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ITALIEN Besser zu Fuß

Um die smoggefährdeten antiken Denkmäler Roms zu retten, soll nahe dem Kolosseum ein großer »archäologischer Park« entstehen - ohne Autoverkehr.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Nur Mut, Herr Bürgermeister«, schrieb der Publizist und Umweltfreund Antonio Cederna im »Corriere della Sera«, »nehmen Sie die Spitzhacke zur Hand.« Besonders zwischen dem Kapitol, wo die Stadtverwaltung ihren Sitz hat, und dem Kolosseum gebe es viel zu tun.

Bürgermeister Luigi Petroselli folgte dem Rat. Er schickte Arbeiter, um die Via della Consolazione zu beseitigen, die das Kapitol von dem -- wegen seiner antiken Denkmäler berühmten --Forum Romanum trennt.

Diese im 19. Jahrhundert gebaute Straße, die direkt am Saturntempel und am Triumphbogen des Kaisers Septimius Severus vorbeiführt, war schon seit geraumer Zeit für Autos gesperrt. Denn Verkehrserschütterungen und Smog hätten die erdbebengeschädigten Ruinen vollends ruiniert.

Jetzt, durch die Beseitigung des Asphaltbandes, wird die natürliche Einheit zwischen Forum und Kapitol wiederhergestellt. Millionen bildungsbeflissener -- oder auch bloß photographiersüchtiger -- Touristen können künftig ungehindert zu Fuß vom Julius-Cäsar-Tempel im Tal zum kapitolinischen Hügel hinaufsteigen.

Die Beseitigung der Via della Consolazione markiert nur den Anfang eines ehrgeizigen Projektes. Der Kommunist Petroselli, von Denkmalpflegern und Kunstfreunden unterstützt, möchte aus dem ganzen Gebiet zwischen Kapitol, Kolosseum und der Via Appia Antica die Autos weitgehend verbannen.

In dieser archäologisch bedeutendsten Zone Italiens soll eine fast 40 Quadratkilometer große Fußgängerinsel, ein »archäologischer Park«, entstehen. Petroselli: »Die Rettung der Ruinen hat Vorrang vor dem Wunsch der Autofahrer nach Durchgangsstraßen.«

Folgerichtig beschlossen die Stadtväter, zunächst den vielbefahrenen Platz vor dem Kolosseum in eine Fußgängerzone zu verwandeln. Doch zu ihrem »revolutionären Plan« (so die Zeitschrift »Panorama") gehört noch mehr: Die vom Kolosseum zur Piazza Venezia führende Via dei Fori Imperiali (Straße der Kaiserforen), eine Hauptschlagader des römischen Verkehrs, soll »entmotorisiert« und später ganz abgerissen werden -- alles den alten Ruinen zuliebe.

Diese Straße gilt als abschreckendes Beispiel für den triumphalistischen, rücksichtslosen Baustil der Faschisten. Mussolini sah in der Piazza Venezia, wo er seine großen Reden ans Volk hielt, den Nabel der Welt. Er wünschte von dort einen Parade-Boulevard zum Kolosseum, auch um die angebliche Kontinuität zwischen dem altrömischen Imperium und seinem eigenen Reich zu verdeutlichen.

Deshalb ließ er 1932 ein historisch gewachsenes Stadtviertel abreißen und die Via dell'Impero bauen, die heutige Via dei Fori Imperiali. Der Verkehrsweg schnitt die Kaiserforen gleichsam in der Mitte durch. Ein wesentlicher Teil dessen, was von den Bauten der Imperatoren Nerva und Trajan noch erhalten war, wurde zubetoniert. Voller Stolz führte der Duce 1938 seinem Gast Adolf Hitler die Prunkstraße vor.

Vom 1. Februar an ist ein Trakt dieses unter Mussolini gebauten Boulevards an Sonntagen für Kraftfahrzeuge gesperrt. Zweck: Die autonärrischen Römer sollen sich daran gewöhnen, daß man notfalls auch ohne diese Stadt-Autobahn auskommt, ja, daß man im historischen Zentrum am besten überhaupt zu Fuß geht.

Bisher drängeln und schieben sich stündlich etwa 4000 Fahrzeuge in beiden S.135 Richtungen durch die Prachtstraße, vorbei an den sogenannten Kaiserforen. Weil Roms Ruinen mitten in diesem Verkehrsgewühl liegen, leiden sie wohl noch ärger als der Parthenon auf der Athener Akropolis unter dem Smog.

Den größten Schaden stiften Dünste aus Schornsteinen und Auspuffrohren: Schwefel- und Stickstoffverbindungen. So setzt sich Schwefelsäure auf den Monumenten ab und verbindet sich mit dem Kalziumkarbonat des Marmors zu Gips. Bedeutende Zeugnisse des antiken Rom bröseln alsdann oder werden ausgewaschen.

Folge: Die dargestellten Personen »verlieren« ihre Gesichter. Im Jahre 2000, fürchten Denkmalspfleger, werden die Reliefs an Säulen und Bögen »nur noch eine Masse von löchrigen Steinen sein«.

Doch Gefahr droht nicht nur den Figuren und Reliefs aus Marmor. Vergangenen Monat mußte der bronzene Kaiser Mark Aurel (161 bis 180), die einzige aus der Antike erhaltene bronzene Reiterstatue, vom Kapitolsplatz weichen und in eine Restaurierungswerkstatt gebracht werden: Dreck und Mikroorganismen hatten das Metall des berühmten Standbildes so stark angegriffen, daß noch fraglich ist, ob der Bronze-Kaiser, ein Wahrzeichen der Stadt, nach der Restaurierung wieder an seinen angestammten Platz zurückkehrt oder in einem Museum landet.

Archäologen und Umweltschützer fordern schon seit langem, zur Rettung der Monumente nicht nur den Autoverkehr drastisch einzuschränken, sondern auch die Ölheizungen auf das umweltfreundlichere Erdgas umzustellen. Petrosellis Vorgänger im Bürgermeisteramt, der Kunsthistoriker Giulio Carlo Argan, machte sich zum Fürsprecher dieser Pläne.

Gemeinsam mit dem Verband »Italia Nostra« schimpfte er gegen die für Roms Altertümer so schädliche Straße der Kaiserforen: »Weg mit diesem Scheusal.« Doch die Verwirklichung des Planes wird enorme Verkehrsnöte zur Folge haben. Denn für Tausende von Römern, etwa Geschäftslieferanten, die mit dem Auto ins Zentrum fahren müssen, gibt es keine Alternative zur Via dei Fori Imperiali.

Der Chef der städtischen Verkehrsbetriebe nannte den Abrißplan »eine absurde Utopie«. Andere Kritiker spotten, Petrosellis Team verwechsle bei dem Feldzug gegen die Autos die Millionenstadt Rom wohl mit einem Indianer-Reservat.

Gleichwohl halten Petroselli, sein Kunstberater Argan und die Umweltschützer von »Italia Nostra« an ihrem Kurs fest. Die Römer, mahnte Petroselli, seien es nicht nur ihrer Stadt und Italien, sondern der ganzen Welt schuldig, »den Verfall des römischen Kulturgutes zu verhindern«.

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