Zur Ausgabe
Artikel 16 / 86

Namen Bestimmte Richtung

Seit zwei Jahren kämpft ein bayrisches Ehepaar darum, seinen Sohn standesamtlich »Che« nennen zu dürfen. Behörden und Gerichten ist die Namensverwandtschaft mit dem südamerikanischen Revolutionär nicht geheuer.
aus DER SPIEGEL 11/1972

In 27 Jahren Amtsausübung hatte Jakob Wachinger, Standesbeamter im oberbayrischen Erding, Neugeborenes stets wunschgemäß beurkundet: auf Josef oder Maria, Kreszenzia oder Nepomuk. Am 13. Februar 1970 aber weigerte er sich, ein Kind beim Namen zu nehmen, und er schrieb in die Geburtsurkunde »Nr. 73/70": »Ein Knabe, der noch keinen Vornamen erhalten hat.«

Der Knabe ist mittlerweile zwei Jahre alt und von Amts wegen noch immer vornamenlos. Denn an bayrischen Behörden und Gerichten scheiterten bislang alle Versuche der Eltern, des technischen Angestellten Heinz-Georg Treyz und seiner Frau Maria, ihrem Sohn das »Andenken an einen großen Revolutionär der Gerechtigkeit« mitzugeben: Treyz junior soll -- zur Hälfte nach dem getöteten Guerilla Ideologen Ernesto »Che« Guevara -- »Che-Michael« heißen.

Schon die Hebamme Margarete Trinkl hatte Vorbehalte gegen den revolutionären Namenspatron ("Ich bin eine religiöse Frau") -- sie verweigerte den Namenseintrag im Mutterpaß. Und der Standesbeamte, der sich schon gar nicht durch Hinweise auf den amtlich genehmigten »Hosea Che« Dutschke, Sohn des ehemaligen SDS-Führers, umstimmen ließ, schickte das Ehepaar Treyz auf den Instanzenweg: »Wir sind hier in Bayern und nicht in Berlin.«

Landratsamt und Vormundschaftgericht bestätigten Wachingers schnelle Erkenntnis: »Che« sei, auch in Verbindung mit dem deutschen Michael, »als Vorname nicht eintragungsfähig«. Oberamtsrichter Richard Ratzinger erläuterte: Guevaras Beiname »Che« stamme aus dem »argentinischen Slang«, bedeute »in freier Obersetzung sowohl »Mensch' als auch »du' oder auch »he'«, und könne deshalb »nicht einmal als ... Spitzname bezeichnet werden«.

Die 16. Zivilkammer des Landgerichts München 1, die jüngst auf zehn Seiten begründete, warum sich die strittige Silbe »nicht mehr in den Grenzen« der vorgeschriebenen »allgemeinen Sitte und Ordnung« halte, machte sich überdies Sorgen um »das Wohl des Kindes. -- -- damit es nicht mit einem möglicherweise ». Anstoß erregenden Namen durch das Leben geht«.

Der Gedanke, daß die »Persönlichkeit des Revolutionärs in Vergessenheit« geraten könne ("Derzeit kaum noch zu übersehende seelische Belastungen können die Folge sein"), beschäftigte die Richter dabei ebensosehr wie die Vorstellung, »daß Guevara einen hervorragenden Platz in der Geschichte erhält« ("Ist zu bedenken, daß er als Repräsentant einer bestimmten, sehr extremen politischen Richtung gilt").

Bei derartiger Besorgnis schien es denn auch nicht auszudenken, daß das »Verhalten« des bayrischen Buben eines Tages »am Leben des Vorbildes gemessen« werden könnte. Selbst das eigens vom Gericht eingeholte Gutachten der Wiesbadener »Gesellschaft für deutsche Sprache« hinterließ keinen Eindruck -- obschon darin sorgfältig dargetan wurde, warum »man »Che' im Deutschen zweifellos Eigennamen-Charakter zusprechen« müsse. Und auch der Hinweis verfing nicht, daß »Che« bereits als Solo-Vorname amtlich ist: etwa als Che Steinhausen in Köln-Ehrenfeld und Che Thiemig in Witten an der Ruhr.

Es gibt ihn sogar -- wie das Ehepaar Treyz, das den Namensstreit nun mit einer Verfassungsklage weitertreiben will, vergeblich vor Gericht anführte -- schon in Oberbayern: Sohn eines Versicherungskaufmanns im Marktflecken Staudach-Egerndach. Er heißt Che Christian Fäusten Pospisil.

Zur Ausgabe
Artikel 16 / 86
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren