Zur Ausgabe
Artikel 4 / 58

KLEINE PARTEIEN Bei Nacht und Nebel

aus DER SPIEGEL 7/1957

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Will Rasner, Geschäftsführer seiner Fraktion, hat am Mittwoch letzter Woche eine Überraschung erleben müssen, die noch vor kurzem undenkbar gewesen wäre. Bundeskanzler Konrad Adenauer hatte für diesen Mittwochnachmittag die Fraktionsführungen der Koalitionsparteien, CDU/CSU, Deutsche Partei und Freie Volkspartei, zu einer Besprechung gebeten, in der über die Frage beraten werden sollte, was nun zu geschehen habe, nachdem es bei der Fünf-Prozent-Sperrklausel des Bundestagswahlgesetzes bleibt. Weil diese Klausel weder der Deutschen Partei noch der Freien Volkspartei sichere Chancen bietet, wieder in den dritten Bundestag einzuziehen, glaubte Fraktionsgeschäftsführer Will Rasner, er würde diesen beiden Parteien einen Gefallen tun, wenn er ihnen existenzsichernde Wahlabsprachen mit der CDU anbot.

Konrad Adenauer hatte es sich nicht nehmen lassen, an der Sitzung, in der seine Partei ihren Koalitionspartnern dieses Angebot machen wollte, selbst teilzunehmen. Zur grenzenlosen Verblüffung der Christdemokraten zeigten sich die Vertreter der Deutschen Partei von dem generösen CDU -Angebot jedoch keineswegs beeindruckt. So brüsk, wie es möglich war, lehnten sie es ab, sich von der CDU in den dritten Bundestag hineinhelfen zu lassen.

Wenige Tage vor dieser Koalitionsbesprechung in Bonn hatte die Zeitung »Deutsche Stimmen«, das Parteiblatt der DP, in einem Leitartikel ganz ungewohnt getönt: »Entgegen einer der DP durch eine höchste, wenn nicht allerhöchste Persönlichkeit gegebenen Zusage hat sich die führende Bonner Regierungspartei dem Bundestagsantrag der Deutschen Partei zur Wahlgesetzgebung (auf Milderung der Fünfprozentklausel) verschlossen und auf deren Wünsche in einer Weise in der Öffentlichkeit reagiert, die die Grenze der politischen Flegelei durchaus erreichte, wenn nicht gar überschritt...«

Diese ungewohnten Töne aus Heinrich Hellweges Partei haben ihren Grund: Die DP glaubt, endlich der Erfüllung 'eines alten Herzenswunsches nahe zu sein; sie will ihre Wirksamkeit über die niedersächsischen Landesgrenzen ausdehnen, wo bisher die Wurzeln ihrer beschränkten Kraft lagen. Im Januar beschloß die DP die Fusion mit der Freien Volkspartei. Diese liberale Splittergruppe, deren politischer und finanzieller Zusammenbruch mit und ohne Industriegelder nicht mehr aufzuhalten war, sollte der DP Ansätze für ihre Expansionsbestrebungen schaffen.

Solange Heinrich Hellwege nur mit den FVP-Leuten im Gespräch war, störte die CDU das nicht. Ich Gegenteil: Die Christdemokraten waren froh, die FVP-Leute auf so billige Weise los zu werden, und im übrigen meinten sie, Heinrich Hellweges Treue zum Kanzler werde ihn schon vor allen Abwegen bewahren.

Da aber geschah etwas, was die Christdemokraten stutzig machte.

