Zur Ausgabe
Artikel 30 / 79

LUFTHANSA / STREIK Beitrag zu Stabilität

aus DER SPIEGEL 6/1971

Meine Damen und Herren«, so wurden am letzten Freitag um 9.36 Uhr die 40 Passagiere der auf dem Hamburger Flughafen startklaren Boeing 707 (Flugnummer LH 912) begrüßt, »Ihre Rück- und Weiterreise müssen Sie leider mit der Eisenbahn machen. Wir sind die letzte Maschine, die aus Hamburg herausgelassen wird. Unsere Kollegen vom Bodenpersonal befinden sich im Streik.«

Schon am vergangenen Donnerstag hat sich das in der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV) organisierte Bodenpersonal der Lufthansa mit fast 95 Prozent Mehrheit für den Arbeitskampf ausgesprochen, weil die Fluggesellschaft ihre Forderung nach rund 21 Prozent mehr Lohn abgelehnt hat.

Das Unternehmen, dessen Aktienkapital zu über 70 Prozent dem Bund gehört, könne, so erklärte Georg Leber -als Bundesverkehrsminister zuständig für die Luftfahrt -, diese Mehrbelastung nicht verkraften. Leber: »Die Marge der Lufthansa ist nicht so groß.«

Per oberste Lufthansa-Chef will vor allem nicht »unbedacht zulassen, daß bei der Lufthansa ein Signal gesetzt wird, daß die Stabilitätspolitik der Bundesregierung in Frage gestellt wird«, Denn eine Zulage bei der bundeseigenen Gesellschaft, wie sie von der ÖTV gefordert werde, könne eine neue Runde überhöhter Lohnforderungen auslösen. Sein Fraktionskollege-Wolfgang Schmidt, Betriebsratsvorsitzender der Lufthansa In Frankfurt, meint dagegen; »Die Argumente des Ministers zühlen für mich nicht.«

Das Bodenpersonal fordere jetzt nur, was das Lufthansa-Management im Sommer seinen Flugkapitänen und Stewardessen ohne Not gewährt habe. Die Deutsche Angestelltengewerkschaft hatte damals, um die ÖTV auszustechen, für die Serviererinnen erhebliche Lohnforderungen gestellt und mit einem Streik gedroht. Das Bodenpersonal war darüber derart empört, daß sich -- so Betriebsrat Schmidt -- über 3000 Bodenleute gemeldet hatten, um den Streik zu sprengen. Dach die ÖTV setzte aus Angst, ihre Mitglieder an die Konkurrenz zu verlieren, für Piloten und Luftkellnerinnen 13,8 Prozent mehr Lohn und ein 14. Monatsgehalt durch -- insgesamt nach Schmidts Berechnungen 21,4 Prozent, Und schon damals, so Schmidt heute, habe er gewarnt; »Das gibt Krampf.«

Denn der Lohnabstand zwischen Wartungstechnikern und Fliegern, die ohnedies »durch Privileg und Geburt« (Schmidt) erhebliche Vorteile genießen, wurde durch diese Entscheidung noch beträchtlich vergrößert.

Eine Stewardeß verdient derzeit Im elften Dienstjahr und bei monatlich 70 Flugstunden einschließlich aller Zulagen 1960 Mark brutto im Monat. Ein höchstqualifizierter Flugzeugwart dagegen kassiert bei gleichem Dienstalter nur rund 1700 Mark einschließlich Schichtzulage für Nachtdienst. Völlig grotesk ist das Verdienstgefälle bei Ingenieuren, Geht ein solcher Techniker in die Luft, bezieht er 2445 Mark Grundgehalt und dazu noch einmal 1630 Mark Flugzulage. Bleibt er am Boden, muß er sich mit 2043 Mark Grundlohn begnügen, auf den bei Nachtschichten noch einmal 20 Prozent Zuschlag gezahlt wird.

Angesichts dieser Differenzen, so meint Lufthansa-Betriebsrat Schmidt, könne Leber doch nicht im Ernst auf die gesamtwirtschaftlichen Lohnleitlinien verweisen -- »so vernünftig sie sein mögen«. Das Lufthansa-Management habe sich damit abzufinden, daß es seinem Bodenpersonal zumindest die gleiche Lohnerhöhung zu gewähren habe wie im vergangenen Jahr den Fliegern,

Der Lufthansa-Vorstand war freilich bisher nur bereit, durchschnittlich 14,8 statt der geforderten 21 Prozent mehr zu zahlen. Ohnedies, so rechnete Lufthansa-Vorstandsmitglied Herbert Culmann vor, kostet jedes Prozent Lohnzuwachs für die rund 15 000 Bodenbediensteten rund drei Millionen Mark jährlich.

Durch den unbefristeten Streik, mit dem das Bodenpersonal seine Forderungen durchsetzen will, verliert die Lufthansa nach den Schätzungen von Vorstand Culman rund 2,25 Millionen Mark pro Tag.

Dennoch haben sich die Lufthansa-Eigner ebenso wie die Gewerkschaft vorgenommen, um keinen Preis nachzugeben. Leber appellierte an den Gemeinsinn der künftig verhinderten Flugpassagiere. Sie sollten, so sprach er, »die Schwierigkeiten in den nächsten Tagen und Wochen hinnehmen als Beitrag zur Stabilität der Mark«. Die Parlamentarier freilich mußten diesen Obolus nicht entrichten. Sie flogen am Freitag, statt wie sonst üblich mit der Lufthansa, mit Bundeswehr-Maschinen ins Wochenende.

Mehr lesen über

Zur Ausgabe
Artikel 30 / 79
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren