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VERBRECHEN / SHARON-TATE-MORD Befehl vom Satan

aus DER SPIEGEL 50/1969

Sie kamen vor Mitternacht. Wie ferngesteuerte Roboter mordeten sie mit einem Revolverknauf, Pistolenschüssen und mit insgesamt 78 Messerstichen.

Die hochschwangere Schauspielerin Sharon Tate, 26, Ehefrau des polnischen Schocker-Regisseurs Roman Polanski, warfen sie zu Boden und auf den Bauch. Dann setzte sich einer der schwarz gekleideten Eindringlinge auf den Rücken der nur mit einem Bikini bekleideten Hausherrin und tötete langsam -- mit 23 symmetrisch angeordneten Messerstichen in die Außenseiten der Unter- und Oberschenkel, in den Rücken und in die Brust.

Dieselben rituellen Stichmuster fanden am 9. August, knapp zwölf Stunden nach der Tat, die von Polanskis Putzfrau Winifred Chapman alarmierten Kriminalpolizisten auch an den Körpern des Prominenten-Friseurs Jay Sebring, 35, des Amateur-Rennfahrers Voyteck Frykowski, 37, und der Kaffeemillionärstochter Abigail Folger, 26.

Nur der am Steuer seines weißen »Ambassador« erschossene Steven Earl Parent, 18, war ohne rituelle Stichwunden geblieben.

Zwei Nächte darauf geisterte wieder der Tod durch Hollywood: Das Ehepaar La Bianca, Kaufhausbesitzer, starb an Stichen von Messern und Cocktailgabeln.

Solcher Satanismus könne nur unter dem Einfluß von Filmen à la Polanskis »Rosemaries Baby« »von pseudo-religiösen, zeitweise geistesgestörten Tätern als Revanche gegen einzelne oder aus Rache an der Gesellschaft« vollzogen worden .sein -- das schrieb drei Wochen nach der Tat der Professor für Psychiatrie der University of Southern California, Friedrich Hacker, 55, in einem Memorandum für die Kriminalpolizei von Los Angeles.

Die setzte Dutzende Beamte auf eine der grausigsten Mordserien Amerikas an. Freunde der toten Sharon Tate, unter ihnen der Komiker Peter Sellers, setzten 100 000 Mark Belohnung für Hinweise auf den Täter aus. Ein halbes Tausend Briefe mit Hinweisen ging bei der Polizei ein. 16 Kripobeamte prüften 460 Aussagen aus der ganzen Welt.

Zwei Privatdetekteien schalteten sich in die Untersuchungen ein. Sharon Tates Vater quittierte seinen Dienst bei der Abwehr, ließ sich einen Bart wachsen und zog als Gammler durch Kalifornien, um die Täter zu finden.

Doch niemand fand die Mörder, die verrieten sich -- eher zufällig -- selbst: Susan Atkins, 21, wegen Diebstahls in Untersuchungshaft, gestand ihrer Zellengenossin die Teilnahme am Massaker im Polanski-Haus, Ciello Drive 150 in Bei Air. Noch mehr: Sie sprach von weiteren Morden, insgesamt 18.

Die Täter waren Mitglieder einer gespenstischen Gammler-Sekte, die, bis zu 63 Häupter stark, durch die wüstesten Gegenden Kaliforniens zog. Führer und Prophet der Familie nach archaischem Vorbild war ein Krimineller, der schwarzbärtige Charles Manson, 35.

Manson ließ sich Jesus, Satan, Gott oder »Hymie« -- Koseform von Hitler -- nennen. Seine Jünger, in der Mehrheit Mädchen, durften nicht wie Hippies tun, was sie wollten, sie mußten widerspruchslos gehorchen.

»Als ich ihn zum erstenmal sah, streichelte er eine Katze, ich weiß nicht, was mich daran faszinierte, er schien so gütig, er war so anziehend. Seine Bewegungen hatten etwas Geheimnisvolles«, schwärmt Sandra Pugh, 25, noch heute von ihrer ersten Begegnung mit dem Gammler-Guru.

1934 als Sohn einer 16jährigen Prostituierten geboren, die Matrosen in Hafenkneipen bestahl, mußte »Charlie« Manson bereits als Achtjähriger der Mutter stehlen helfen.

Von den ersten 25 Jahren seines Lebens verbrachte er 13 in Erziehungsanstalten und Gefängnissen -- wegen Autodiebstahls, Scheckfälschungen und Zuhälterei. Was er lernte, lernte er von Kriminellen. Im Knast übte er seine Singstimme, erlernte Gitarrenspiel und entdeckte den Okkultismus und hypnotische Kräfte bei sich selbst.

