Begingen die Deutschen Vertragsbruch?
Die Pariser Zeitung »Le Monde« warf den Deutschen »Ventagsbruch« vor. Und Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Valéry Giscard d'Estaing klagte: »Die Entscheidung der Deutschen für flexible Wechselkurse hat die Wirtschafts- und Währungsunion in Frage gestellt.«
Im Dezember 1969 waren die europäischen Regierungschefs bei ihrem Haager Gipfeltreffen übereingekommen, den europäischen Zoll-Verein zu einer Wirtschafts- und Währungsunion zusammenzuschweißen, in der es am Ende eine einheitliche Valuta und eine einheitliche Konjunkturpolitik geben sollte.
Monatelang berieten die Europäer darüber, in welchen Stufen dieses Ziel am besten zu erreichen sei. Die Franzosen wollten als erstes die Währungsunion verwirklichen. Danach wären Europas Währungen noch enger miteinander verkettet worden als bisher. Darüber hinaus wären die Wechselkurse, die derzeit grundsätzlich noch um 1,5 Prozent nach oben und unten schwanken dürfen, völlig zementiert worden.
Die Deutschen dagegen forderten, die Mitgliedstaaten sollten zunächst ihre Konjunkturpolitik koordinieren. Danach hätten alle europäischen Inflationsraten, Arbeitslosenquoten, Staatsausgaben und Zinssätze auf einen Nenner gebracht werden müssen, bevor die Währungsunion,
Am 8. Mai 1971 in Brüssel
gleichsam als Schlußpunkt der Entwicklung, verwirklicht worden wäre.
Nach langem Ringen schlossen die Europäer im Februar dieses Jahres einen Kompromiß. Danach sollten in der ersten Stufe von 1971 bis 1973
* probeweise die Bandbreiten zwischen den Währungen auf 1,2 Prozent verringert werden;
* die EWG-Minister jährlich dreimal zu Konsultationsgesprächen zusammentreten;
* die Mehrwertsteuersätze angeglichen werden.
In der zweiten Stufe, die auf Schillers Wunsch nur dann beginnen kann, wenn sich die erste Phase bewährt hat, sollten die Bandbreiten noch stärker verringert und ein »Fonds für währungspolitische Zusammenarbeit« gegründet werden. Von 1980 an wollten die EWG-Staaten dann das Endziel eines einheitlichen Wirtschafts- und Währungsgebiets mit einer europäischen Zentralbank und einer einheitlichen Wirtschaftspolitik erreicht haben.
Weil die Bundesrepublik den Mark-Kurs freigab, wird schon der Beginn der ersten Stufe, der für den 15. Juni dieses Jahres geplant war, auf unbestimmte Zeit vertagt. Giscard d'Estaing: »Wir müssen so schnell wie möglich zu festen Paritäten und engeren Bandbreiten zurückkommen, denn das Floating behindert die Gründung der Wirtschafts- und Währungsunion.«