Am 23. Januar, einem Mittwoch, gab der sozialdemokratische Ministerpräsident von Bayern, Dr. Wilhelm Hoegner, in den repräsentativen Räumen der Münchner Schack-Galerie einen Empfang für die bayrische Presse, an dem nicht nur Journalisten, sondern auch zahlreiche Politiker teilnahmen. Am Morgen dieses Tages hatte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe entschieden, die Klage der Bayernpartei gegen die Fünf-Prozent-Klausel des Wahlgesetzes sei zurückzuweisen, und man war einigermaßen gespannt, was wohl der Chef dieser Partei, der bayrische Landwirtschaftsminister Dr. Josef Baumgartner, nun sagen werde. Baumgartner legte während des Empfanges die allerbeste Laune an den Tag. Unbekümmert und mit lauter Stimme erzählte er jedem, der es in der Schack-Galerie wissen wollte, er sei in bester Kampfstimmung. Die CDU solle es ja nicht wagen, sich aufs hohe Roß zu setzen. Jetzt werde er mal die Probleme richtig anpacken. »Ich habe einen Geheimplan.«

»Widernatürliche Ehe«

Welcher Art dieser Baumgartnersche Geheimplan war, das wurde einen Tag später, am 24. Januar, in Bonn offenbar, wo der Präsident des Bundesrats, der Hamburger Bürgermeister Dr. Sieveking, ein Essen für die Länderchefs der Bundesrepublik gab. Bei dieser Gelegenheit kam der bayrische Ministerpräsident Wilhelm Hoegner, der mit der Bayernpartei durch gemeinsame Regierungstätigkeit In München verbunden ist, mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Heinrich Hellwege, dem Chef der Deutschen Partei, ganz zwanglos ins Gespräch über die Misere der Bayernpartei. Der werde, meinte Hoegner, es wohl kaum gelingen, fünf Prozent aller Stimmen im Bundesgebiet zu erringen, wenn nicht jemand Hilfestellung leisten werde.

Die beiden Länder-Politiker kamen in ihrem Gespräch auf die Frage, ob nicht etwa Heinrich Hellweges Deutsche Partei diese Hilfestellung leisten könnte. Der Gedanke sollte, so verabschiedeten sich Hoegner und Hellwege, dem Bayernparteichef Baumgartner über den bayrischen SPD-Vorsitzenden Waldemar von Knoeringen nahegebracht werden. Die menschlichen Beziehungen Knoeringens zu Baumgartner sind besser als die Hoegners, der sich aber besonders gut mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Heinrich Hellwege versteht.

Zwei Tage nach diesem Bonner Gespräch schrieb denn auch schon der »Münchner Merkur«, Baumgartners »Geheimplan« bestehe darin, daß man mit der Deutschen Partei zusammengehen wolle. Als der BP -Chef diese Nachricht erhielt, bekam er einige echte Wutanfälle. Erstens war es ihm nicht recht, daß sein Plan der CSU bekannt geworden war, die nun dagegen taktieren konnte, zweitens hatte er seine eigenen Bayernpartei-Leute vor vollendete Tatsachen stellen wollen. Heinrich Hellweges Deutsche Partei gilt bei den echten Oberbayern als zentralistisch und militaristisch und deshalb in höchstem Maße verdächtig.

Baumgartners Wutanfälle ereigneten sich am Sonnabend, dem 26. Januar. Als zwei Tage später auf dem Flugplatz Hannover-Langenhagen die planmäßige Abendmaschine der Lufthansa aus München aufsetzte, stand der persönliche Referent Heinrich Hellweges am Flugplatz, um Josef Baumgartner abzuholen, der mit dieser Maschine gekommen war. Am nächsten Morgen, dem 29. Januar, um neun Uhr setzten sich Heinrich Hellwege und Josef Baumgartner zusammen. Bis Mittag saßen die beiden Parteiführer beieinander, und wenig später flog Baumgartner wieder nach München zurück.

Heinrich Hellwege informierte sogleich den FVP-Vorsitzenden Viktor-Emanuel Preusker, mit dem er ja ebenfalls in Fusionsverhandlungen stand, von seinem Gespräch mit Baumgartner. Preusker hielt es jedoch für richtig, gegen seinen neuen Parteifreund Hellwege geharnischte Presseerklärungen zu verbreiten. Er verfügte, daß die Fusionsverhandlungen der FVP mit der DP auf der unteren Parteiebene erst einmal gestoppt werden sollten. Dazu veranlaßte ihn allerdings nicht allein der Abscheu gegen die »widernatürliche Ehe« zwischen der Bayernpartei und der Deutschen Partei, maßgebend war auch der Wunsch, seine Stellung zu stärken.