Schließlich zog er zu den Hippies von San Francisco und entwickelte einen für die entwurzelten, aber meist friedlichen Außenseiter völlig neuen Kult: Manson predigte Rache gegen Farbige, an der scheinheiligen Gesellschaft und an den Religionen.

Der Rattenfänger von Haight-Ashbury lockte vor allem pubertäre Mädchen an, die in bedingungslosem Wunderglauben an ihrem Propheten hingen. Wenn er sie aus großen braunen Augen anstarrte, taten sie alles, was »Hymie« ihnen unter Einfluß von Drogen wie LSD und unter hypnotischer Beschwörung befahl, sie gewährten ihm das Recht der ersten Nacht und mordeten für ihn -- so wie vor dreieinhalb Jahren biedere Schweizer Bürger auf Befehl des Sekten-Führers Josef Stocker ein 17jähriges Mädchen so lange mit Stockschlägen vom »Teufel Lucifer« befreien wollten, bis es starb.

Die von der Umwelt total isolierten, in ihrer mystischen Traumwelt verfangenen Familienmitglieder befanden sich In permanentem »Befehlsnotstand«, deutete der Psychoanalytiker Hacker das Phänomen.

Im April 1968 hatte Manson seine Meute zur verfallenen Film-Ranch des halbblinden Ex-Cowboys George Spahn, 80, gebracht; hier -- 23 Kilometer entfernt von Sharon Tates Villa -- siedelte sich die Sekte an.

Sie kamen in einem uralten grünweißen Schulbus aus San Francisco, zunächst nur zwölf Frauen und sechs Männer. »Ich hatte Angst vor Streit, ich wußte, sie würden mich verprügeln, wenn ich was sagte, 16 Monate lang wurde ich sie nicht mehr los«, klagt George Spahn.

Im Sommer verzichtete die Familie auf Kleidung -- bis auf ein langes Messer -- und nächtigte draußen. Während der kalten Jahreszeit krochen sie in die windschiefen Hütten. Tagsüber schlief die Großfamilie, nachts veranstalteten sie wilde Motorradrennen, stahlen Lebensmittel und filzten die Abfalltonnen Hollywoods nach brauchbarem Wohlstandsmüll.

Neuzugänge waren meist Mädchen, die wiederum Männer anlocken mußten, mit denen Manson auf Raub ausging.

»Sinnlose und wahllose Brutalität gegen Zufallspassanten dienen einfach der Bekräftigung der Gruppenmoral«, sagt Los Angeles, Gerichtspsychiater Hacker. Führer Manson teilte zudem noch Todeslisten mit ehemaligen Gönnern aus, die auszulöschen waren.

Offenbar hatte der Familienchef zeitweise auch Beziehungen zu Sharon Tate unterhalten. Bei ihm soll sie auch gelernt haben, eine Salatschüssel nicht nur mit Knoblauch, sondern mit Haschisch auszureiben. Als die Freundschaft abbrach, befahl er ihren Tod.

Nach dem Massenmord, an dem sich offenbar drei Mädchen und zwei Männer beteiligt hatten, fürchtete Manson wohl für die Moral seiner Truppe. Deshalb befahl er, sofort darauf die La Biancas zu ermorden. Er kannte das Ehepaar nicht, doch hatte ein neuer »Thunderbird« mit einem Motorboot auf dem Anhänger vor der Bianca-Villa seinen Zorn erregt.

Nach der Tat zeigte das Todeskommando, daß es keineswegs die Nerven verloren hatte: Die Täter duschten im Badezimmer der Biancas und versorgten sich aus dem Kühlschrank der Toten, ehe sie das Haus verließen.

Kurz danach verfrachtete Manson seine Familie in einem anderen Bus. Polizeistreifen waren auf der Spahn-Ranch gewesen. Sie fahndeten nach gestohlenen Autos und hatten Familienangehörige mitgenommen.

240 Kilometer nordöstlich von Los Angeles im Tal des Todes richtete Manson rund um alte Bergwerkstollen ein Wehrdorf ein.

Mitte Oktober rückten auch ins Tal des Todes Polizeitrupps ein. Der Sheriff aus Independence nahm 20 Frauen und Männer wegen Hehlerei fest und acht Kinder in Gewahrsam. Jesus Manson zerrten die Polizisten aus einem Schrank.

»Sie liefen herum wie Tote auf Urlaub«, hatte der unfreiwillige Gastgeber Spahn seine Untermieter geschildert. »Ich hatte tödliche Angst vor ihnen.«

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