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VERBÄNDE / AXON Beste Gesellschaft

aus DER SPIEGEL 24/1967

Der Oberschüler Rudolf Kothmeier, 17, wollte mit einigen Freunden -»die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit ... auf das Problem der deutschen Wiedervereinigung lenken«. Nur »zur Demonstration« bereiteten sie sich darauf vor, das Haus des italienischen Innenministers Paolo Taviani, 54, in Bavari bei Genua mit einer Maschinenpistole vom englischen Typ »Sten« unter Beschuß zu nehmen.

Roms Geheimpolizisten vereitelten den Anschlag: Sie verhafteten Kothmeier, Sohn eines Deutschen und einer Italienerin, sowie vier weitere Mitglieder einer Gruppe, die sich »Italienische Sektion der Aktion Oder-Neiße« nennt, Ende letzten Monats in Genua.

Die »etwa dreißig« Sektionsmitglieder wurden, wie ein Sprecher des Politischen Büros der Quästur Genua mitteilte, von dem Genueser Deutschlehrer Paolo Castruccio, 41, angeführt, der früher schon in rechten Vereinen gewirkt hatte -- etwa dem Italiener-Bund »Söhne der Sonne«, der nur Bewerber »rein arischer Rasse« aufnahm.

Der Sonnensohn und seine »jungen Fanatiker« (Mailands »Il Giorno") fielen der Polizei auf, als sie in Genua Flugblätter verteilten, die »Freiheit für Ostdeutschland und Sudetenland« forderten. Der Druckvermerk wies aus, daß die Flugblätter im ostfriesischen Zetel für die »Aktion Oder-Neiße« (Akon) gedruckt worden waren.

Außer den Zetteln aus Zetel vertrieben die Akon-Anhänger in Genua selbstgefertigtes Schrifttum -- Schmuck: ein Hakenkreuz; Text: »Großdeutschland muß neu entstehen, wenn in Europa wieder Kultur und Ordnung herrschen sollen.«

In der Nähe Genuas, bei Lago dei Buoi (zu deutsch: Ochsensee), entdeckten Karabinieri am 16. Februar in einem verlassenen Bergstollen ein Arsenal sorgfältig gepflegter Weltkrieg-II-Waffen: über hundert Gewehre und Maschinengewehre, zwei Geschütze, zwei Panzerfäuste, je fünfzehn Minen und Handgranaten, dazu kistenweise Munition.

Und bei der Fahndung nach den Eignern des Ochsensee-Depots stießen italienische Geheimagenten am 28. April wieder auf einen Akon-Anhänger: Andrea Pinasco, 19. Sie sahen, wie er, unter dem Arm eine in Zeitungspapier eingewickelte MP, über die Piazza De Ferrari in Genua spazierte. Weitere Maschinenpistolen und Sprengstoff stöberte die Polizei in den Schränken von Pinasco-Freunden auf.

Veranlaßt durch den Fang ihrer italienischen Kollegen, schwärmten Anfang dieses Monats bundesdeutsche Verfassungsschützer aus, um die Stamm-Akon zu überprüfen -- ein »Sammelbecken rechtsradikaler und chauvinistischer Elemente« ("Frankfurter Rundschau"), dem derzeit, wie der zweite Vorsitzende, Elektromeister Erwin Arlt, 32, aus München, behauptet, »eine vierstellige Zahl von Mitgliedern« angehört. Das Bundesinnenministerium schätzt die Zahl der Akon-Leute freilich nur auf etwa 170 (Vorjahr: 140).

Die »Spitzenreiter der ostdeutschen Sache« (Handzettel-Text), zumeist durch Doppelmitgliedschaft der NPD, dem »Deutschen Kulturwerk« oder rechtsradikalen Jugendbünden verbunden, sind in Orts- und Landesverbänden nur locker organisiert. Bundesvorsitzender des beim Amtsgericht Darmstadt eingetragenen Akon-Vereins ist Wolfgang Geißler, 63, Rechtsanwalt im lippischen Alverdissen.

Als »Volksbewegung gegen den Verzicht auf die Ostgebiete« wurde die Akon im September 1962 von Vertriebenen gegründet, die die Grenzen von 1914 forderten und denen die Landsmannschaften nicht mehr radikal genug waren. Akon-Chef Geißler beklagte zudem, »antideutsche Kräfte« hätten sich in das Vertriebenenlager eingeschlichen.

