OSTHANDEL / CHINA Beim Landgang
Für sieben Bundesbürger endet die Welt seit dem vorigen Sommer an der Chinesischen Mauer.
Die Monteure aus Frankfurt, einer von ihnen mit Frau und zwei Kindern; sind in ein Pekinger Hotel eingewiesen und warten auf ihre Ausreisepapiere. Sie dürfen sich zwischen den Tempeln in den Westbergen und der Chinesischen Mauer bewegen, aber das Land nicht verlassen. Begründung seit acht Monaten: Es seien noch »Zollformalitäten« zu erledigen.
Insgesamt wird gegenwärtig einem guten Dutzend deutscher Fachleute von Maos Behörden die Rückreise in die Bundesrepublik verweigert. Bei einem von ihnen verliert sich seit anderthalb Jahren jede Spur in der Provinzhauptstadt Lantschou. Von zehn Monteuren aus Düsseldorf, deren Rückkehr nach beendeter Arbeit erwartet wurde, liegt seit Tagen keine Nachricht vor. Und einer der 25 SPIEGEL-Abonnenten in China, der Sprachlehrer Kurt Bewersdorff, steht trotz gültigen Ausreisevisums seit Ende März unter Hausarrest in Schanghai.
Der China-Handel lockt zwar Deutschlands Unternehmer (Gesamtexport 1968: 695 Millionen Mark), aber ihre Vertreter im roten Riesenreich tragen ein schwer kalkulierbares Risiko: die Empfindlichkeiten der Chinesen zu verletzen und unter vagen Beschuldigungen festgehalten zu werden.
Einschreibebriefe von Angehörigen an Mao und Ministerpräsident Tschou En-lai bleiben ohne Antwort, private Anfragen bei chinesischen Botschaften und Gesandtschaften sind zwecklos. Nur auf Umwegen dringt nach Deutschland, was den Sistierten jeweils vorgeworfen wird: Devisenvergehen, unerlaubtes Photographieren, Postschmuggel, Nachrichtensammeln, Beleidigung des Vorsitzenden Mao. Das Bonner Auswärtige Amt, dessen Chef Willy Brandt seit langem meint, der deutsche China-Handel müsse nicht auf Dauer »ohne Formalisierung« bleiben, ist ohne die Aufnahme diplomatischer Beziehungen machtlos. Erst wenn ein deutscher Staatsbürger verurteilt worden ist, kann das AA über das Rote Kreuz helfen. In allen anderen Fällen beschränkt sich das Ministerium auf den Rat an die Firmen, sich selbst zu helfen.
Brandts Ministerialbeamte argwöhnen zudem, die deutschen Firmen hätten ihre Experten vor der Ausreise nach China nicht hinreichend instruiert, denn, so ein AA-Beamter: »In keinem kommunistischen Land kann man sich so sicher fühlen wie in China, wenn man sich vertragskonform verhält. Aber das hören die Herren der Firmen natürlich nicht so gern.«
Manche Firmen bestreiten das nicht. Ein Frankfurter Abteilungsleiter: »Natürlich sagt da schon einmal ein Monteur auf der Baustelle: 'Ihr Schweine, putzt euch mal die Nase'. Das empfinden die schon als Beleidigung von Angehörigen eines sozialistischen Staates und als Provokation Maos.«
Ähnlich empfindlich reagieren die Chinesen auf andere deutsche Gepflogenheiten, beispielsweise das Photographieren. Als auf dem Höhepunkt der Kulturrevolution deutsche Monteure einen Demonstrationszug bei Lantschou für das Familienalbum festhalten wollten, wurden sie von Hunderten wütender Chinesen bis vor das Hotel verfolgt.
Hinter den chinesischen Anschuldigungen vermuten deutsche China-Händler das Bestreben, Planrückstände zu kaschieren. Der Geschäftsführer vom Arbeitskreis China des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Rolf Audouard: »Die staatlichen Einkaufsgesellschaften, mit denen die deutschen Firmen die Verträge schlossen, haben die Kontrolle an die lokalen Brigaden verloren.«
Wer einmal sitzt, kommt nur schwer wieder frei. Zu den wenigen Rückkehrern aus chinesischem Gewahrsam zählt der Hanauer Montageingenieur Peter Deckart, der am 15. September 1967 unter Hausarrest gestellt worden war, nachdem er in einem den Chinesen in die Hände gefallenen Brief erwähnt hatte, in der Kansu-Provinz entstehe eine Atomindustrie.
Deckart, der für die britische Firma Vickers-Zimmer, mit Sitz in London und Frankfurt, Produktionsanlagen für Kunststoffe in Lantschou einrichten half, hatte seine Vermutungen aus deutschen Zeitungen, die ihm in Lantschou zugänglich waren.
Erst nach einem halben Jahr zogen die bewaffneten Wachen vor seinem Hotelzimmer ab. Ein Gericht hatte ihn -- nach einem Geständnis -- in Abwesenheit glimpflich verurteilt: Er mußte die Mao-Bibel studieren und dann das Land verlassen.
Auf freien Fuß kam auch der Maschinenassistent Siegfried Föllmer von dem Hamburger Frachter »Paul Rickmers«, der beim ersten Landgang am 18. Oktober vorigen Jahres in Tientsin wegen Beleidigung der Republik und ihres Vorsitzenden Mao festgenommen worden war.
Erst als sich Reeder Claus Rickmers persönlich im Pekinger Verkehrsministerium entschuldigt hatte, wurde Föllmer am 6. März dieses Jahres nach Hongkong abgeschoben.
Bis 1950, so erinnern sich China-Kenner, habe sich das Regime gelegentlich seine Gefangenen »abkaufen« lassen. Heute sind die Chinesen an Lösegeldern nicht interessiert. Deutsche Firmen-Sachbearbeiter vermuten: »Die Chinesen wollen nur recht be-
* Mit dem Vorsitzenden des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft, Otto Wolff von Amerongen, an der Chinesischen Mauer.
halten. Mit Geld ist da nichts zu machen.«
Aus Furcht vor weiteren Repressalien behandeln die betroffenen Unternehmen das Mißgeschick ihrer Leute als geheime Kommandosache.
Gleichwohl erwartet die Privatindustrie ein bißchen mehr Behörden-Hilfe. Rolf Audouard: »Natürlich sind ihnen die Hände gebunden. Aber manchmal hat man das Gefühl, die machen es sich ein bißchen leicht.«