HAUSHALT Beschränkte Hoffnung
Die Bundesetats der Jahre 1966/67, deren Minuszahlen einen Bankrott ankündigen, enthüllen mit Bilanzklarheit den gesunkenen Verkehrswert der Regierung Erhard: Sie ist auch finanziell nur noch eine Gesellschaft mit beschränkter Hoffnung.
Allein im Bundeshaushalt 1966 fehlen 2,1 Milliarden Mark: Um 1,1 Milliarden Mark waren die Ausgaben für Wohn- und Kindergeld, für Kriegsopfer, Bundesbahn und Bergbau gestiegen; eine weitere Milliarde wird benötigt, um den Rest der US-Devisenhilfe aufzubringen, die den Amerikanern in derselben Spenderlaune angedient wurde wie zehn Millionen Mark Zuschuß für die Metropolitan Opera in New York.
Im kommenden Jahr, für 1967, mangelt es der Bundeskasse sogar an 4,6 Milliarden Mark. Von dieser Summe beanspruchen die Bundesländer zwei Milliarden Mark (Einkommen- und Körperschaftsteuer); die amerikanischen Bundesgenossen fordern 1,8 Milliarden Mark.
Über die Deckung dieser Finanzlücken raufen die Koalitionspartner wie zerstrittene Kompagnons, die vor dem Konkurs noch möglichst viel für sich zu retten versuchen. Als das Wirtschaftsministerium eine Kürzung der Spar- und Bausparprämien beantragte, enthielt sich Finanzminister Rolf Dahlgrün im Kabinett der Stimme, obwohl dieser Abbau zum Ausgleich seines Bundeshaushalts dringend vonnöten ist.
Uneins sind sich die Koalitionsbrüder beispielsweise über die Kürzung der sogenannten Autopauschale, obwohl die CDU bereits eine Konzession angeboten hat. Statt des vorgeschlagenen Steuerfreibetrages von zehn Pfennig pro Kilometer zwischen Wohnung und Arbeitsstelle für alle - auch für Fußgänger
- soll das bisherige System beibehalten werden. Mit der Einschränkung: Statt fünfzig sollen nun sechsunddreißig Pfennig angerechnet werden.
Angst vor der Stunde der Wahrheit veranlaßte die FDP auch, ihren Grundsatz der Selbstvorsorge aller dazu Fähigen zu verleugnen. Sie weigert sich, die Steuervergünstigung für das Prämien- und Bausparen einzuschränken, was den Etat von 1972 an um jährlich mehr als zwei Milliarden Mark entlasten sollte. Statt dessen wollen die Freidemokraten das 312-Mark-Gesetz abbauen, das »vermögenswirksame Leistungen« westdeutscher Arbeitnehmer bis zu 312 Mark jährlich von Steuer und Sozialabgaben befreit.
Den Kabinettsbeschluß vom 5. Oktober über die Sparvorlage halten die Freidemokraten für unwirksam. Die CDU- und CSU-Minister hatten den 5. Oktober als Stichtag deklariert, nach dem Prämien- und Bausparverträge nur noch zu erheblich ungünstigeren Bedingungen (SPIEGEL 42/1966) abgeschlossen werden können. Dagegen FDP -Minister Bucher zum SPIEGEL: »Als Jurist bin ich sicher, daß vor Gericht jeder durchkommt, der bei solchen Verträgen auf den alten Leistungen besteht.« Freidemokrat Werner Mertes schlug vor, die Defizite durch eine drastische Kürzung des Verteidigungshaushalts zu verringern.
Aber davon wollten die Christdemokraten nichts wissen. Außenminister Gerhard Schröder verwahrte sich: »Ein Volk, das 22 Milliarden jährlich für Zigaretten und Alkohol ausgibt, kann sich nicht hinstellen und sagen, es habe nicht eine Milliarde für die Verteidigungsleistung der Nato übrig.«
Der Bund, der selbst die Kraft nicht aufbringt, im eigenen Haus finanziell Ordnung zu schaffen, will den Ländern eine Kürzung der sogenannten Bedarfszuweisungen für den Fall androhen, daß sie auf ihrem Recht bestehen und zusätzlich zwei Milliarden Mark Einkommen- und Körperschaftsteuer für sich verlangen. Danach würden die Bundesleistungen für Verfassungsaufgaben der Länder - im nächsten Jahr etwa 2,4 Milliarden Mark - bis auf etwas mehr als hundert Millionen Mark gekürzt werden. Davon wären Studentenförderung, Zuschüsse für Universitätsbauten, Küstenschutz, Flurbereinigung sowie der soziale Wohnungsbau betroffen.
Nach Dahlgrüns Verhandlungspapier müßte zum Beispiel die Max-Planck -Gesellschaft auf jegliche Bundeshilfe - sie ist mit fast hundert Millionen Mark in den Haushalt 1967 eingesetzt - verzichten. Sein Streich träfe auch das Max-Planck-Institut für physikalische Chemie, das sich erst Ende September um zusätzliche Mittel beworben hatte.
Das Wohlwollen des Auto-Volkes und gutverdienender Sparprämien-Schnorrer geht der wankenden Koalition über die Förderung der Wissenschaft.
Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger - Kanzlerkandidat für Bonn -, der seit acht Jahren den Verfall der Bundesfinanzpolitik - vom Musterländle Baden-Württemberg aus betrachtet, ist bislang der einzige Politiker aus CDU und CSU, der öffentlich sagte, was CDU -Bundestagsabgeordneter Fritz Burgbacher und sein Kollege Josef Stecker hinter geschlossenen Türen in der Fraktion zur Sprache brachten:
Ohne eine allgemeine Erhöhung der Lohn- und Einkommensteuer kann die Etat-Bürde der kommenden Jahre nicht getragen werden.
Hamburger Morgenpost
»Sparmaßnahmen«