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SDI Beinbruch mit Kukident

Wirtschaftsminister Bangemann verhandelt mit den USA über die Weltraumrüstung - aber möglichst allgemein. *
aus DER SPIEGEL 3/1986

Ein letztes Mal gingen am vorigen Donnerstagnachmittag hohe Bonner Beamte das Konzept durch, mit dem Wirtschaftsminister Martin Bangemann zwei Tage später zu Verhandlungen über das Weltraumrüstungsprogramm SDI und den Technologieaustausch zwischen Amerikanern und Deutschen nach Washington fahren wollte. Die Arbeit war fast getan, nur noch ein paar redaktionelle Änderungen des Sechs-Seiten-Papiers wurden besprochen.

Da meldete sich im Sitzungssaal des Wirtschaftsministeriums der Abgesandte des Kanzlers noch einmal zu Wort. Kohl-Berater Horst Teltschik schlug vor, man möge doch dem britischen Vorbild folgen und die Bangemann-Mission zur Geheimsache erklären.

Margaret Thatcher hat im Dezember einen Vertrag mit den USA über die Beteiligung britischer Firmen am SDI-Forschungsprogramm unterschrieben, dessen Details geheimgehalten werden.

Bangemanns Vertreter wehrten den Wunsch des Kanzler-Mannes ab. In

Washington, so lautet ihr Konzept, soll »eine weitere Verbesserung der Rahmenbedingungen für den wechselseitigen Transfer wissenschaftlicher Forschungsergebnisse und technologischer Erkenntnisse« vereinbart werden; ganz allgemein und allenfalls mit dem Nebeneffekt, daß »auch« die Position jener Firmen verbessert werde, die sich an SDI beteiligen.

Solch weite Vereinbarung aber jenseits des geheimträchtigen SDI-Bereichs eignet sich per Definition nicht zur amtlichen Geheimhaltung.

Teltschik nahm es hin. Das Positionspapier wurde verabschiedet und noch am Wochenende an das amerikanische Außenministerium gesandt, als Vorabinformation für jene US-Politiker, mit denen Bangemann zusammentreffen möchte.

Und so scheiterte der vorläufig letzte Versuch des Kanzleramts die Bangemann-Mission möglichst eng mit der deutschen Beteiligung am SDI-Programm zu verknüpfen. Dabei hatten die Christdemokraten Mitte Dezember im Kabinett der FDP nachgegeben und zugestimmt, daß es eine eigene Vereinbarung mit den USA nur über SDI nicht geben werde.

Für CSU-Chef Franz Josef Strauß ist sogar sicher, daß der freidemokratische Unterhändler, ganz im Sinne von SDI-Gegner Außenminister Hans-Dietrich Genscher, alles daransetzen wird, möglichst wenig über SDI und möglichst viel über Technologietransfer zu reden. In der Kreuther Klausur der CSU-Landesgruppe ging Strauß am letzten Freitag auf seine Bonner Minister los, die dem Kabinettsbeschluß im Dezember zugestimmt hatten. Wenn das noch einmal passiert«, schnaubte er Innenminister Friedrich Zimmermann an, »werde ich öffentlich Krach machen.«

Der Gescholtene versuchte sich zu entschuldigen: Er und seine Kollegen seien von Kohl in die Irre geführt worden. Erst am Abend vor der Kabinettssitzung habe sich der Kanzler mit Genscher auf den Beschluß geeinigt; vorher sei den CSU-Ministern ein ganz anderes Papier gezeigt worden.

»Harmonieschmuserei zwischen Kohl und Genscher«, tobte Strauß. Wütend sagte er den kleinlauten Bonner CSU-Gefolgsleuten schlimme Folgen des »Krüppelbeschlusses«, dieses »Brausepulverpapiers« (Strauß) des Kabinetts, voraus. Das sei »ein Beinbruch, den man mit Kukident nicht kitten kann«. Und sowieso: Daß Bangemann die Verhandlungen führe, sei »nicht das Richtige«.

