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Briefe

BEKENNERMUT
aus DER SPIEGEL 48/1966

BEKENNERMUT

Für das SPIEGEL-Gespräch mit dem ehemaligen Rüstungsminister Speer ist Ihnen - der Redaktion - und Herrn Speer zu danken. Daß ein Mann, der in der NS-Zeit zu den führenden Köpfen gehörte, sich mit einer derartigen Aufrichtigkeit zu seinen Handlungen bekennt, Ist ein bei uns einsames Zeugnis einer echten Auseinandersetzung mit der Vergangenheit.

Kiel JÜRGEN NEWIG

Die Art der Fragestellung Deiner Redakteure beim Speer-Interview hat mich unangenehm berührt. Man ist offensichtlich fortwährend darum bemüht, diesem Mann Schuldgeständnisse abzupressen. Die ehrlichen, nicht beschönigenden Antworten Speers lassen die pharisäerhafte Haltung seiner Kontrahenten noch deutlicher hervortreten. 20 Jahre nach dem Nürnberger Prozeß solltest selbst Du davon absehen, gegenüber einem Mann, der seine Strafe bereits verbüßt hat, den Staatsanwalt zu spielen. Um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen: Ich bin 24 Jahre alt und deshalb wohl schwerlich mit einer braunen Vergangenheit belastet.

Madrid GÜNTHER MERZ

Herr Speer beweist in Ihrem ausgezeichneten Frage- und Antwortspiel zumindest eine gute charakterliche Eigenschaft, die ich als heute 28jähriger bei den meisten Angehörigen der seinerzeit Hitler verfallenen Generation vermisse: Er antwortet offen und ehrlich und versucht nicht, für ihn unangenehme Dinge zu beschönigen.

Völlinghausen (Nordrh.-Westf.)

WERNER GEUE

Bin bloß froh, daß wir den Kindern nie was Böses über die Nazis erzählten; denn wie sollen sie es glauben, wo sie jetzt schwarz auf weiß von diesem edlen Menschen lesen?

Frankfurt HERTA MATTHIAS-ZIEGLER

Leute wie Speer, die damals die Möglichkeit, aber nicht den Mut hatten, Hitler zu erschießen, um damit große Teile unserer Nation im letzten Kriegsjahr vor dem sicheren Tode zu retten, verdienen heute nur noch Verachtung.

Köln KARL ARRENBRECHT

Ein der deutschen Vergangenheit wohlwollend gesinnter, ihrer heutigen »Bewältigung« ablehnend, gar verachtend gegenüberstehender, ein naiver Leser könnte seine Meinung bestätigt finden: Die Männer des Dritten Reiches waren keine teuflischen Berserker, keine Mordbuben. Sie waren Menschen wie du und ich, erlegen der Faszination des Faschismus als Berufschance, als Leiter des persönlichen Erfolgs, als Säule zum Ruhme Deutschlands.

Millionen ermordeter Juden? Davon wußte man doch nichts! Das, ja das waren doch die »anderen«. Nicht einmal Herr Speer - man staune -, auch er wußte natürlich nichts. Auch er, auf den, das sei zugegeben, nicht alle NSAttribute zutreffen, hatte nur vage Ahnungen. Nicht für jeden, doch für ihn sicherlich eine Kleinigkeit, diesen nachzuforschen. Und »Mein Kampf« hat Speer doch sicherlich auch gelesen.

Hamburg WALTER MANZAY

20 Jahre Haft waren offenbar nicht ausreichend, ihn zur vollen Einsicht dessen zu bringen, was er geflissentlich - unwissentlich - verschuldete oder mitverschuldete. Als des Teufels Architekt hat er damals bei allem nur immer ans Bauen gedacht...

Viersen (Nordrh.-Westf.)

WILHELM THÖNISSEN

Wie immer ausgezeichnet informativ und interessant! Aber, Aber!! So ohne weiteres können wir Engländer den Speer-Hinweis »Vergeltungsangriffe auf England« nicht ohne Protest vorbeigehen lassen! Wer hat denn den- Massenvernichtungsangriff auf Coventry inszeniert? Das war nämlich der erste Anlaß für Protestschreie und Verlangen nach Vergeltung im ganzen Lande. Also, wer hat solche Maßnahmen entfacht?

Gott sei Dank sind solche Auseinandersetzungen jetzt rein akademisch geworden!

London PATRICK C. PERRY

Zu denen gehörig, für die das Naziregime noch nicht eine fast vergessene und nur noch verschwommen sichtbare Episode bedeutet, kann ich Ihr Interview mit Herrn Speer - ich habe es nicht gelesen - nur mit der Stimme aus dem Volke am Tage nach der Entlassung des Herrn Speer kommentieren: »Herr Speer, Sie haben uns nichts zu sagen.«

Wiesbaden HANS-CHRISTOPH V. OERTZEN

Hoffentlich erhält Speer seine Ministerpension für die letzten zwanzig Jahre mit Zins und Zinseszins nachgezahlt. Es wäre auch eine schöne Geste, wenn ihm sein früherer Untergebener das große Bundesverdienstkreuz verleihen würde.