Preusker sollte nämlich ursprünglich Landesvorsitzender der fusionierten FVP -DP in Hessen werden, und die hessischen FVP-Grüppchen hätten es sich schwer vorstellen können, sozusagen Parteigenossen der Bayernpartei zu sein. Jetzt bemüht sich Preusker statt dessen um den Landesvorsitz der DP in Nordrhein-Westfalen, aber diesen Posten hat Hellwege schon dem sogenannten Vizekanzler Franz Blücher versprochen.

Hatten Heinrich Hellweges Gespräche mit der Freien Volkspartei die CDU noch völlig ruhig gelassen, so wurde es nach dem Treffen mit Baumgartner anders, denn es schien sich da eine neue Gruppierung abzuzeichnen, die potent genug war, um trotz der Fünf-Prozent-Klausel mit Sicherheit in den Bundestag zu kommen und sich politisch selbständig zu machen, eine Gruppierung überdies, die unter aktiver Förderung sozialdemokratischer Politiker zustande gekommen war. Je potenter diese Gruppe wurde, desto wahrscheinlicher war es, daß sie sich aus dem Schlepptau der CDU gänzlich zu lösen und mit eigener Kraft durch die politischen Gewässer zu rudern imstande sein könnte.

Konrad Adenauer selber diktierte auf Briefbogen mit dem Kopf »Bundesrepublik Deutschland, Der Bundeskanzler«, ein Schreiben an »Herrn Ministerpräsident Hellwege, Hannover, Landesregierung":

»Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Ich bin im Begriff, nach Berlin abzufliegen und muß mich daher sehr kurz fassen. Nach den Nachrichten, die ich heute vormittag von verschiedenen Seiten im Bundestag bekam, gefährden Sie durch Ihre Verhandlungen mit der Bayernpartei die gesamte Koalition. Ich komme Sonntag abend zurück von Berlin und wäre Ihnen dankbar, wenn ich Montag früh eine ausführliche Darstellung der ganzen Angelegenheit von Ihnen haben würde. Mit freundlichen Grüßen Ihr Adenauer.«

Das Schreiben trug das Datum vom Freitag, dem 1. Februar. Gleichzeitig unterrichtete Konrad Adenauer in zwei Schreiben auch die beiden Minister der Deutschen Partei, Hans-Christoph Seebohm und Hans-Joachim von Merkatz, über seine Auffassung, daß Hellweges Gespräche mit der BP die Koalition stören. Auch der Fraktionsvorsitzende der DP im Bundestag, Professor Brühler, bekam einen solchen Brief. Aber weil Brühler nicht da war, wurde das Schreiben von seinem Stellvertreter geöffnet, dem einarmigen Hauptmann außer Dienst Schneider. Schneider wurde böse und sagte: »Wir lassen uns nicht nötigen. Die DP behält auf jeden Fall ihre Handlungsfreiheit. Wir hängen auch nicht an Ministersesseln. Wenn der Kanzler es wünscht, sind wir bereit, die Konsequenzen zu ziehen.«

Heinrich Hellwege in Hannover dachte zunächst gar nicht daran, den Brief - wie gewünscht - bis Montag zu beantworten. Zunächst wunderte er sich, warum der Kanzler ihn nicht, wie schon des öfteren, telephonisch angerufen hatte, und außerdem hat er, führendes Mitglied der Caux -Bewegung für moralische Aufrüstung, den festen Grundsatz, keine politischen Entscheidungen an Sonntagen zu fällen. Außerdem war auch keine Sekretärin zur Hand.

