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LUFTSCHUTZ / FEHLPLANUNG Besonderer Verein

aus DER SPIEGEL 45/1967

Wohlgefällig ruhte Heinrich Lübkes Blick auf Eichenlaub und Sternen, grauem Tuch und bunten Wappen. Dann entfuhr es dem Präsidenten: »Ausgesprochen schick!«

Das Entzücken des Staatsoberhaupts erregten Abzeichen und Uniformen einer neuen deutschen Armee: des Zivilschutzkorps. Im Sommer des Jahres wurde der Dienstanzug dieser Truppe von Heinrich Lübke genehmigt.

Am Freitag vorletzter Woche beschloß das Bonner Kabinett die Mobilmachung: Anfang nächsten Jahres soll das 1965 vom Bundestag verabschiedete, dann wegen Geldmangels suspendierte Notstands- » Gesetz über das Zivilschutzkorps« in Kraft treten. Das kasernierte Korps -- Oberkommando: Innenminister Paul Lücke -- soll aus ungedienten Wehrtauglichen rekrutiert werden; die Luftschutz-Landser müssen eine viermonatige Grundausbildung mit Grußpflicht und Gleichschritt absolvieren.

Bis 1978 soll Lückes »überregionale Eingreif-Reserve« auf 45000 Mann gebracht werden -- laut Laufbahnverordnung »Schutzkorpsmänner«, »Truppführer« oder »Oberbereichsführer«. Organisatorisch hat das Zivilschutzkorps, wie die »Wehrwissenschaftliche Rundschau« befand, »manches mit dem ehemaligen RAD (Reichsarbeitsdienst) gemeinsam

Geschmückt mit einer Kluft, die in der Münchner Meisterschule für Mode entworfen worden ist, gerüstet mit Gasmasken und Geigerzählern, Schaufeln und Leichenwannen, sollen die Katastrophen-Rekruten den Notstand proben.

Doch der Aufbau dieses Zivilschutzkorps ist nur ein Unternehmen in einer Reihe monströser Luftschutz-Aktionen, die Bonn seit Mitte der fünfziger Jahre betreibt. Über fünf Milliarden Mark wurden seither für die Zivilverteidigung ausgegeben. Aber ihr Sinn erscheint fragwürdig, der Effekt ist zweifelhaft.

Ämterwirrwarr und mangelhafte Koordination, Fehlbeschaffungen oder Fehlkonstruktionen, parkinsonsche Bürokratie wie technische Typenvielfalt stellen den Erfolg des Bonner Zivilschutzes von vornherein in Frage. »Es gibt«, so tadelte die SPD-Bundestagsabgeordnete Annemarie Renger, »viele Überschneidungen, Doppelarbeit und dadurch unnötige Kosten und leider kein Ergebnis.« Und der Hamburger Innensenator Heinz Ruhnau spottet, es gebe »für jede Katastrophe einen besonderen Verein«.

Die Vereine scharen sich unter zwei Dächern:

> dem Bundesamt für Zivilen Bevölkerungsschutz (BZB) in Bad Godesberg, das den öffentlichen ("behördlichen") Luftschutz organisiert, > dem Bundesluftschutzverband (BLSV) in Köln, der den privaten »Selbstschutz« und die freiwillige »Selbsthilfe« der Bevölkerung im Kriegsfall propagiert.

Der Bundesluftschutzverband« durch Dienststellen in allen Städten und fast allen Dörfern vertreten, bemüht sich um »die systematische Erzielung einer positiven, vom Wert des Schutzes und der Hilfe durchdrungenen Bewußtseinslage« bei den Bundesbürgern (BLSV-Präsident Heinz-Robert Kuhn). 1357 haupt- und nebenamtliche Bedienstete sowie 88 267 ehrenamtliche Mitarbeiter werben und schulen Freiwillige für 19köpfige »Selbstschutzzüge«.

