Kanzler-Reisen Beine vertreten
Bonns zweiter und vierter Kanzler haben eine gemeinsame Neigung: Sie reisen lieber mit der Bundesbahn.
Während Konrad Adenauer bei seinen Wahlkampf-Ausflügen in die Provinz den Mercedes 300 mit Blaulicht und Eskorte bevorzugte und Kurt Georg Kiesinger für sich den Hubschrauber entdeckte, legt Willy Brandt -- wie einst Ludwig Erhard -- seine Werbetouren am liebsten auf Schienen zurück. »Denn«, so befand der Regierungschef, »dabei kann man gute Gespräche führen und sich auch mal die Beine vertreten.«
Am Montag und Dienstag dieser Woche läßt sich Willy Brandt zum drittenmal durch Baden-Württemberg fahren -- im ehemaligen Salonwagen des ReichsmarschaUs Hermann Göring.
Sechs dieser 1938 gebauten plüschgepolsterten und holzgetäfelten Waggons mit marmorner Sitzbadewanne und Pantry übernahm »die Deutsche Bundesbahn, die anderen rollen für die Deutsche Reichsbahn der Deutschen Demokratischen Republik.
Einen westdeutschen Normalverbraucher würde es 20 Erster-Klasse-Fahr. karten kosten, wenn er, an D- oder F-Züge angehängt, in der alten Bahnpracht durch die Lande reisen will. Für Bonns Regierende indes macht die Bundesbahn stets einen Sonderpreis.
So kostete Brandts Sechswagen-Sonderzug, mit dem er am 10. und 11. März insgesamt 1071,7 Kilometer durch Baden-Württemberg auf Wählerfang ratterte, nur 18 600 Maiik. »Das ist immer noch billiger als Hubschrauber und Auto-Kolonnen«, rechnete sich Kanzleramts-Sprecher Gerhard Winkel aus.
Zum Fahrpreis kommen die Verpflegungskosten. Für angemessene Fourage von der Deutschen Schlafwagen- und Speisewagengesellschaft ist Reiseoberinspektor Eugen Fuchs, 62, zuständig, der seit über 20 Jahren in Sonderzugdiensten steht. Er ordert für jede Salonwagen-Reise volle Kühlschränke. Denn: »Ich will niemals sagen müssen: »Tut mir leid, das haben wir nicht.«
So kaufte er für die Kanzler-Tour 17 Kilo Ochsenbrust, 125 Frankfurter Würstchen, 180 Eier, 204 Scheiben Toastbrot und ein stattliches Sortiment an Weinen -- vom Kanzler-Lieblings-Tropfen »Chateauneuf-du-Pape« bis zum Würzburger Bocksbeutel.
Für verwöhnte Gäste im Salon des Kanzlers können auch Kaviar und Lachs gereicht werden; zuckerkranke Besucher werden mit einem Diätteller abgespeist. Und wenn Eugen Fuchs seinem Kanzler eine besondere Freude machen will, dann richtet er ihm eigenhändig Kartoffelpuffer mit Preiselbeeren an.
Ob Kanzler oder Präsident, Queen oder Schah -- sie alle haben in den Plüsch-Sonderwagen stets freie Fahrt vor allen anderen Zügen. Dafür wiederum stellt Bundesbahnrat Walther Stier seit 25 Jahren die Weichen.
»Wirkliche Pannen«, so erinnert sich der Frankfurter, »habe ich noch nicht erlebt.« Auch Bombendrohungen bringen den Sonderzug-Organisator nicht aus der Ruhe: »Das erleben wir alle Tage.«
Freilich -- Rat Stier hat Grund zur Gelassenheit: Denn bevor die ihm anvertrauten VIPs auf die Reise gehen. wird jeder Meter Schiene von Bahnpolizei auf Bomben abgegangen.