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GEWERKSCHAFTEN / MONATSLOHN Besinnung gefordert

aus DER SPIEGEL 52/1968

Bundesdeutsche Sparkassenchefs blicken voller Hoffnung ins neue Jahr. Für 1969 erwarten sie einige hunderttausend neue Kunden. General-Akquisiteur ist Heinz Kluncker, Chef der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr (ÖTV). Er will die Arbeiter der öffentlichen Hand zu Gehaltsempfängern gleich den Angestellten machen.

In der laufenden Tarifrunde mit Bund, Ländern und Gemeinden erhob die ÖTV eine »gesellschaftspolitische Forderung ersten Ranges«. Außer einer Lohn- und Gehaltserhöhung von acht Prozent für die 1,3 Millionen Bediensteten verlangt Kluckner: »Schluß mit der Unterbewertung des Arbeiters.«

Zugleich mit der Einführung des Monatslohnes will Kluncker die Einkommen der 520 000 Arbeiter in öffentlichen Diensten an die Gehälter vergleichbarer Angestellten-Gruppen heranführen. Außerdem sollen die Arbeiter-Einkünfte mehr als bisher mit dem Dienstalter steigen. Schließlich sollen die Behörden für Arbeiterkinder ebenso hohe Zuschläge leisten wie für die Kinder von Angestellten und Beamten.

Die Reform ist seit Jahren überfällig. So haben erst vier Millionen der insgesamt zwölf Millionen deutschen Arbeiter das »negative Statussymbol Lohntüte« (DGB-Bundesschulleiter Hans Pornschlegel) abgelegt. Zu diesem Umstand trugen nicht zuletzt die Vorurteile der Arbeiter selbst bei. Die stärksten Widerstände gegen die monatliche Lohnzahlung, so stellte der Betriebswirtschaftler Karl Weisser in seiner Untersuchung »Bargeldlose Lohn- und Gehaltszahlung« fest, regten sich bei

* den Ehefrauen, die fürchten, der Besitz einer größeren Geldsumme verleite zu ungeordnetem Einkauf;

* den Familienvätern, die davor zittern, die Ehefrauen könnten dem Kontoauszug der Bank entnehmen, wieviel der Ernährer tatsächlich verdient, und

* den Gastwirten, die um ihren Verdienst bangen, wenn die Tresenkundschaft nicht mehr aus der wöchentlich gefüllten Lohntüte zahlen kann.

In der Praxis freilich erwiesen sich diese Argumente als unbegründet. Seit Jahren nehmen Gastwirte im Ruhrgebiet von Monatslöhnern Schecks an. Im Hüttenwerk Oberhausen, das schon 1959 die bargeldlose Lohnzahlung eingeführt bat, wurde festgestellt, daß bislang keiner der 14 000 Arbeiter mit einem ungedeckten Scheck bezahlt hat.

Mit der Forderung nach dem Monatslohn im öffentlichen Dienst verbindet Kluncker die Absicht, das gesamte Tarifsystem zu reformieren. Tatsächlich sind die Arbeiter bei Bund, Ländern und Gemeinden gegenüber Angestellten und Beamten benachteiligt, da ihr regelmäßiges Grundeinkommen niedriger ist und zudem erheblich langsamer wächst als das ihrer Kollegen, die nach dem Bundes-Angestellten-Tarif (BAT) honoriert werden.

So erzielt ein verheirateter, gelernter Arbeiter im öffentlichen Dienst gegenwärtig ohne Zuschläge ein Anfangseinkommen von 675 Mark monatlich. Nach zehn Jahren erreicht er die Endstufe mit 709 Mark. Ein Angestellter hingegen, der eine gleichwertige Tätigkeit ausübt, beginnt mit 700 Mark Grundgehalt, und binnen zehn Jahren wächst sein Verdienst auf 780 Mark. Nach Ablauf dieses Zeitraumes kann der Arbeiter seinen Grundlohn nicht mehr steigern, das Angestellten-Gehalt aber klettert bis zum 41. Lebensjahr weiter: auf insgesamt 873 Mark. Trotz gleichwertiger Arbeit kassiert der 41jährige gelernte Arbeiter nach 20 Dienstjahren 164 Mark weniger als sein angestellter Kollege.

Die Benachteiligung der Lohnempfänger endet erst am Grab. Bei der Berechnung des Ruhegehaltes Arbeiter und Angestellte erhalten wie Beamte bis zu 75 Prozent des in den letzten drei Jahren erreichten Einkommens -- erzielen die Angestellten und Beamten dank des höheren Endgehalts vergleichsweise mehr Rente als die Lohnempfänger.

Besonders ungünstig wirkt sich bei der Rentenberechnung der Arbeiter die Tatsache aus, daß sie in ihren letzten Dienstjahren nicht mehr so viele Überstunden leisten können wie zuvor. Der Abfall der Einkommenskurve drückt die Arbeiterrente erheblich, während der Angestellte in Ruhe den Lebensabend erwarten darf.

Heinz Kluncker, der zur Zeit mit Bund, Ländern und Gemeinden um einen neuen Tarifvertrag ringt, will das monatliche Einkommen der Arbeiter dem vergleichbarer Angestellten-Gruppen anpassen. Außerdem sollen die Löhne planmäßig nach dem Dienstalter wie bei den Angestellten steigen. Kluncker: »Wir sind nicht bereit, einen Tarifvertrag zu unterschreiben, der dieses Ziel nicht im Prinzip erreicht.«

In zwei Marathon-Sitzungen von jeweils mehr als zwölf Stunden haben die Arbeitgeber von Bund, Ländern und Gemeinden die Reform der Lohnstruktur ohne Begründung abgelehnt. Die beamteten Arbeitgeber fürchten, daß die Mehrkosten den Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung sprengen. ÖTV-Vorstandsmitglied Heinrich Jacobi: »Das interessiert uns nicht. Die Tarifautonomie kann nicht durch staatliche Finanzplanung außer Kraft gesetzt werden.«

Am 17. Januar nächsten Jahres werden die Tarifkommissare der ÖTV und der öffentlichen Arbeitgeber erneut aufeinander treffen. »Vielleicht«, so Kluncker, »bringt der Lichterglanz am Christbaum die Unternehmer zur Besinnung.«

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