Im Bundesamt für Zivilen Bevölkerungsschutz -- Jahresetat: 84 Millionen Mark -- arbeiten 1400 beamtete und angestellte Schutz-Männer, die Arzneimittel speichern und Bunker bauen lassen, Evakuierungspläne austüfteln und »Kulturgut« sichern. Außerdem dirigiert das BZB

> einen örtlichen und überörtlichen Luftschutzhilfsdienst (LSHD) mit insgesamt 9300 Fahrzeugen und 80 000 Helfern, die »den im Fall von Luftangriffen eintretenden Notständen« beikommen sollen,

> den Luftschutz-Warn- und Alarmdienst mit Meßstellen, Befehlsbunkern und Sirenen,

> die Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW), die mit 70000 Freiwilligen Friedens-Katastrophen bekämpft und Helfer für den LSHD abstellt.

Die Führer dieser aufwendigen Schutz-Truppe halten, wie es scheint, den bürokratischen Aufwand in ihrem Bundesamt selber für unangemessen. Ein BZB-Oberregierungsrat selbstkritisch zum SPIEGEL: »Wenn bei uns 80 Prozent der Beamten entlassen würden, wäre das Amt noch immer überbesetzt.«

Die Bad Godesberger Beamten verbringen die Zeit damit, zum Beispiel detaillierte Anweisungen über »Abort-Anlagen (AA)« in »Waldlagern« zu ersinnen, die »vorübergehend oder stationär zur Unterbringung von Menschen aus Kriegs- und Katastrophengebieten« dienen sollen. Die Sieben-Seiten-Vorschrift fordert die »unbedingte Abschirmung« der »AA« gegen Fliegen, und zwar gegen »die Goldfliege und die stahlblaue Schmeißfliege, die Bremse und die Biesfliege.«

Solche Präzision ließen die Zivilschützer allerdings bei der Aufstellung ihres Luftschutzhilfsdienstes vermissen. So kommt es, daß die wenig populäre Freiwilligentruppe »schlechter als die Feuerwehr« ist ("Sonntagsblatt").

Rund 560 Millionen Mark hat das Innenministerium in den letzten zehn Jahren für Khaki-Uniformen, Gerät und Fahrzeuge ausgegeben -- vorn Jeep bis zum Generatorwagen, vom Krad bis zur Feldküche. Und es wurde dabei Ausrüstung für Einheiten gekauft, die zwar vorgesehen waren, aber aus Mangel an Freiwilligen nie aufgestellt wurden. Die Folge. Teures Material »vergammelte« (CDU/CSU-Zivilschutzexperte Heinrich Windelen), weil sich statt der erhofften 305 000 Helfer nur 80 000 bereit fanden, es zu warten und damit zu üben.

So rollen über Hamburgs Straßen Monat für Monat Hunderte ungenutzter LSHD-Fahrzeuge, »nur damit sie nicht verrotten« ("Hamburger Abendblatt"). Manche der hochwertig ausgestatteten Spezialwagen -- Einzelwert bis 100 000 Mark -- können wegen Personalmangels nicht einmal die vorgeschriebenen 50 Kilometer im Monat bewegt werden. Allein in Hamburg, wo für 6000 Mann Material bereit liegt, aber nur 1200 Helfer verpflichtet werden konnten, lagern überflüssige Ausrüstungsgegenstände im Wert von rund 30 Millionen Mark.

Dabei hatte schon 1961 der Rechnungshof dem Innenministerium bedeutet, »daß weitere Beschaffungsmaßnahmen, die auf die erforderliche, aber nicht vorhandene Personalstärke abgestellt sind, nicht vertretbar« seien.

Aber Bonns Luftschützer erwarben weiterhin »totes Kapital« (Bundesrechnungshof), das lange Zeit von Amateuren betreut werden mußte. »Trotz besten Willens«, so rügte der SPD-Abgeordnete Mommer, »kann dieses ehrenamtliche Personal nicht die Zeit für die erforderliche und sorgfältige Pflege und Wartung dieser Werte aufbringen.«

Doch nicht nur wegen Menschenmangels, auch durch »unzulängliche Abstimmung zwischen dem Bundesamt und der Beschaffungsstelle« -- so Rechnungshof-Präsident Volkmar Hopf -- verrottete Material: Wagen und Geräte standen jahrelang ungeschützt auf den Höfen der Hersteller oder in Luftschutzdepots.

