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Briefe

BETRIEBSAUSFLUG
aus DER SPIEGEL 43/1966

BETRIEBSAUSFLUG

Was unser Kanzler in den letzten Wochen so öffentlich erklärte, kann man nicht mehr als Regierungs-, sondern muß man als Bankrotterklärungen bezeichnen.

München ALBERT LEITNER

Durch die Art und Weise seines Betriebsausflugs nach Amerika hat Erhard nicht nur sich abqualifiziert, er hat unser Volk in den Augen der USA als Volk von Lackeln blamiert, die sich von ihrer Obrigkeit alles gefallen lassen.

Köln SIEGBERT RUDOW

Es war wirklich der Gipfel politischer Taktlosigkeit und Dummheit, zu diesem Zeitpunkt und solchen Verhandlungen mit Kind und Kegel am Potomac aufzukreuzen. Und obendrein noch mit ganz und halb abgehalfterten Ministern. Ist der Volksuhu nun völlig von allen guten Geistern verlassen?

Köln ODO VONIER

Ich habe natürlich volles Verständnis dafür, daß Herr von Hassel noch mal schnell auf unsere Kosten seine Eheliebste in die Neue Welt mitreisen läßt. Kann er doch mit einiger Sicherheit damit rechnen, in einigen Wochen, in einigen Monaten für solche Unternehmung in die eigene Tasche greifen zu müssen (und unseren Obermaßhalteapostel mögen ähnliche Gedanken bewegt haben, als er sich entschloß, Frau Luise mitzunehmen - weiß er denn, was da in Cadenabbia ausgebarzelt wird!).

München ILSE BUCHHOLZ

Wenn schon die Herren kein Fingerspitzengefühl haben, so kann man doch eigentlich annehmen, daß eine der Damen soviel Grips besessen hätte und sagen würde, »das geht nicht«.

Berlin MARGARETE RAUE

Die andauernden ein- und aufdringlichen Appelle an die Adresse Washingtons, keine Truppen aus der Bundesrepublik abzuziehen, mögen die cleveren Yankee-Gentlemen auf die naheliegende Idee gebracht haben, Bonn zur Kasse zu bitten - als Lohn für eingestandene Bonner Angst.

Altenhof (Schlesw.-Holst.) INGE INGELE

Anläßlich seines letzten Amerika-Besuchs benutzte der Bundeskanzler in Kommuniqués der Bundesregierung das Wort vom harten Verhandeln. Die Sachfragen sind in etwa bekannt. Harte Verhandlungen dürften jedoch kaum zutreffend gewesen sein, allenfalls eine latente Kapitulation. Denn, Herr Bundeskanzler, wie können Sie hart verhandeln, ohne vorher durch eine entsprechende Taktik eine einigermaßen günstige Ausgangsbasis für harte Verhandlungen geschaffen zu haben.

Nehmen Sie das französische Beispiel. Verlangen Sie den Abzug aller amerikanischen Truppen aus der Bundesrepublik. Sie bringen so die augenblickliche amerikanische strategische Konzeption in Schwierigkeiten, die auch bei der unausweichlich kommenden Truppenreduzierung auf die Nachschubdepots im südwestdeutschen Raum angewiesen ist. Die »Big Lift«-Manöver haben letzteres deutlich gezeigt. Auch heute noch braucht Amerika das europäische wie auch das asiatische Areal (Japan, Korea), um seiner augenblicklichen Rolle gerecht zu werden. Sie können es sich also leisten, erst nach langen, schwierigen Verhandlungen, wobei wir dieselben schwierig gestalten könnten (siehe Frankreich), kompromißbereit zu sein und den Verbleib von zwei, bis drei amerikanischen Divisionen plus Nachschubbasen und Kommandostruktur in der Bundesrepublik zu genehmigen (natürlich ohne dafür zu bezahlen). Mit dem Verbleib dieser Truppen ist der vielzitierte Stolperdraht erhalten, jedoch unter für Deutschland wesentlich günstigeren Voraussetzungen, als wenn wir, wie jetzt geplant, erhebliche Summen zahlen und im Endergebnis auch keine größeren amerikanischen Schutzkräfte im Land haben. Diese Entwicklung müßte selbstverständlich sorgfältig mit de Gaulle, der die jetzt eintretende Entwicklung vorausgesehen hat, abgestimmt werden.

