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Grossbritannien Besser für uns

Die prominentesten EWG-Freunde in der Labour Party haben ihre Parteiämter niedergelegt. Ungehindert können sie künftig mit den Konservativen für die EWG stimmen -- gegen ihren Schattenpremier Wilson.
aus DER SPIEGEL 17/1972

Gestern abend hat ein britischer Politiker in aller Öffentlichkeit gekotzt«, schrieb das Massenblatt »Daily Mirror« am Dienstag letzter Woche seinen Lesern.

Dem stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der Labour Party, Roy Jenkins, war angesichts des Zickzack-Kurses, den sein Parteiboß Harold Wilson in der EWG-Politik verfolgt, allerdings nur politisch schlecht geworden. Jenkins, nächst Wilson der prominenteste Labour-Politiker, trat aus Labours Schattenkabinett aus. Mit ihm legten die Ex-Minister George Thomson und Harold Lever, Außenpolitiker Lord Chalfont sowie mehrere Labour-Abgeordnete Ämter in Partei, Fraktion oder Schattenkabinett nieder und zogen sich auf die Hinterbank zurück.

Mit Jenkins verlor Wilson einen seiner besten Gefolgsleute. Als Schatzkanzler in der Regierung Wilson hatte sich Jenkins den Beinamen »ehrlicher Roy« verdient: Er legte einen Haushaltsplan vor, der keine Wahlgeschenke enthielt. Er sprach stets für Englands Eintritt in die EWG -- während Schattenpremier Wilson je nach Stand der Meinungsumfragen schwankte.

Vor seinem Wahlsieg über den damaligen Konservativen-Führer Douglas-Home war Wilson EWG-Gegner gewesen. Als Premier aber gelobte er, Engtand werde beim Zusammenschluß Europas »eine entscheidende Rolle spielen« und deshalb die Mitgliedschaft beantragen. Frankreichs Polit-Papst Charles de Gaulle aber sagte »non«.

Nachdem Wilson seine Partei wieder in die Opposition geführt hatte, handelten die Konservativen den Beitrittsvertrag aus. Vor der ersten Unterhausabstimmung forderte der außenpolitische Sprecher der Labour-Partei, der Wilson-Vertraute und Ex-Verteidigungsminister Denis Healey, den Beitritt. Begründung: Es sei »besser für uns, für Europa und die Welt, wenn wir uns als Mitglieder des Gemeinsamen Marktes den Problemen der 70er Jahre stellen«.

Nach der Unterzeichnung erklärten fünf ehemalige Minister der Regierung Wilson, daß die von den Konservativen ausgehandelten Beitrittsbedingungen vermutlich auch von einer Labour-Regierung akzeptiert worden wären. Dennoch entschloß sich die Partei nun, die Europa-Verträge abzulehnen, Denn Meinungsumfragen hatten ergeben, daß die Mehrheit der Briten nichts von Europa hielt. Und auch Englands Gewerkschaften, Stimmen- und Geldgeber von Labour, scheuten den Beitritt.

Die EWG, so erkannte Harold Wilson plötzlich, sei nicht viel mehr als eine »vorschriftenhörige Bürokratie, im Grunde ein landwirtschaftlicher Wohlfahrtskonzern«.

69 von 287 Labour-Abgeordneten aber mochten die »öffentliche Europa-Gymnastik« ("The Guardian") ihrer Partei ·nicht mitmachen. Sie stimmten mit den Konservativen für den Eintritt in die EWG. »Hätten alle Labour-Abgeordneten zusammen abgestimmt«, klagte der anti-europäische Labour-Parteivorsitzende Anthony Wedgwood Benn, »wäre die Konservative Partei besiegt worden. Mr. Heath wäre nicht Premier geblieben.« Auch bei der zweiten Lesung der EWG-Gesetze scheiterte die Opposition, obgleich diesmal »selbst Europäer Roy Jenkins diszipliniert mit seiner Partei stimmte.

Im März kritisierte Jenkins dann öffentlich den Parteiführer und mahnte, »die Geschicklichkeit, mit der wir den kurzlebigen Zickzack-Kurs der öffentlichen Meinung nachvollziehen«, sei keine Alternative für ein »konsequentes und mutig vorangetriebenes Parteiprogramm«.

Noch am 15. März waren sich Oppositionsführer Wilson und sein Schattenkabinett einig gewesen, eine von konservativen Anti -Europäern gewünschte Volksbefragung über Englands EWG-Beitritt abzulehnen. Am 29. März jedoch faßte dasselbe Schattenkabinett mit demselben Schattenpremier Wilson den genau entgegengesetzten Beschluß. Denn inzwischen hatte Frankreichs Präsident Pompidou seinen Bürgern eine Volksabstimmung über die erweiterte EWG verordnet. 78 Prozent der Briten hatten daraufhin in einer Meinungsumfrage ein ebensolches Referendum gewünscht.

Londons BBC sendete aus diesem Anlaß ein zwölf Monate altes Interview mit Wilson. Frage: »Sind Sie für ein Referendum?« Wilson damals: »Ich werde meine Haltung hierzu nicht ändern. Die Antwort heißt: »Nein'.«

Des Hin und Her überdrüssig, schrieb Fraktionsvize Jenkins dem »lieben Harold": »Dies ist meiner Meinung nach nicht die Art, wie eine Opposition geführt werden sollte ... Diese dauernden Positionswechsel »kann ich nicht akzeptieren.«

Der Rücktritt ihrer Europa-freundlichen Führungsgruppe ist für die Labour Party einer der schwersten Schläge ihrer Geschichte. Eine derart gespaltene Partei dürfte kaum Chancen haben, die Macht bis zum Ende dieses Jahrzehnts zurückzugewinnen. Englands EWG-Beitritt hingegen scheint nunmehr endgültig gesichert.

Denn weder Führungs- noch Fraktionszwang werden Roy Jenkins und Genossen vermutlich künftig hindern, gegen ihre Partei für Europa einzutreten.

126 Labour-Parlamentarier hatten im November 1971 den linken Michael Foot zum Fraktionsvize wählen wollen, doch 140 Abgeordnete bevorzugten damals Jenkins. Wie viele dieser Volksvertreter fortan die Rebellen gegen die Parteiführung unterstützen werden. bleibt vorerst ungewiß. Doch Jenkins-Genossen sind sicher, schreibt die »Financial Times«, »daß eine Einigung der Partei erst nach der Ablösung Harold Wilsons denkbar ist«.

Einer allerdings profitierte bereits von dem Bruch bei Labour: Konservativen-Premier Heath gewann laut Umfragen in den letzten vier Wochen zehn Prozent Sympathisanten.

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