So lagerten Fahrgestelle für Löschwagen des Luftschutzhilfsdienstes über ein Jahr auf dem Werkgelände der Ulmer Klöckner-Humboldt-Deutz AG im Freien, bevor sie zum Einbau von Pumpen nach Karlsruhe transportiert wurden. Bis schließlich auch die in Berlin gefertigten Aufbauten montiert und die Fahrzeuge nach der Ausstattung im Luftschutz-Lager Bonn-Duisdorf die Einsatzstandorte erreicht hatten (Transport während der Fertigung: 1500 Kilometer), waren zwei Jahre vergangen. Es kam zu »erheblicher Wertminderung (und) zusätzlichen Ausgaben für die Behebung von Witterungsschäden« (Rechnungshof).

Das Bestreben der Bonner Luftschützer, »um jeden Preis andere Lösungen als bisher« zu finden (Hamburgs Oberbranddirektor Hans Brunswig), vergrößerte den Schaden. Feuerwehrchef Brunswig: »Die Fahrzeuge des Zivilen Bevölkerungsschutzes sind in Konstruktion und Qualität eindeutig schlechter als genormte Löschfahrzeuge aus der Serienproduktion der Feuerwehrgeräte-Industrie.«

In der Tat weisen Luftschutz-Fahrzeuge eine Fülle von Mängeln auf. Bei LSHD-Brandschutzwagen enden beispielsweise Regenrinnen in Türspalten; an falsch montierten Löschtank-Stutzen lassen sich keine Schläuche anbringen; Wasser tropft in Kästen in denen Sicherungsfackeln aufbewahrt werden; Tritte können nur »unter Lebensgefahr« (Hamburger Feuerwehr) bestiegen werden; die Innenbeleuchtung wird durch nachträglich montierte Ausrüstungsgegenstände verdeckt; an komplizierten Pumpanlagen fehlen Beschriftungen; an den Außenwänden hängen ungeschützte Stromkabel.

Bonns Luftschützer beschafften 666 Großraum-Krankenwagen, die je zwölf Verletzten Platz bieten. Aber LSHD-Sanitäter äußerten »erhebliche Bedenken gegen die Zweckmäßigkeit« des Typs, weil sich der 3,5-Tonner »für das Gelände als untauglich« erwies (Innensenator Ruhnau, Hamburg). Auch dem Rechnungshof erscheint der Kauf »nicht vorteilhaft«. Kosten dieser Fehlbeschaffung: 18 Millionen Mark.

Der Geldsegen erreichte, nach bewährtem Gießkannenprinzip, viele Winkel deutscher Wirtschaft. LSHD-Helfer müssen Fahrzeuge nahezu aller

* Beim BLSV-Helfertag 1964 In Hamburg.

Typen lenken. Brandschutzexperte Brunswig: »Statt vermehrter Normung und Vereinfachung wird genau das Gegenteil praktiziert.«

Sogar innerhalb einzelner Fertigungsserien wechseln Motorhauben, Scheinwerfer und Windschutzscheiben. Luftschutz-Brandbekämpfer« die bei Ernstfall-Einsätzen keine Ersatzteillieferungen erwarten dürfen« können unter ihren Fahrzeugen nicht einmal beschädigte Tanks oder Pumpen austauschen, was -- so Brunswig -- dann »dringend erforderlich« sein kann.

Brandschützer des LSHD bedienen fünf verschiedene Fabrikate des Tragkraftspritzentyps TS 8/8 -- Bachert, Balcke, Magirus, Metz und Ziegler. Fünf Benzinsorten müssen bei Einsätzen mitgeführt werden: außer normalem Diesel- und Vergaser-Kraftstoff noch »Super« für einige Unimogs sowie Gemisch 1:25 für Tragkraftspritzen und 1:40 für Funkkommandowagen. Für dieses Fahrzeug-Sammelsurium brauchen die Luftschützer ferner sechs Sorten Schmierstoff, elf Batterie- und neun Zündkerzen-Typen.

