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Artikel 33 / 80

»BEI SHUM-SHUM SPRACHEN WIR ÜBER FEHLER DER USA«

aus DER SPIEGEL 45/1966

Der Australier Wilfred Burchett verfügt als einziger westlicher Journalist über enge Verbindungen zu den Vietcong in Südvietnam. Der überzeugte Kommunist Burchett lebt in Kambodscha und besucht von dort aus immer wieder die rote Front-Seite in Vietnam. Über seinen letzten Besuch beim politischen Führer der Vietcong berichtet er:

Nguyen Huu Tho, Präsident der

Nationalen Befreiungsfront Vietnams (FLN), reichte mir feingeschnittenen Kohlsalat und delikate Dschungel-Blätter. Wir befanden uns in einer strohgedeckten Hütte mitten im südvietnamesischen Dschungel. Man hatte nur das Unterholz abgeschlagen, so daß Sonnenlicht kaum durchkam.

Ein amerikanisches L-19-Aufklärungsflugzeug brummte über unseren Köpfen und kreiste während der ganzen Mahlzeit irgendwo in der Nähe. Dem Kohl- und Blattsalat folgten gegrillte Fische, die ich morgens selbst geangelt hatte. Den Fischen folgte ein Dschungelvogel, der nachts in die Falle gegangen war. Als Hauptgang wurde Schweinebraten von einem Wildschwein serviert, das am Tage zuvor erlegt worden war. An Getränken gab es den starken Reisschnaps »shum-shum« und »La Rue«-Bier aus Saigon.

Das offizielle Willkommensmahl des obersten zivilen Vietcong-Führers galt mir. Es war seit zehn Monaten mein erstes Treffen mit Präsident Tho. Für Tho war es zugleich ein Wiedersehen mit seinem 24jährigen Sohn Nguyen Huu Chau, den er über ein Jahr nicht mehr gesehen hatte. Chau war mein Reisebegleiter und Dolmetscher gewesen.

Nguyen Huu Tho, der Hemd und Hosen aus khakifarbenem Gabardine trug, sah prächtig aus. Er war fülliger geworden, seit ich ihn vor fast drei Jahren in einem anderen Dschungelquartier zum erstenmal gesehen hatte. Offensichtlich hatte er sich gut an das Leben und Kämpfen im Dschungel gewöhnt.

In Begleitung des Präsidenten befanden sich zwei hohe Stabsoffiziere aus dem Hauptquartier der Nationalen Befreiungsarmee, Kien Cuong und Truong Ky (das sind ihre Kriegsnamen: Kien Cuong heißt »Ausdauer« und Truong Ky »langer Krieg"). Als der Kaffee gereicht wurde, zeigten uns die beiden eine Lageskizze mit den großen roten Farbklecksen zur Kennzeichnung der befreiten Gebiete. Gelb markierte das Kampfgebiet, grün waren die von den Amerikanern kontrollierten Regionen.

Das Grün war seit meinem letzten Besuch weiter zusammengeschrumpft; einige damals noch gelbe Gebiete, besonders im Zentralen Hochland und an der Küste, hatten inzwischen rote Farbe angenommen; Gelb hatte sich weiter in den vordem einwandfrei grünen Gebieten ausgebreitet.

Meinen letzten Besuch hatte ich Ende November 1965 gemacht, gerade zu dem Zeitpunkt, als einige Scharmützel die amerikanische Trockenzeit-Offensive einleiteten, die grob gerechnet für den Zeitraum von Dezember 1965 bis Juni 1966 angesetzt war.

»Vergessen Sie nicht«, sagte Präsident Tho, »daß die Amerikaner damals in den Krieg eingriffen, weil die Saigoner Marionettenarmee vollständig zusammenzubrechen drohte. Wir hatten den von den Amerikanern geprägten Begriff des 'Spezial-Krieges' ad absurdum geführt. Für diesen Krieg stellte Washington eine halbe Million Saigon-Soldaten ins Feld, die es durch seine 'Berater' strategisch und taktisch kontrollierte.

