftlichen Flaute einmal schlechter verkaufen lassen, ständen Anthony und seine nichtweißen Kollegen als erste auf der Straße. »Wenn es eine wirtschaftliche Rezession gibt«, sagte Arbeitsminister Viljoen 1968, »dann würde die Arbeit, die gegenwärtig von den Nichtweißen verrichtet wird ... wieder an die Weißen übertragen werden.«

VW-Eckert: »Das hat doch alles nichts mit Moral zu tun, das ist doch nur eine Frage des Geschäfts.« Und das Geschäft floriert: 1968 und 1969 schüttete das südafrikanische VW-Werk jeweils 45 Prozent Dividende aus.

So typisch der zur Schau getragene Herrschafts-Pragmatismus des ehemaligen VW-Bosses für die meisten weißen Südafrikaner ist, so sehr plagen sie doch auch Zweifel an der Beständigkeit ihrer Rassen-Diktatur.

»Ich wundere mich, warum die Schwarzen nicht rabiat werden« bekennt der Deutsche Henning van Ribbek, der vor sechs Jahren nach Südafrika einwanderte und heute im Johannisburger Vorort Edenvale eine Großtankstelle und eine Peugeot-Vertretung sein eigen nennt. Van Ribbek lebt in Südafrika nach der Devise: »Heu machen, solange die Sonne scheint« Denn, so sagt er: »Wer weiß, wie lange das hier noch gut geht.«

Daß die Sonne noch lange scheint, dafür sorgen die Armee und der weiße Geheimdienst. Jeder lokale Aufstand in den Townships oder den weit verstreuten Heimatgebieten würde im Maschinengewehrfeuer weißer Soldaten und Polizisten ersticken, würde in einem Blutbad wie dem von Sharpeville am 21. März 1960 enden: 10 000 Afrikaner hatten damals gegen die Paßgesetze demonstriert. Die Polizei hielt in die Menge und erschoß 68 Demonstranten.

Das Massaker von Sharpeville schockierte die weiße Minderheit. Ein schlagkräftiger Geheimdienst, so beschloß das Verwoerd-Regime, sollte fortan ähnliche Revolten verhindern. Südafrikas Regierung gab der Sicherheitspolizei nahezu unbeschränkte Vollmachten.

Heute ist »Boss«, der nach den Anfangsbuchstaben von »Bureau of State Security« benannte Geheimdienst, Südafrikas Großer Bruder: »Boss« kann jeden praktisch beliebig lange inhaftieren.

Mit einem Heer schwarzer und weißer Spitzel besorgen sich die Geheimdienstler ihre Informationen. »Boss« unterhält in jeder schwarzen Schule und in jedem schwarzen Sportverein mindestens einen Agenten, auf jeder Straße in den Townships wohnt ein »Boss« -Kollaborateur, und selbst Tsotsis, die Soweto-Gangster, arbeiten für den Großen Bruder. »Ich traue mich noch nicht einmal, mit meinem Sohn offen zu reden«, sagt ein schwarzer Politiker in East London. Kein Zweifel: »Boss« kann jede schwarze Widerstandsorganisation schon in ihren ersten Anfängen zerstören.

Die beiden großen politischen Organisationen der Afrikaner, der »African National Congress« (ANC) und der »Pan African Congress« (PAC) wurden kurz nach dem Sharpeville-Massaker verboten, ihre führenden Köpfe kaltgestellt: Der ehemalige PAG-Chef Robert Sobukwe wurde erst 1969 aus dem Gefängnis entlassen -- und sogleich unter Hausarrest gestellt. Nelson Mandela. Ex-Präsident des ANC, verbüßt eine lebenslange Haftstrafe auf der Gefangenen-Insel Robben Island. 1968 verhaftete »Boss« auch Mandelas Ehefrau Winnie, die seither -- mit kurzen Unterbrechungen -- im Gefängnis sitzt oder unter Hausarrest steht.

Rund 2000 Schwarze hält das Vorster-Regime heute wegen politischer Straftaten gefangen oder unter Hausarrest. Anti-Terrorismus- und Anti-Kommunismus-Gesetze ermöglichen den Sicherheitspolizisten, vermeintliche Regime-Gegner unbegrenzt zu inhaftieren.

Boss-Agenten beschatten Schwarze und Weiße.

