IHK BRAUNSCHWEIG Besondere Verdienste
Anfang 1961 schätzte sich die Braunschweiger Industrie- und Handelskammer noch »glücklich«, an der Spitze zwei Männer zu haben, »die durch ihre Anschauungen und auch persönlich verbunden ... in harmonischer Zusammenarbeit das Geschick der Kammer bestimmen«. So frohlockte damals das Informationsblatt der IHK.
In diesem Herbst ist die Kammer nicht mehr so glücklich: Die beiden gelobten Kammerdiener sehen sich Ende des Monats vor Gericht wieder - der Bundesverkehrsminister und ehemalige IHK-Präsident Hans-Christoph Seebohm als Zeuge, der ehemalige IHKHauptgeschäftsführer Dr. Hans Ballhausen unter dem Verdacht der Untreue und des Betrugs als Angeklagter.
Vor der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Braunschweig soll geklärt werden, wie innig die persönliche Verbundenheit war und ob die harmonische Zusammenarbeit so weit ging, daß Seebohm seinem Ballhausen nicht nur »besondere Verdienste« attestierte, sondern ihm - entgegen den Bestimmungen - besondere Verdienste auch zukommen ließ: rund 69 000 Mark.
Im Sommer 1963 hatte der damalige niedersächsische Wirtschaftsminister Carlo Graaff (FDP) die Braunschweiger Staatsanwaltschaft über Ungereimtheiten informiert, die Rechnungsprüfer des Deutschen Industrie- und Handelstags bei der Revision der IHK-Bücher entdeckt hatten (SPIEGEL 25 und 26/1963).
Die Unterlagen, die Graaff übergab, deuteten auf außergewöhnliche Bezüge hin, die Ballhausen neben seinem Gehalt (3710,11 Mark monatlich) in mehreren Schüben kassiert hatte:
- Am 28. September 1959 verfügte
Seebohm die Hergabe eines (inzwischen zurückgezahlten) Darlehns von 40 000 Mark zu zwei Prozent Zinsen und zwei Prozent Amortisation und
ließ aktenkundig machen, Ballhausen (damals 56). sei die monatliche Abzahlung bei Pensionierung oder Tod zu erlassen;
- Anfang Mai 1961 bekam Ballhausen
zum Tage seiner 25jährigen Kammer-Zugehörigkeit ein volles Monatsgehalt geschenkt, obwohl ihm als Beamten einer Körperschaft des öffentlichen Rechts keine anderen als seine Dienstbezüge zustehen;
- zugleich verzichtete Ballhausen -
im Einvernehmen mit Seebohm - auf den vorgesehenen Jubiläumsempfang und ließ sich die dafür eingeplanten 12 000 Mark überweisen;
- im Herbst 1961 sagte Ballhausen eine Dienstreise in Entwicklungsländer ab, ließ sich aber die dafür bereitgestellten 18 000 Mark auszahlen (Seebohm laut Ballhausen: »Ich werde die Sache dem Präsidium vortragen. Was Sie dann damit machen, soll mir egal sein") und über den Titel »Reisekostenvergütung« verbuchen;
- ein nicht zurückgezahlter Darlehnsrest in Höhe von 6090 Mark aus dem Jahr 1954 wurde Ballhausen erlassen;
- 29 592,42 Mark Lohnsteuer, die auf alle diese Zuwendungen zu entrichten waren, wurden auf schriftliche Anweisung Seebohms vom 12. Februar 1962 nicht Ballhausen, sondern der Kammer angelastet.
Zwar erhob die Staatsanwaltschaft im Februar 1965 gegen Ballhausen Anklage. Doch im Juli desselben Jahres lehnte die 1. Große Strafkammer des Braunschweiger Landgerichts die Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Begründung ab, es werde Ballhausen. »insbesondere mit Rücksicht auf die Gepflogenheiten in der freien Wirtschaft und das Einverständnis des in besonderem Ansehen stehenden Präsidenten Dr. Seebohm ... nicht zu widerlegen sein, daß ihm das Bewußtsein der Treueverletzung gefehlt hat«. Ballhausen selber: »Ich wüßte nicht, weshalb ich ein schlechtes Gewissen haben sollte.«
Im Oktober 1965 freilich gab ihm nachdem die Staatsanwaltschaft gegen den Strafkammer-Beschluß Beschwerde erhoben hatte - der Strafsenat des Braunschweiger Oberlandesgerichts Bescheid: »Es ist unwahrscheinlich, der Angeschuldigte (Ballhausen) ... sei ernstlich der Auffassung gewesen, es sei statthaft, sich öffentliche Gelder in Höhe von zusammen etwa 69 000 Mark praktisch schenken zu lassen.« Und: »Die Genehmigung des Präsidenten der Kammer wird den Angeschuldigten nicht entlasten können, da auch das Einverständnis des Präsidenten (Seebohm) weder die Zustimmung des Präsidiums noch der Vollversammlung ersetzen noch etwa die Verletzung beamten- und haushaltsrechtlicher Vorschriften legalisieren konnte.«
Der Strafsenat hob den Einstellungsbeschluß auf und eröffnete das Hauptverfahren.
In welchem Maß der Schuldvorwurf gegen den Geldnehmer Ballhausen auch den Geldgeber treffen könnte, ließ der Senat auf Blatt 198 der Gerichtsakten einstweilen dahingestellt: »Wie Seebohm ausgeführt hat, ist er selbst monatlich nur drei bis vier Tage in Braunschweig für die Industrie- und Handelskammer tätig gewesen ... er und die Mitglieder des Präsidiums hätten sich auf die Geschäftsführung verlassen müssen und verlassen.«
Ehemaliger IHK-Geschäftsführer Ballhausen
In harmonischer Zusammenarbeit ...
Ehemaliger IHK-Präsident Seebohm
... öffentliches Geld verschenkt?