»Als die Amerikaner einmarschierten, um den Krieg mit ihren eigenen Truppen zu führen, standen unsere Leute dort, wo wir sie haben wollten. Wir hielten alle strategisch wichtigen Punkte besetzt, sie mußten einmarschieren und standen unseren sicher ausgebauten Positionen gegenüber. Es ist ihnen bisher noch nicht gelungen, uns aus einer einzigen dieser Positionen zu verdrängen. Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als anzufangen, nach unseren Bedingungen Krieg zu führen.«

Thos Gehilfe, Kien Cuong, ein zäher, bedächtiger Mann Ende Dreißig, hatte sich zunächst als Führer von Guerillatruppen im Mekong-Delta hervorgetan und später die Praxis auf dem Schlachtfeld gegen Kurse über militärisch-politische Theorie in einem Klassenzimmer im Dschungel eingetauscht. Cuong sagte: »Es war uns vorher nicht hundertprozentig klar, was die erste amerikanische strategische Offensive bringen würde. Aber es war für uns viel leichter, ihre Offensive zurückzuschlagen, als wir vorher angenommen hatten. Sie kamen nirgends weiter.«

Präsident Tho lachte: »Als die Amerikaner prahlten, sie würden unsere Monsun-Offensive vom letzten Jahr zum Scheitern bringen, hatten wir eine solche Offensive gar nicht geplant. Sie war ihre Erfindung.«

Truong Ky, früher Geschichtslehrer in Saigon, etwas jünger als Cuong, sagte: »Die Stärke der Amerikaner liegt in ihrer Luftwaffe, ihrer Artillerie und Panzerwaffe - ihre Schwäche bei der Infanterie. Bei der Art der Kriegführung, die wir ihnen aufzwingen, können sie ihre Überlegenheit in keiner entscheidenden Phase auf dem Kampffeld geltend machen. Im allgemeinen bestimmen wir aufgrund unserer überlegenen strategischen Positionen Ort und Art der entscheidenden Kampfhandlungen. Bei jedem großen Gefecht sind wir es, die den Zeitpunkt der Auseinandersetzung bestimmen.«

»Da wir die besten Stellungen bezogen haben«, fuhr er fort, sind selbst die scheinbar von amerikanischer Seite ausgehenden Initiativen und Offensiven tatsächlich Defensiven, Gegenoffensiven. Sie versuchen, die Sicherheitszonen um ihre Stützpunkte miteinander zu verbinden. Aber selbst da ist die amerikanische Initiative nur scheinbar, tatsächlich liegt die Entscheidung bei uns. Wenn es uns nicht paßt, vermeiden wir eine Berührung mit dem Feind, wir entscheiden, wann und wo wir die Amerikaner schlagen wollen.

»Deshalb wurden sie auch während der Trockenzeit-Offensive trotz ihrer Stärke von 250 000 Soldaten, trotz gleichzeitig - in weit auseinander liegenden Gebieten - gestarteter Offensiven, die sich über Tage und sogar Wochen hinzogen, ohne Ausnahme wieder zurückgeschlagen; im wesentlichen sogar, ohne daß wir unsere regulären Truppen einzusetzen brauchten.«

Präsident Tho zeigte auf die Karte und erklärte weiter, wieso die Amerikaner trotz des Einsatzes von einer Viertelmillion Soldaten nicht in der Lage waren, auf einem bestimmten Gebiet mobile Streitkräfte in der Stärke zusammenzuziehen, wie sie für die Art der Operation notwendig gewesen wäre Grund: Es fehlt jede reguläre Front.

»Bei jedem Gefecht boten die Amerikaner zu wenig Truppen auf«, sagte Kien Cuong. »Sie müssen einen großen Teil ihrer Soldaten in ihren weithin verstreuten Stützpunkten zurücklassen, um diese gegen unsere Angriffe verteidigen zu können. Trotzdem mußten sie feststellen, daß wir, so stark sie ihre Stützpunkte auch bewachten, doch eindringen und ihnen schwere Schläge versetzen konnten.«

Truong Kys Augen funkelten hinter seinen starken Augengläsern, als die Diskussion sein Lieblingsthema, militärische Theorie, berührte.

Er sagte: »Es ist ein Grundsatz jeden Krieges, daß man sich ein Hinterland sichern muß, um erfolgreiche Operationen durchführen zu können. Das Hinterland der Amerikaner ist aber überall unsicher. Abgesehen vom Meer, haben sie gar kein sicheres Hinterland. Normalerweise sichert eine Armee, bevor sie weiter vormarschiert, ihr Hinterland. Sie macht sich dessen Menschen und dessen materielle Reserven zunutze, um alle Streitkräfte mobilisieren und in einer einzigen Front vormarschieren zu können. Das Hinterland aber ist in unseren Händen. Der Feind ist in einigen Dutzend isolierten Basen und Garnisonen verstreut.