Über »Schwierigkeiten bei der Ersatzteilbeschaffung« klagen Luftschützer an der Saar: Dort stand über ein Jahr lang ein Sanitätsfahrzeug ungenutzt in einer Garage, weil bei der Lieferfirma Ford kein Ersatz-Stoßdämpfer für das Sonderauto vorrätig war. Und rheinland-pfälzische LSHD-Beamte, die einen Borgward-Austauschmotor suchten, bekamen aus Bonn Bescheid, »wir sollten doch mal mit Bayern sprechen, ob die einen Borgward ausschlachten können« (Oberregierungsrat Günther Ganz, LSHD-Referent im Mainzer Innenministerium).

Beträge, die den gespannten Haushalt etlicher Bundesländer entlasten könnten, wurden von der Luftschutz-Bürokratie sinnlos ausgegeben: > Um den Überlebenden eines Atomkrieges Archivgut zu erhalten, nehmen Luftschutz-Beamte wertvolle Akten »auf Mikrofilm auf (Kosten »seit 1961: 6,4 Millionen »Mark); die Filme aber werden nicht immer in bombensicheren Räumen, sondern oft am selben Platz wie die gefährdeten Originale aufbewahrt. > Empfindliche Arzneimittel im Werte von 250 Millionen Mark wurden zum Teil in einer großfenstrigen Halle, in der zur Sommerzeit Bruthitze herrscht, und in feuchten Brauereikellern aufbewahrt. > Weil es in Deutschland »nichts Ähnliches« (Innenministerium) gibt, wurden in Norwegen zum Preis von 75 200 Mark 16 000 Eiserne Rationen für Luftschutzhelfer bestellt. Nachdem die Notverpflegung -- Inhalt: Kraftbrühe mit Erbsen und Brotblöcke mit Molke -- wegen der nicht einkalkulierten Höhe des Zolls (22 700 Mark) sieben Monate lang unter Zollverschluß geblieben war, ergab eine Untersuchung, daß das Block-Brot den in der Bundesrepublik verbotenen chemischen Zusatz Butylhydroxyanisol enthält. Kostspielige Pannen unterliefen dem Godesberger Zivilschutz-Amt bei der Einrichtung einer bundesweiten Kette von zehn eingebunkerten Luftschutz-Warnämtern (Kosten: 90 Millionen Mark).

Hinter drei Meter dicken Stahlbetonwänden und 17 Meter unter der Erde üben Luftschutzhelfer« von der Bundeswehr telephonisch gemeldete Feind-Flugzeuge mit grüner Kreide auf milchige Plexiglaskarten einzutragen. In den halbdunklen Bunkerräumen können die Einsatzleiter durch Druck auf rote Knöpfe mit den Beschriftungen »LA« (Fliegeralarm) oder »ABC« (Atomalarm) Deutschlands derzeit 42 682 Sirenen einschalten.

Doch die »Kartenschreiberanlagen« mit denen die Luft- und ABC-Lage automatisch von Warnamt zu Warnamt übertragen werden sollte und die das Bundesamt für Zivilen Bevölkerungsschutz überhastet in den Warnbunkern installieren ließ, haben sich als »zu träge« erwiesen; sie sollen verschrottet werden.

Und obwohl zur Mitarbeit in den meist abgelegenen Warnämtern kaum Freiwillige gewonnen werden können, vielfach sogar die hauptamtlichen Einsatzleiter fehlen, wurden in der Nähe aller Warnbunker zweistöckige, voll unterkellerte Unterkunftsgebäude für die planmäßige Krisen-Besatzung gebaut. Ein Teil der von Großküchen bis zum Handtuch komplett eingerichteten Häuser steht seit 1963 leer.

Überfluß an technischem Material und Mangel an Menschen bestimmen auch das Wirken des Bundesluftschutzverbandes in der Kölner Merlostraße 10-14, der seine Helfer in farbigen Werbebroschüren zu rühmen weiß: »Es sind alles prima Leute, die etwas auf dem Kasten haben.«

Der BLSV (Jahresetat 1966: rund 37 Millionen Mark) gebietet über eine reich verästelte Organisation, die bis ins letzte Dorf reicht mit zehn Landesstellen, 33 Bezirksstellen, 1273 Ortsstellen (die wiederum in zwölf Bereichs-, 160 Abschnitts- und 1108 Teilabschnittsstellen unterteilt sind), 396 Kreisstellen, 1313 Gemeindegruppen und 16 406 Gemeindestellen. So stieg der Anteil der Verwaltungskosten im Jahresetat zeitweilig auf 46 Prozent.