Bei der Gründung half die rechtsradikale »Deutsche National-Zeitung und Soldaten-Zeitung«, die kostenlos Beitrittsformulare und warmherzige Auf rufe veröffentlichte: »Wollen Sie sich dieser Aktion der Idealisten anschließen? Wir können Ihnen dies nur empfehlen ... Sie werden sich in bester Gesellschaft befinden.«

Von dieser Gesellschaft distanzierte sich 1964 selbst der sonst nicht gerade zimperliche »Bund der Vertriebenen« (BdV). Der hessische BdV gar sprach von »extremen Ostlandreitern«, und das geschäftsführende Vorstandsmitglied der Landsmannschaft Ostpreußen, Egbert Otto, kennt in der Akon »Menschen, die man nicht gern unter den Linden grüßt«.

So ist der Akon der zur Konspiration neigende, im Bundesgebiet wie in Südafrika vertretene nationalistische und antisemitische »Bund Heimattreuer Jugend« (BHJ) als korporatives Mitglied angeschlossen. Die BHJler -- Abzeichen: Odal-Rune; Gruß: »Heil dir!« -- hatten von sich reden gemacht, als Unterführer aus England Hitlerbilder importierten und Ex-Mitglieder in Südtirol in Sprengstoffverbrechen verwickelt waren (SPIEGEL 49/1966). Der Aktion Oder-Neiße dient das Jungvolk durch eine in Braunschweig (Postfach 508> eingerichtete »Akon-Werkstatt«, in der »auf Bestellung Spruchbänder in verschiedenen Größen« angefertigt werden.

Zwar gibt die Akon als ihr Ziel ausdrücklich »die Durchführung von legalen Aufklärungsaktionen« (Werbeaufruf) an, doch in Wirklichkeit erscheint nicht all ihr Tun legal: So tauchten Akon-Flugblätter wiederholt vor Attentaten in Südtirol auf. 1965 gab der damalige Akon-Führer, der Volksschullehrer Joachim Drischel, 43, zu, daß ein Mitglied wegen »irgendwelcher Dinge in Südtirol« habe ausgeschlossen werden müssen.

Zum öffentlichen Wirken der Akon zählten Aktionen wie eine Protest-Sternfahrt zum Handballspiel Kiel gegen Wroclaw, weil Wroclaw nach Meinung der Akon Breslau zu heißen hat. Und -- ähnlich wie bei anderen Heimattreffen -- verteilten Pfingsten beim Sudetendeutschen Tag in München 22 Akon-Leute 8000 ihrer Flugblätter -- mit Sprüchen wie: »Nicht in Berlin, sondern in Warschau ist der Schuldige (am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges) zu suchen ... Der polnischen Schuld muß die polnische Sühne folgen.«

Büßen sollen außer Polen die Sowjet-Union und die Tschechoslowakei: Akon fordert unter anderem -- wie Hitler 1939 das »Korridorgebiet«, ferner das Memelland, Randgebiete der schon 1919 an Polen abgetretenen Provinz Posen und neben dem ehemaligen Sudetengau auch weite Grenzstriche des einstigen Protektorats Böhmen und Mähren.

Die jetzigen Bewohner dieser Gebiete, so verlangte die Akon 1964 auf einem Handzettel, müßten »Deutschland verlassen, wobei ältere, behinderte und besonders loyale Personen verbleiben dürfen«. Nach der Vertreibung der Russen, Polen und Tschechen sollten vor allem »junge Ehepaare« angesiedelt werden, »denen hier die Erfüllung ihrer berechtigten Wünsche nach eigener Häuslichkeit wegen Wohnraummangels und Mietteuerung versagt blieb ... Ferner werden hiesige Industriebetriebe in Ostdeutschland Filialbetriebe einrichten«.

Die Chefideologen der Akon weisen sämtlich dieselbe Couleur auf:

> Der Akon-Bundesvorsitzende Geißler klagt über eine »nationalpolitische Deformierung« des Vertriebenen-Bundes, der »die Tendenzen der Verzichtspolitik entscheidend gefördert« habe, diffamiert die evangelische Kirche als »politischen Partisanen des Bolschewismus« und attackiert Pastoren, die einseitig »in beschränktem Fanatismus (und) mit hohlem Pathos ... immer noch gegen die Konzentrationslager-Greuel« zu Felde ziehen.

> Akon-Beiratsmitglied ist der sudetendeutsche Heimatdichter Wilhelm Pleyer, 66, mehrfacher NS-Literaturpreisträger ("Deutschland ist größer!"), ehemals Förderer des mittlerweile verbotenen Bundes Nationaler Studenten und NPD-Propagandist, dem 1941 der Volksbrockhaus bescheinigt hatte, »bei der Lösung der sudetendeutschen Frage ... wesentlich« mitgewirkt zu haben.

Prominentes Akon-Mitglied ist der Kölner Byzantinist Professor Berthold Rubin, 55, der im Oktober 1962 von Berliner Polizisten festgenommen worden war, weil er mit Hammer und Meißel die Mauer einreißen wollte. Und am dritten Jahrestag des 13. August 1961 protestierte der aktive Luftsportler in den USA mit 17 Fallschirmsprüngen gegen den Mauerbau -- »getreu einer privaten Selbstverpflichtung« (Rubin).