»Was des Feindes Hinterland sein sollte, ist unsere Front; wir schlagen ihn an seiner Front, in seinen Stützpunkten, wohingegen der Feind trotz seiner Stärke bisher nicht in unsere Stützpunkte vordringen konnte. Unsere Streitkräfte sind jetzt erheblich stärker als bei Beginn der Offensive.«

»Eine der größten Schwächen der Amerikaner«, fuhr Truong Ky fort, »ist ihre Subjektivität. Sie lassen sich in ihrer Strategie und Taktik immer vom Wunschdenken leiten. Keines der Ziele, das sie sich seit dem Einsatz ihrer eigenen Truppen gesteckt haben, konnten sie erreichen. Zunächst planten sie, die in der Garnison diensttuenden Saigoner Truppen durch ihre eigenen zu ersetzen, damit uns die Saigoner Truppen angreifen konnten.

»Dieser Plan schlug infolge der niedrigen Moral und der geringen Kampfkraft der Saigoner Soldaten fehl. Dann entschlossen sie sich zu gemeinsamen Offensiven mit den Marionettentruppen. Auch das schlug fehl wegen der schlechten Koordination. Jetzt müssen die US -Streitkräfte immer häufiger allein marschieren und die Saigoner Truppen für die Befriedung zurücklassen. Inzwischen ist es aber schon soweit, daß die Amerikaner auch die Befriedung übernehmen müssen.

»Auf der einen Seite sind sie gezwungen, ihre Streitkräfte zu konzentrieren, auf der anderen Seite sind sie aber auch gezwungen, ihre Truppen zu verstreuen, da unsere überall verstreut sind.

»Auf der einen Seite wollen sie Offensiven starten, gleichzeitig aber auch ihre politischen Ziele der 'Befriedung' erreichen. Ihr strategisches Ziel ist es, uns zu vernichten. Sie schaffen es aber nie, uns dann zum Kampf zu zwingen, wenn sie es wollen, unter Bedingungen, die es ihnen ermöglichen, die Überlegenheit ihrer Luftwaffe, ihrer Artillerie und ihrer Panzerwaffe auszunutzen.

»Schuld daran ist ihr subjektives Denken. Sie haben es noch nicht gelernt, unsere Stärke richtig einzuschätzen - könnten sie das, müßten sie sich wohl eingestehen, daß sie besser bald den Heimweg anträten.«

All das zeigte mir, daß die FLN in einer außerordentlich starken Position ist. Dennoch beschäftigte mich die Frage, ob Präsident Tho und Truong Ky die Lage nicht vielleicht doch zu optimistisch sahen. Bevor ich eine Zeile niederschrieb, studierte ich alles, was ich in den bestinformierten amerikanischen und westlichen Zeitungen, die ihre Korrespondenten in Saigon haben, über die Entwicklung des Kriegs finden konnte.

Dabei stieß ich auf so interessante Stellen wie diese im amerikanischen Magazin »U. S. News & World Report« vom 22. August: »Der Krieg selbst verläuft schlecht. Die begrenzten Bombardements haben die Kommunisten nicht daran gehindert, neue Truppen aufzustellen. Die kommunistischen Streitkräfte wurden eher stärker als schwächer.

»Die Verwirklichung der strategischen Ziele im Erdkampf, die man sich vor einigen Monaten gesetzt hat, ist in weitere Ferne gerückt. Und: Es wird immer mehr ein amerikanischer Krieg ...

»Man braucht immer mehr Menschenmaterial, zuerst glaubte man mit 300 000 Mann auszukommen, dann mit 400 000; später waren es 500 000, und jetzt spricht man bereits von 750 000; um jedoch wirklich siegen zu können, glaubt man im Pentagon eine Million Amerikaner zu benötigen.

Diese Zeilen aus einer amerikanischen Zeitschrift bestätigen mir, daß die Analysen von Präsident Tho und seinen Militärexperten den Tatsachen entsprechen. Jede ihrer Behauptungen suchte ich aus informierten Berichten der konservativsten westlichen Zeitungen zu belegen. Und ich war erstaunt, in welchem Ausmaß ich Bestätigung fand.

Autor Burchett, Vietcong-Partisanen in Südvietnam: Rot und Gelb überwuchern Grün

Vietcong-Führer Huu Tho

»Das Hinterland des Feindes ...

... ist unsere Front": Vietcong-Partisanen beim Bau von Fallen

Wilfred Burchett
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