In der BLSV-Schule bei Ahrweiler in der Eifel, wo auf einem Übungsgelände ("Betreten verboten") mit Lautsprechern Luftangriffe simuliert werden und aus Trümmern blutrot beschmierte Puppenbeine ragen, sollen sich die Selbstschutz-Führer auf den Ernstfall vorbereiten. Doch auf diesen Kriegsschauplatz mußten aus Mangel an Freiwilligen untaugliche Bürger entsandt werden, und manchmal erfüllte jeder dritte Kursist »nicht die Voraussetzungen« (Bundesrechnungshof).

Denn trotz des bombastischen Apparats, der von der Lüneburger Heide bis zum Bayrischen Wald jeden Flecken erfaßt, und trotz einer Schwemme von Propagandamaterial (Werbe-Aufsatz: »Ich bin verliebt in meine Feuerspritze") gelang es bis heute nicht, bei den Deutschen den »Willen zur Selbsterhaltung« zu wecken.

Statt der geplanten 7000 stehen nur 1095 Züge bereit, die mit handgezogenen Löschkarren, Sturmlaternen. Gasmasken und schokoladenbraunen Sanitätertaschen bebombten Nachbarn Rettung bringen sollen. Und in einer Bezirksstelle, die jährlich 1,4 Millionen Mark ausgibt, wurden binnen zwei Jahren nur 94 neue Selbstschützer verpflichtet. Kostenaufwand für jeden geworbenen Helfer: 28000 Mark.

Vollends zur Farce wird der Bonner Luftschutz-Leerlauf durch den Umstand, daß in der Bundesrepublik seit Jahrzehnten kopfstarke Katastrophenschutz-Organisationen -- so das Rote Kreuz und die Feuerwehr -- bestehen, die mit 1,5 Millionen Freiwilligen mehr als doppelt so stark sind wie die Bundeswehr und »in jedem Katastrophenfall, also auch im Kriege«, (Feuerwehr-Verbandspräsident Albert Bürger) zur Stelle sein müssen.

Hamburgs Feuerwehr-Chef Brunswig moniert: »Während in Lagern des Zivilschutzes Hunderte von Lösch- und Bergungsfahrzeugen stehen, tonnenweise schwere Atemschutzgeräte, Hunderte von Kilometern Schläuche und die vollständige Bekleidung für Tausende von Helfern lagern, müssen viele unserer Feuerwehren mit völlig überalterten Fahrzeugen ausrücken. Sie müssen ihre Tragkraftspritzen von Ackerschleppern ziehen lassen und alljährlich mit der Verwaltungsbürokratie erbitterte Kämpfe um einige Meter Schlauch ausfechten.«

Die vom Innenministerium »sicherlich auch unter dem Aspekt der Hausmachtpolitik« (Feuerwehr-Präsident Bürger) verfügte säuberliche Trennung zwischen Bonner Katastrophentruppen für den Krieg (Luftschutz) und kommunalen Hilfsverbänden für den Frieden (Feuerwehr oder DRK) ist denn auch für Hamburgs Innensenator Ruhnau »ökonomisch unsinnig« und für die Kommunen -- so ein Sprecher des Deutschen Gemeindetages -- »eine verrückte Doppelgleisigkeit«.

Und absonderlich mutet es in der Tat an, daß die meisten der vom Luftschutz angeworbenen Helfer zugleich einer der traditionellen Hilfsorganisationen angehören. Die Luftschutz-Brandbekämpfungseinheiten etwa rekrutieren sich fast ausschließlich aus den kommunalen Feuerwehren. »Bis heute«, konstatiert Feuerwehr-Präsident Bürger, »ist durch den LSHD kein Feuerwehrmann mehr gewonnen, sondern nur ein bestimmter Prozentsatz doppelt organisiert worden.«

Schlimmer: Die meisten Bergungshelfer des Luftschutzhilfsdienstes sind gleichzeitig Mitglieder eines anderen von Bonn finanzierten Katastrophen-Kaders: des Technischen Hilfswerkes. Und so muß derselbe Mann, der bei einer Friedens-Katastrophe in seine pilotgraue THW-Uniform schlüpft und zu einem THW-Fahrzeug eilt, bei einer Kriegs-Katastrophe in der Khaki-Uniform des Luftschutzhilfsdienstes auf ein LSHD-Fahrzeug klettern.

