ISRAEL Besuch aus der Wüste
Israel, für den Palästinenser-Sender »Saut el-Arab« unverändert die »zionistische Hölle«, ist im Bewußtsein vieler Araber etwas ganz anderes geworden: ein Touristenparadies. Über 200 000 Araber werden Ende des Jahres Israel besucht haben -- und damit die größte Touristengruppe des Judenstaates (Gesamtzahl: 750 000) sein.
Offiziell freilich kommen die Wüstensohne nur deshalb ins Land ihrer Feinde, um Freunde und Verwandte im besetzten Westjordanien zu besuchen. Sie nutzen eine Besuchsregelung« die ihnen seit 1968 in den Sommermonaten eine unbürokratische Grenzüberquerung gestattet. 1968 machten nur 16 000 heimatvertriebene Palästinenser davon Gebrauch, 1969 nur 26 000. Ein sprunghafter Anstieg im vergangenen Jahr beweist: Die zum Teil aus entlegenen Wüsten anreisenden Araber schauen sich, einmal in Israel angekommen, im Feindstaat auch ausgiebig um.
Sie reisen weiter ins israelische Kernland, besuchen Tel Aviv und seinen Zoo, baden an den Stränden von Herzlija und Akko. Allein bis Juli hatten 25 000 Araber die Knesset, das israelische Parlament, besucht -- in der vergeblichen Hoffnung, dort jene legendäre »Landkarte zionistischer Aggressionsgelüste« (Radio Kairo) zu finden, auf der ein Israel vom Euphrat bis zum Nil eingezeichnet sein soll.
Jordanische Grenzwächter warnen die Besucher, in Israel ihr Geld zu vergeuden, »weil die Zionisten damit amerikanische Flugzeuge kaufen«. Doch die Reisenden aus Saudi-Arabien, dem Libanon und Jordanien knausern auch im Feindesland nicht mit ihren Rials, Piastern und Dinaren: Durchschnittlich 1500 Mark geben sie in Israel aus -- fast doppelt soviel wie die meisten Touristen aus Übersee (805 Mark).
Einziger Unterschied: Aus patriotischem Taktgefühl oder schlicht »um Unannehmlichkeiten auszuweichen« (so Ahmed Balti, Buchhalter einer Erdölgesellschaft in Libyen), entfernen die meisten Besucher vor ihrer Rückkehr in die Heimat säuberlich Markenzeichen und Etiketts von Kameras und Staubsaugern, die sie in Israel gekauft haben.
Wer nicht zum Vergnügen kommt, hat andere Gründe: Er läßt sich in israelischen Krankenhäusern operieren oder chronische Leiden heilen (so die Schwester des palästinensischen Volksfront-Führers Georges Habasch) oder will gar selbst mitverdienen am arabischen Touristen-Boom. Ismael Haddar und Kassem Sukbah etwa, zwei beliebte Pop-Stars aus Amman, wohnen im exklusiven Istiklal-Hotel in Nablus und treten abends in den Nachtklubs von Ramallah auf.
Andere Besucher wollen ganz dableiben. 6000 geschäftstüchtige Araber haben derzeit Anträge auf Dauer-Wohnsitz in Israel gestellt. Auch Walid Salah, 55, ehemals Außenminister, später Vorsitzender der Anwaltskammer Jordaniens, jetzt Advokat, erhofft sich in Israel bessere Kundschaft. Über seinen Antrag wurde noch nicht entschieden.
Der Tourismus über den Jordan ist zugleich ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Rumpf-Jordanien, dessen Besucherzahl von einer halben Million im Jahr vor dem Juni-Krieg 1967 auf 85 000 im vergangenen Jahr gefallen ist und das seither dennoch viel Geld in seine Touristik gesteckt hat, lockerte zum erstenmal seit 1948 die Einreisebestimmungen für Besucher aus Israel, selbst für jüdische, sofern sie nicht Israelis sind.
Auf der Jagd nach den bitter benötigten Touristen-Devisen nutzte der listige König Hussein den politischen Schein: Da sich die Besucher ja schon in Jordanien befänden, wenn sie aus dem besetzten Ost-Jerusalem einreisen (so die offizielle Leseart), seien auch die bislang strengen Ein Reisebestimmungen (teurer Umweg über Athen oder Nikosia> fiberflüssig geworden.
Im Schatten der Politik haben sich derweil die Reise-Agenturen daran gemacht, aus diesen Erleichterungen die erstrebte kommerzielle Nutzanwendung zu ziehen. Israels Studenten-Reiseagentur ISSTA zweigt Israel-Touristen für drei- bis siebentägige Ausflüge nach Petra, Amman und Akaba ab. Jordanische Reiseunternehmen gehen den für sie näherliegenden Weg: Sie werben, vorläufig noch hinter vorgehaltener Hand, in Übersee selbst um Urlauber für Israel, die freilich über Jordanien billiger einreisen sollen -- per Charterjet aus den USA oder Europa.
Israel nämlich verbietet Charterflüge ins eigene Land -- bislang, um die eigene Fluggesellschaft »El Al« nicht zu benachteiligen, künftig, um den feindlichen Geschäftspartnern von jenseits des Jordan ganz bewußt einen Vorteil einzuräumen, freilich nicht, um Wohltätigkeit walten zu lassen: Der Staat der Juden versucht vielmehr, sich mit Geld jordanische Zurückhaltung zu erkaufen.
Das Geschäft läßt sich gut an: Über 15 000 Israel-Besucher, überwiegend aus USA, sind bereits mit Charterjets in Amman eingefallen. Sam Greenbaum, jüdisch-orthodoxer Student aus New York, war erstaunt über das Ausmaß der Anpassung: In Ammans Philadelphia-Hotel wurde ihm koscheres Essen serviert, als sei dies die selbstverständlichste Sache der Welt.
In erprobter Stille bereiten Israel und der Libanon derzeit eine ähnliche Regelung vor. Seit Wochen wird am Abhang von Rosch Hanikra der einzige offizielle Grenzübergang zwischen beiden Ländern renoviert und ausgebaut.
Auch hier, wo seit 1948 nur gelegentlich Diplomaten oder Vertreter des Roten Kreuzes passierten, sollen in Zukunft Touristen ohne Umstände von der einen feindlichen Welt in die andere wandern dürfen.