Die Justiz arbeitet im Sinn der Apartheid: Die Afrikaner Joseph Benjamin und Abraham James wurden wegen Vergewaltigung einer weißen Frau zum Tode verurteilt; der weiße Polizist Petrus Johannes Dirksen Volschenk, der eine Afrikanerin vergewaltigte, kam mit sechs Jahren Haft davon, drei zur Bewährung ausgesetzt. In Bredasdorp erhielt ein Afrikaner 200 Mark Geldstrafe, ersatzweise 60 Tage Haft, weil er von einem Baum in der Hauptstraße einen Zweig abgeknickt hatte.

»Boss«-Spezialisten wissen die nötigen Geständnisse zu gewinnen: Häftlinge werden mit Elektroschocks behandelt und zusammengeschlagen oder mit einer Zinktrommel mürbe gemacht. die über ihrem Kopf hängt und ununterbrochen dröhnt. Oder sie müssen Stunden in Hockstellung verbringen. mit Stöcken zwischen Kniekehlen und Armen.

Der Inder Dasignee Francis, wegen angeblicher Kontakte zu einer Widerstandsorganisation verhaftet, berichtet von seinen Erfahrungen bei einer »Boss«-Vernehmung: »Ein Stockhieb brach meine rechte Kinnlade. Elektrische Klammern wurden mir in die Ohren gesteckt und der Strom eingeschaltet. Das war schrecklich. Mein ganzer Körper wurde geschüttelt, und mein Kopf schien voller Vibrationen, meine Zähne klapperten, meine Zunge riß in Fetzen. Die Stromstärke wurde dauernd geändert und die Pausen verschieden lang gehalten. Die ganze Zeit über wurde ich ins Kreuzverhör genommen. Es schien niemals aufzuhören.«

Wer diese Torturen nicht überlebt. der stirbt nach offizieller Angabe, weil er angeblich auf einem Stück Seife ausgerutscht ist -- wie der Häftling Solomon Modipane -, oder weil er im Duschraum stürzte -- wie der Häftling Nicodimus Kgoathe.

Der Kapstädter Moslem-Führer Haron war laut Polizeibericht im Gefängnis die Treppe heruntergefallen und daran gestorben. Doch die ärztliche Untersuchung ergab: Harons Körper hatte an 26 verschiedenen Stellen Blutergüsse.

Der Polit-Häftling James Lenkoe hatte sich nach Behördenangaben mit seinem Ledergürtel in der Zelle erhängt. Die von der Internationalen Juristenkommission veranlaßte Autopsie ergab jedoch, daß Lenkoe an seinem Todestag mit Elektroschocks behandelt worden war.

Die Folterungen an James Lenkoe deckte ein Mann auf, der sich wie kaum ein anderer weißer Südafrikaner in den letzten zehn Jahren für die Schwarzen am Kap eingesetzt hat: Joel Carlson. Rechtsanwalt aus Johannesburg. Er trat in fast allen großen politischen Prozessen als Anwalt von Afrikanern auf. Er verteidigte 1964 Nelson Mandela und unlängst dessen Frau Winnie.

Carlsons bescheidenes Anwaltsbüro in der Johannesburger City wurde zum Zufluchtsort für die Schwarzen -- für Witwen, die nach dem Tod des Ernährers aus Soweto in ein Reservat deportiert, für Frauen, deren Männer wegen Paßvergehens verurteilt wurden. »Die Afrikaner hier sind Flüchtlinge in ihrem eigenen Land«, sagt Carlson, »sie wurden in die Rechtlosigkeit hineingeboren.«

Carlsons Kampf gegen die weißen Unterdrücker machte ihn selbst rechtlos: 1969 nahmen ihm die Behörden den Paß ab. »Boss« -Agenten beschatteten ihn auf Schritt und Tritt. Nur knapp entging er mehreren Attentaten. Im Januar wurde in sein Büro geschossen -- von einem Behördengebäude auf der gegenüberliegenden Straßenseite aus.

Für die Weißen Südafrikas wurde Carlson einer der wenigen Verräter -- für die Schwarzen einer der wenigen Wohltäter. »Wir haben keinen besseren Freund unter den Weißen als ihn«, sagte Anfang des Jahres der schwarze Intellektuelle Thebahali aus Soweto.

Inzwischen können die Schwarzen ihren besten Freund nicht mehr sprechen: Das Vorster-Regime zwang ihn zur Emigration.

Im nächsten Heft

Zwischen dem Senegal und Somalia bestimmen Weiße in Kanzleien und Ministerien, in Banken und Betrieben ein Jahrzehnt nachdem die schwarzafrikanischen Staaten formell unabhängig wurden.

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