Schließlich dienen Sanitäter des überregionalen motorisierten Luftschutzhilfsdienstes häufig zugleich im überregionalen motorisierten »Hilfszug« des Deutschen Roten Kreuzes, der mit 28 Millionen Mark aus Bonn aufgestellt worden ist. Verwundert fragte der Bundesrechnungshof im Innenministerium nach, warum die Regierung »mit erheblichen Bundesmitteln zwei gleichartige Einrichtungen« fördere. Aus Bonn kam keine Antwort.

Das Nebeneinander gleichartiger Einrichtungen hat überdies zu »empfindlichen Störungen in der inneren Struktur unserer Feuerwehren« (Bürger) geführt und »das Gefüge und den Bestand des Roten Kreuzes« gefährdet (DRK-Ehrenpräsident Ritter von Lex). Denn um die unentgeltlich helfenden Feuerwehrmänner und Rot-Kreuzier zur Luftschutz-Truppe »abzuwerben« (Lex), zahlte Bonn LSHD-Mitgliedern

* Mit der Bürste soll tUe Haut nach Atom-Angriffen von radioaktivem Staub gesäubert werden.

Tagegelder, ersetzte den Verdienstausfall und befreite sie vom Wehrdienst.

Mit der Aufstellung des Zivilschutzkorps geht die »Verschwendung von Mitteln und Kräften« weiter (Bürger). FDP-MdB Wolfram Dorn: »Die geplante Truppe ist absolut unnötig; denn Feuerwehren und Rotes Kreuz können diese Aufgaben nicht nur ebensogut, sondern besser erfüllen.«

Immerhin: Vorletzte Woche beschloß das Bonner Kabinett, bei der Verschwendung maßzuhalten. Statt der ursprünglich vorgesehenen 200 000 Zivilschutzmänner sollen nur 45 000 eingezogen werden.

»Nun«, so frohlockte die »Frankfurter Rundschau«, »ist mit der Armut die Vernunft eingekehrt.« Denn die mittelfristige Finanzplanung teilt den Zivilverteidigern jährlich nur noch eine halbe Milliarde zu -- halb soviel, wie sie erwartet hatten.

Mehr aus Geldnot denn aus Einsicht möchte das Koalitionsregime den Zivilschutz-Wildwuchs ein wenig beschneiden:

> 30 Millionen Bürger, die nach dem Selbstschutzgesetz aus dem Jahre 1965 »selbstschutzpflichtig« waren, sollen nicht mehr zwangsweise durch den Bundesluftschutzverband ausgebildet werden; der BLSV, der künftig nur noch Freiwillige trainiert, wird abgemagert.

> Der Luftschutzhilfsdienst, der zuwenig Männer und zu viele Mängel hat, soll durch das Zivilschutzkorps ersetzt werden.

> Die Zweigleisigkeit der Katastrophen-Organisationen wird aufgegeben; Feuerwehr, Rotes Kreuz, Technisches Hilfswerk und Luftschutz sollen in Kriegs- und Friedenszeiten zusammenarbeiten.

Unterdessen üben Deutschlands Luftschutzhelfer weiter unverdrossen den Atomkrieg. Planspiel des BLSV: »6.30 Uhr. Klares Wetter. Wahrnehmung einer zeitunüblichen hellen Lichterscheinung am südwestlichen Horizont. Etwas später weitentferntes donnerähnliches Grollen. 7.05 Uhr. Durchsage vom Warnamt an die Warnstellen: Kernwaffenexplosion um 6.30 Uhr bei Waldhausen.«

Frage an die Helfer des Luftschutzes (LS): »Was unternimmt der BLSV-Gemeindestellenleiter mit dem LS-Geigerzähler?«

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