Kiel FRANZ DENNER

Auf die Gefahr hin, als Nazi in Grund und Boden verdammt oder verlacht zu werden, gestehe ich hiermit, daß ich die von Ihnen veröffentlichten Entwürfe von Adolf Hitler und Albert Speer - wie überhaupt die Architektur des Dritten Reiches - erhaben und schön fand und immer noch finde.

Berlin ROSMARIE ZEUKE

Das SPIEGEL-Gespräch mit Albert Speer war mir eine hochinteressante Ergänzung zu Ihrer Titelgeschichte im Heft Nummer 40, zeigt es doch recht deutlich, wie sich nach mehr als zwanzigjähriger Distanz die Akzente in Speers Erinnerung verschoben haben. Am auffälligsten scheint mir das bei der Schilderung seines letzten Besuchs im Führerbunker am 23/24. April 1945 der Fall zu sein. In Nürnberg sagte Speer aus, er sei noch einmal in das bereits von der Roten Armee eingeschlossene Berlin geflogen, um sich »nach allem, was geschehen war, Hitler zur Verfügung zu stellen. Das klingt vielleicht hier etwas seltsam, aber die widerstreitenden Gefühle bei mir über das, was ich gegen ihn tun wollte und über seine ganze Handlungsweise, waren... Ich hatte noch keinen klaren Grund, innerlich klare Basis in meinem Verhältnis zu ihm, und daher flog ich zu ihm. Ich wußte nicht, ob er etwas von meinen Sachen wußte. Ich wußte auch nicht, ob er mir befehlen würde, in Berlin zu bleiben. Ich hatte aber den Eindruck, daß es eine Verpflichtung ist, nicht feige davonzulaufen, sondern sich noch einmal zu stellen«. Und der Oxford-Historiker Trevor-Roper apostrophiert aus seinen Nürnberger Gesprächen mit Speer, Hitler sei überdiesen Abschiedsbesuch seines Rüstungsministers »tief gerührt« gewesen. Speer heute: Er sei »eigentlich« nicht Hitlers, sondern seines väterlichen Freundes, Dr. Lüschen, wegen in die Reichshauptstadt geflogen, und er habe Hitler erst aufgesucht,

als dieser von seiner Anwesenheit in Berlin erfahren und ihn dann zu sich bestellt habe. Der Abschied von Hitler sei überdies »das Kühlste« gewesen, »was man sich vorstellen kann«. Zwei bemerkenswert voneinander abweichende Versionen von ein und demselben Mann über ein und dasselbe Geschehen!

Gestatten Sie mir nun noch eine Bemerkung zum »Technokraten« Speer. Diese Bezeichnung geht bekanntlich auf Trevor-Roper zurück. Er schreibt in seinem Buch über »Hitlers letzte Tage«, daß Speer eigentlich »Technokrat« gewesen sei. Trevor-Roper benutzte diese Bezeichnung nicht als Umschreibung für den unpolitischen Fachmann, der sich bewußt auf sein technisch-ökonomisches Ressort beschränkt, sondern in der ursprünglichen und eigentlichen Bedeutung des Wortes, denn er unterstellte ihm zugleich die »Philosophie des Technokraten«, die die Wohlfahrt der Nation allein in den Instrumenten der Technik beschlossen sieht. Speer sei daher erst in den Widerstand gegangen, als Hitler sich offen zum Feind seiner technokratischen Ideale erklärt und die Zerstörung jener Instrumente der Technik befohlen habe. Mir scheint diese Deutung Speers nicht sehr überzeugend zu sein, da er sich in keiner seiner bekannten Denkschriften an Hitler technokratischer Argumente bediente. Die »Philosophie des Technokraten«, das heißt

die Ideologie der - »Gesellschaftsingenieure« mit ihrer Forderung nach dem Primat der Technik über Politik, Wirtschaft, Gesellschaft und Kultur war ihm im Grunde fremd. Was ihn zu seinem Widerstand gegen Hitlers Zerstörungspolitik der »verbrannten Erde« bestimmte, war vielmehr die Überzeugung von der sittlich-politischen Verantwortung der Führung für das Volk. Es sind eindeutig moralische Begriffe wie »Pflicht«, »Verpflichtung«, »Recht«, beziehungsweise »Unrecht« und »Schuld«, mit denen er Hitler in seinen Denkschriften von der radikalen Vernichtungspolitik abzubringen versuchte.

Kiel DR. REIMER HANSEN*

* Wissenschaftlicher Assistent am Historischen Seminar der Universität Kiel.

Speer

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