So kam es, daß Konrad Adenauer erst am Dienstag Heinrich Hellweges Antwort bekam:

»Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Ich muß es sehr bedauern, daß Sie in dieser Form an mich geschrieben haben. Bereits am Freitag habe ich in Aurich der Presse gegenüber erklärt, daß mir die Reaktion der CDU/CSU auf das von Professor Baumgartner in Hannover mit mir geführte Gespräch unverständlich sei. Dies um so mehr, als seit längerer Zeit die CSU in München ständig bemüht sei, in ein Gespräch mit der Bayernpartei über Wahlabsprachen zu gelangen ... Die Frage einer etwaigen Fortsetzung und Vertiefung meines Gesprächs ist wesentlich abhängig von den Entscheidungen des Bundestages, die hinsichtlich der Wahlgesetze in dieser Woche fallen werden. Mit dem Ausdruck meiner vorzüglichen Hochachtung, Ihr sehr ergebener Hellwege.«

Jedoch, die Mehrheit der CDU-Fraktion im Bundestag konnte sich nicht entschließen, diesem Wink Hellweges zu folgen und die Sperrklausel des Wahlgesetzes so zu mildern, daß die DP auch ohne Bayernpartei in den Bundestag hätte kommen können.

Unterdes fragten sich die führenden Köpfe der Deutschen Partei, wer denn wohl den Bundeskanzler zu seinem barschen Schreiben an Heinrich Hellwege, bis dahin den treuesten seiner Treuen, veranlaßt haben könnte. Konrad Adenauer selbst war es, der das allgemeine Rätselraten um diese Frage beendete, und zwar am Mittwoch letzter Woche in jener Koalitionsbesprechung, in der die CDU der DP anbot, sie solle alles ruhen und sich von der Kanzlerpartei in den dritten Bundestag hieven lassen. Bei dieser Besprechung fragte der Kanzler den stellvertretenden DP-Fraktionsvorsitzenden Schneider, warum er, Schneider, den Kanzler eigentlich wegen des Briefes an Hellwege so scharf attackiert habe. Schneider erwiderte, er habe allen Respekt vor dem Kanzler, aber ein derartiges Schreiben sei unmöglich. Da erklärte Konrad Adenauer: »Wat wollen Sie denn, dat war doch der Herr Preusker, der mich dazu jedrängt hat.«

Dieses Kanzlerwort bestärkte jene Bonner Beobachter in ihrer Meinung, die schon im November 1955, als Konrad Adenauer an seinen damaligen Koalitionskollegen Thomas Dehler einen ähnlich ultimativen Brief schrieb, Dehlers Parteifreund Preusker im Hintergrund vermuteten.

Preusker, jetzt Hellweges Parteifreund, stellt indes ganz entschieden in Abrede, daß er den Bundeskanzler zu dem Hellwege-Brief angestiftet habe. Am Donnerstag letzter Woche aßen Heinrich Hellwege und Viktor-Emanuel Preusker im Bonner Presseclub zusammen. Preusker gestand, er sei jetzt wieder um eine Erfahrung mit dem Bundeskanzler reicher geworden.

Heinrich Hellwege ist nun zuversichtlicher denn je, daß er sowohl die Bayernpartei als auch die FVP unter seinen Hut bekommen wird. Für die Bayernpartei ist es die letzte Chance, in Bayern selbst die politische Eigenständigkeit zu wahren. Und den Männern von der Freien Volkspartei bleibt nicht anderes mehr übrig, als sich im Bundesgebiet der Führung Heinrich Hellweges zu unterwerfen, wenn sie ihre politische Karriere - sei es auch in bescheidenstem Rahmen - fortsetzen wollen.

Wie kiebig die Männer um Heinrich Hellwege schon geworden sind, zeigten die »Deutschen Stimmen«, das DP-Parteiblatt. Da hieß es zu der Hartnäckigkeit, mit der die CDU ihrem Koalitionspartner DP verwehrt, im Alleingang in den dritten Bundestag zu kommen: »Die CDU hat in diesem Falle gezeigt - hier einmal in deutlichem Gegensatz zur SPD -, daß ihr letztlich Parteipolitik vor Staatspolitik geht. Vielleicht gibt diese Offenbarung der kommenden Wahlauseinandersetzung einen ganz neuen Akzent.«

BP-Chef Baumgartner

Ganz neue Akzente ... .

DP-Chef Hellwege

... für die Bundestagswahl

FVP-Chef Preusker

Erfahrungen mit dem Kanzler

Zur Ausgabe
Artikel 4 / 58
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren