NATURFREUNDE Berg frei
Vor 65 Jahren riet ihnen Karl Renner,
Sozialist und erster Kanzler der österreichischen Republik, auf die Berge zu klettern. Denn - so reimte der Mitgründer des proletarischen Touristenvereins »Die Naturfreunde« - »Im Tale erschlafft euch Sehne und Blut und zittert das Herz um das nichtigste Gut!«
Bis heute ist es den sozialistischen Wandervögeln in der Bundesrepublik trotz mancher Bergfahrt mit Klampfe und Knickerbocker nicht gelungen, ihr Herz vom nichtigen Gut gänzlich abzuwenden. Die »Naturfreunde« blieben mit einem Bein im Tale. Sie zerstritten sich jüngst, materieller Vorteile wegen; mit der Bonner Regierung.
Bundesfinanzminister Rolf Dahlgrün, nichtorganisierter Naturfreund, der den Baumbestand seiner Jagd in der Heide eigenhändig aufforstet, erklärte sich außerstande, Deutschlands. »Naturfreunde« als gemeinnützig und damit steuerbegünstigt anzuerkennen. Die Wander-Funktionäre empfinden die Abfuhr aus Bonn als politischen Affront.
Schon vor der Absage schrieb der Vorsitzende Fritz Helmstädter, SPD-Mitglied des baden-württembergischen Landtags, an Dahlgrün: »Die Ursache, warum bisher eine Entscheidung nicht getroffen worden ist, soll - wie ich vernehme - darin zu erblicken sein, daß in der Satzung des Vereins folgender Satz enthalten ist: »Der Verband sieht in der Mithilfe bei der Entwicklung zu einer demokratischen und sozialistischen Gesellschaftsordnung die Grundlage seiner Arbeit'.«
Der Verdacht, daß dem freidemokratischen Finanzminister die 112 000 bundesdeutschen »Naturfreunde« nicht so gemeinnützig erscheinen wie etwa das Müttergenesungswerk, erscheint naheliegend. Denn die Arbeitertouristen finden nicht nur Gefallen an Baum und Berg.
Gegründet 1895 vom Wiener Volksschullehrer Georg Schmiedl, um Proletarier aller Länder »aus rauchgeschwängerten Werkstätten... aus dumpfen Wohnungen, aus fuselriechenden Wirtshäusern ... in die freie Natur« zu locken ("Naturfreunde«-Ehrenpräsident Paul Richter), stritten die Wanderer seit je munter mit im Klassenkampf.
Sie freuten sich zwar, wenn ihnen der Schweizer Hotelierverband herablassend verbriefte, daß sie sich selbst in den »anspruchsvollsten Hotels ... mustergültig betragen haben«. Aber sie waren doch, so Funktionär Franz Winterer, »von allem Anfang an ein Ackerböden, aus dem, ein edler Idealismus sproß, der mit der Sozialdemokratischen Partei und den freien Gewerkschaften im ... harten Vordringen der Arbeiterklasse zur heutigen politischen Freiheit führte«. Aktive Mitwanderer: SPD-Fraktionschef Fritz Erler, SPD-Bayer Waldemar von Knoeringen und Münchens SPD-OB Vogel.
Doch während die Sozialdemokraten allmählich vom Pfad marxistischer Tugend abirrten, wanderten Deutschlands »Naturfreunde«, Rucksack an Rucksack mit etlichen Gewerkschaftsführern, auf linksgewundenen Wegen.
Wenn sie nicht gerade den Knotenstock schwingen, dann demonstrieren sie wandergewohnt im Ostermarsch der Atomwaffengegner, fordern betriebliche Mitbestimmung der Arbeitnehmer, propagieren »die Vergesellschaftung der vornehmsten Produktions- und Verkehrsmittel«; oder sie zeigen sich zutiefst bestürzt über die Absicht der Bundesregierung ... eine umfassende Notstandsgesetzgebung beschließen zu lassen«, der es »durch Protestaktionen und weitere legale Mittel« zu wehren gelte.
Es bedurfte jedoch nicht der Notstandsgegnerschaft, um die Beziehungen zum Bonner Koalitions-Regime zu trüben - das Verhältnis war stets gespannt. Als die »Naturfreunde« vor Jahren um eine milde Gabe aus der Bundesschatulle einkamen, bekamen sie Bescheid nach 24 Monaten: Das Formular, auf dem der Antrag gestellt worden war, sei inzwischen überholt; man möge doch neu einreichen.
Und obzwar »Naturfreunde«-Skilehrer strenge alpinistische und sportliche Exerzitien ableisten müssen, strich Ex -Innenminister Hermann Höcherl (CSU) den sozialistischen Wintersportlern Anfang dieses Jahres den bislang gewährten Zuschuß aus Bundessportmitteln. Begründung: Derlei Aufgaben sollten fortan »grundsätzlich vom Deutschen Skiverband-wahrgenommen werden«.
Den vorerst letzten Streich führte
- wie die »Naturfreunde« es sehen -
das Bundesfinanzministerium, als die Links-Wanderer Anerkennung als gemeinnütziger Verein beantragten (Vorteile: Die Mitglieder können ihre Beiträge, Vereinsgönner Spenden steuerfrei absetzen).
Minister Dahlgrün brauchte sich freilich auf die Forderung gar nicht einzulassen. 22 Monate nach Antragseingang schrieb er knapp. Die »Naturfreunde«-Forderung sei schon auf einer Konferenz der Länder-Finanzminister ungnädig aufgenommen worden, und »unter diesen Umständen vermag ich der Bundesregierung den Erlaß einer entsprechenden Verwaltungsanordnung ... nicht vorzuschlagen«.
Die Tourensportler (Vereinsgruß: »Berg frei!") wollen das Schattenboxen mit Bonn nicht aufgeben. Sie pochen darauf, ebenso gut behandelt zu werden, wie etwa der Deutsche Alpenverein, gegen dessen Gemeinnützigkeit die Bundesregierung nichts einzuwenden hat.
Wie das Dickicht auf dem Wander-Weg zur Bundeskasse gerodet werden könnte, verriet ein höherer Beamter im baden-württembergischen Finanzministerium, der zwischen der Stuttgarter »Naturfreunde«-Geschäftsführung und Bonn Kontakt hält. Sein Tip: »Ändern Sie eben Ihre Satzung. Das Bundesfinanzministerium stört sich an den Worten Mithilfe zu einer sozialistischen Gesellschaftsordnung'.«
»Naturfreunde«-Jugendlager
Links gewandert