Die Chefs der beiden anderen Koalitionspartner, Kohl und Bangemann, sehen das anders. Die Wunschliste des Wirtschaftsministers für seine US-Gespräche beginnt mit dem Textvorschlag, daß »beide Regierungen sich auf Leitlinien für die industrielle und technologische Zusammenarbeit« verständigen, auf deren Grundlage, »soweit erforderlich, auch Einzelvereinbarungen für spezifische Projekte auch im Bereich des SDI-Forschungsprogramms« abgeschlossen werden könnten.

In sechs Punkten wünscht Bangemann Entgegenkommen der Amerikaner. So soll Washington künftig bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen nicht mehr amerikanische Firmen bevorzugen, auch nicht bei Orders in sicherheitsrelevanten Bereichen.

Die Preis- und Kostenprüfung bei Staatsaufträgen soll grundsätzlich jenes Land vornehmen, »in dem der Auftragnehmer seinen Sitz hat«. Die Rechte an Ergebnissen der Projektforschung, außer einem durch den Auftrag begrenzten Nutzungsrecht, sollen beim Urheber bleiben. Bei kooperativer Forschung verspricht die betreffende Regierung, die weitere Verwendung der Ergebnisse »wohlwollend« zu ermöglichen.

Auch der Geheimschutz soll deutsche Firmen in Zukunft nicht mehr zwicken. Wird ein Geschäft im nachhinein und einseitig auf der Geheimschutzskala höher eingeschätzt - und damit die Marktchance eingeengt -, dann soll dem Unternehmen eine »möglichst pauschalierte Entschädigung« zustehen.

Außerdem wünschen die Deutschen »eine berechenbare und transparente Handhabung« der Exportkontrollbestimmungen, eine Forderung, auf die Washington kaum eingehen kann: Erst im vorigen Jahr hat Ronald Reagan sich sogar das Recht geben lassen, in laufende Verträge einzugreifen, wenn strategische Interessen im Spiel sind.

Ganz zum Schluß unter Punkt sieben der Liste kommt Bangemann auf SDI zu sprechen: Deutschen Unternehmen soll garantiert werden, sie erhielten über den einzelnen Auftrag hinaus auch Einblick in das Gesamtprojekt.

Liefert eine deutsche Firma etwa eine spezielle Linse für einen Laser, dann soll sie »möglichst umfassende Informationen über die Programmarchitektur und die Schnittstellen zu anderen Teilaufgaben bekommen": also auch über den Laser selbst und seinen Einsatz.

Eine speziell einzurichtende Kontaktstelle soll den »Transfer aller SDI-Informationen« besorgen, ein gemeinsamer Ausschuß sich um die Regeln für den gesamten Technologietransfer kümmern.

Bangemanns »Punktation«, wie er sein Verhandlungspapier nannte, brachte vorige Woche in Bonn den amerikanischen Botschafter Richard Burt in Rage: »Hätten wir das alles im voraus gewußt, wir hätten den deutschen Firmen nie ein Angebot zur Zusammenarbeit gemacht.«

Wütend ging er auf den »bösen Geist von SDI« (Burt), Hans-Dietrich Genscher, los. Der Botschafter über den Außenminister: »A slippery man.«

Die barsche Kritik übertragen manche Christdemokraten - etwa der Fraktionschef Alfred Dregger- auch auf den FDP-Unterhändler Bangemann.

Als in der CDU/CSU der Verdacht aufkam, Bangemann wolle eine SDI-Vereinbarung durch möglichst lange, möglichst komplizierte und möglichst umfangreiche Verhandlungen verhindern, erbat sich der Kanzler eine Fristenlösung.

Bangemann versprach, er werde so flott wie möglich vorgehen und den Technologievertrag möglichst bis zum Frühjahr unter Dach und Fach bringen. SDI wäre dann, so wünscht sich Helmut Kohl, aus dem Wahlkampf.

Bis März oder April ist das umfangreiche Vertragswerk aber nicht zu vollenden. Allenfalls eine kleine, unverbindliche Lösung in Form einer allgemeinen Willenserklärung ist nach dem Urteil von Fachbeamten in so kurzer Zeit zu erreichen.

Dem FDP Generalsekretär ist beides recht. Helmut Haussmann: »Entweder es kommt was schnelles Kleines, das ist nicht so schlimm; oder es kommt was langsames Großes, auch gut.«

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