»Symbolische stellvertretende Einsätze für die Wiedervereinigung« mittels Sportflugzeug und Fallschirm plant Akon-Mitglied Rubin, wie er der »National- und Soldaten-Zeitung« verriet, auch in Deutschland. Rubin auf die Frage, ob er etwa Absprünge über der DDR meine, wortkarg: »Sehr heikle Angelegenheit. Darüber kann ich nicht sprechen.«

Ein Rubin-Freund, Willy Glasebock. 66, bezeichnet sich gern als »Kriegsschuld-Experte« und bemüht sich auf Akon-Versammlungen, den »faulen Zahn der Alleinschuldlüge« zu ziehen. Der frühere Zahnarzt befaßt sich als politischer Redakteur der »National- und Soldaten-Zeitung« mit der »Dirne Zeitgeschichte«, »entlarvte« in 119 Fortsetzungen, die auch als Buch vorliegen, die »Kriegsschuldlüge« und »enthüllte« in seinem Blatt manchen »Gaskammer-Schwindel«.

Bei einer Akon-»Großveranstaltung« 1964 in Darmstadt beschränkte sich Propagandist Glasebock nicht nur auf die Forderung nach den Ostgebieten, sondern beklagte auch die Unterdrückung der deutschen Sprache »in Südtirol und Elsaß-Lothringen«.

Ein Jahr später freilich wollte die Akon -- so Ex-Vorsitzender Drischel »mit den Angelegenheiten Südtirols und Elsaß-Lothringens in keiner Beziehung« mehr stehen: In Frankreich waren Flugblätter (Druckvermerk: Akon) mit Gebietsforderungen an Frankreich und Italien aufgetaucht. Drischel dementierte: »Grobe Fälschung, höchstwahrscheinlich von kommunistischen Kreisen.«

Anfang 1965 machte sich Lehrer Drischel »auch aus dem Grunde der Schlagkraft« daran, »sehr spezialisierte Ortsverbände« und Schwesterorganisationen im Ausland zu gründen. Drischel: »In den USA werben wir sogar in Rundfunksendungen.«

In Frankreich war die Akon durch den rechtsradikalen Marseiller Ivan Calzi vertreten. Als bekannt wurde, daß Calzi zugleich Frankreich-Repräsentant der faschistischen »Nordischen Proletarischen Internationale« war, rückte die Akon von ihm ab.

Und auch von ihrem Aachener Mitglied Eckhard Bragard, 24, mußte sie sich distanzieren, weil er eng mit dem belgischen Faschisten Rüdiger van Sande zusammenarbeitete, dem Gründer des flämischen Zweiges der »Weltunion der Nationalsozialisten« (Führer: George Lincoln Rockwell, USA, und Colin Jordan, England).

Bragard und van Sande hatten 1965 allen Bundestagsabgeordneten -- in Belgien gedruckte -- Drohbriefe (Absender: ein anonymer »Oberbrigadeführer") gesandt, in denen denjenigen Parlamentariern, die gegen die Verjährung »der sogenannten NS-Verbrechen« stimmen würden, die Todesstrafe angedroht wurde.

Die Akon-Leitung mußte auch dementieren, daß sie Beziehungen zu skandinavischen Nazi-Gruppen habe, auf deren Dienstpost Anti-Verzichts-Klebemarken der Akon entdeckt wurden. Schließlich distanzierte sich Drischel von einem in Hessen aufgetauchten Akon-Flugblatt, das gegen Willy Brandt gerichtet war, »der sich nicht schämte, in das besiegte Deutschland in norwegischer Majorsuniform als Sieger einzuziehen«. Drischel: »Ohne Billigung des Vorstandes herausgebracht.«

Den von Vertriebenenfunktionären des BdV geäußerten Verdacht, daß hinter der Serie politischer Brandstiftungen an den Haustüren Berliner »Verzichtler« -- wie Graß -- Mitglieder der Aktion Oder-Neiße ("Verzicht ist Landesverrat") stecken, hält der neue Akon-Chef Geißler für unbegründet: »Wir haben in Berlin gar keinen Landesverband.«

So sind die Akon-Leute ständig damit beschäftigt, zu dementieren und sich zu distanzieren. Das allerjüngste Dementi: Der Akon-Chef will mit den in Italien ertappten Akon-Anhängern nichts zu tun haben. Geißler: »Das ist doch alles Kohl. Diese Leute kenne ich gar nicht. Denen haben wir höchstens mal auf Anforderung unsere Flugblätter geschickt.«

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