Die sich im Augenblick anbahnende Entwicklung wird uns zu Zahlungen zwingen, von denen wir nichts mehr haben, da die amerikanischen Truppenreduzierungen schon so gut wie beschlossen sind.

Leimen (Bad.-Württ.)

HANS-JOACHIM SCHWITZKE

Der gottvolle Bericht »Regierung auf Abruf« führt nicht nur zu der Frage nach Ludwig Erhards Politikerqualität (im Sinne von Konrad Adenauer), sondern auch danach, was es eigentlich mit Erhards Nimbus als Wirtschaftspolitiker auf sich hat. Von wirtschaftswissenschaftlicher Seite ist da manch hartes Urteil gesprochen worden, und in der Wirtschaft lacht man seit langem über seine »Seelenmassage«. Doch wird es schon noch etwas dauern, bis allgemein klar wird, daß Erhard mit dem Wirtschaftsaufstieg im Grunde gerade so viel zu tun hat wie der Klapperstorch mit dem Bevölkerungszuwachs. Darf man an die erste »Bewährung« dieses Könners auf dem Felde der Wirtschaftspolitik erinnern, an seine

Lorbeeren als bayrischer Wirtschaftsminister vom Oktober 1945 bis Dezember 1946, sozusagen zu einer 20-Jahres -Feier?

Ende 1946 waren die Zeitungen Bayerns voll von Hinweisen auf allerhand Unerfreuliches aus der Wirtschaftsministerzeit von Ludwig Erhard in München. Ein vergilbtes Protokoll im Archiv des Bayerischen Landtags weiß darüber einiges zu sagen. Am 28. Januar 1947 setzte nämlich der Landtag auf Antrag der SPD einen »Ausschuß zur Untersuchung der Mißstände im Bayerischen Wirtschaftsministerium und den Wirtschaftsämtern« ein, einen Ausschuß, der in 17 Sitzungen nach Vernehmung, zum Teil eidlich, von 50 Zeugen seinen Bericht am 29. September 1947 abschloß. Zweifel an Erhards persönlicher Lauterkeit ausdrücklich ablehnend, stellte der Ausschuß fest, »daß der Minister seine Aufgabe nicht so geführt hat, wie man es von ihm hätte erwarten dürfen«. Weiter sagt er in der damaligen Niederschrift, »... daß er zuviel Theoretiker war, daß ihm die nötige Verwaltungserfahrung fehlte und daß er es nicht verstand, sich die Mitarbeiter zu suchen, die das, was ihm fehlte, ersetzten«. Der keineswegs von einem Sozialdemokraten, sondern vom CSU -Abgeordneten und Untersuchungsführer Dr. Schlögl unterzeichnete Bericht fährt fort: »... im Ministerium sei überhaupt keine klare Linie zu erkennen gewesen über die Aufgaben, die es zu erfüllen hatte.«

Dann wurde der späteren Symbolfigur des Wirtschaftswunders attestiert: »So habe ein großes Durcheinander geherrscht, man könne sogar sagen Schlamperei.« Diese erfrischende bayerische Deutlichkeit wurde vom früheren Staatssekretär im Bayerischen Wirtschaftsministerium Fischer übersetzt in »nur improvisiert, keine Planung«. Dazu genügt dann sicherlich als Ergänzung: »Aus den unklaren Verhältnissen, die auf dem Gebiet der Verwaltung und der Personalpolitik im Wirtschaftsministerium herrschten, erklären sich auch die vielen Korruptionserscheinungen.« Der frühere Münchner OB Thomas Wimmer, damals auch MdL, konnte dementsprechend im Plenum äußern: »So, wie da gearbeitet worden ist, macht man Würste, aber nicht ministerielle Arbeit.«

Kulmbach (Bayern) OTTO MOHRMANN

SPD-MdL

Mohrmann

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