WEHRBEAUFTRAGTER Bettenbau mit dem Lineal
In wenigen Wochen will der Bundestag in Bonn ein Gesetz beschließen, über das zur Zeit der Verteidigungsausschuß des Deutschen Bundestages berät. Das Gesetz soll das Verfassungsleben der Bundesrepublik um eine Novität bereichern: um den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages. Zum ersten Mal in der deutschen Verfassungsgeschichte wird sich die Volksvertretung damit ein eigenes Exekutiv-Organ bestellen, dessen Amtspflichten tief in die Befugnisse von Bundes- und Länderbehörden eingreifen werden.
Der Entschluß, einen solchen »Wehrbeauftragten des Bundestages« zu schaffen, ist das Resultat jenes tiefen Mißtrauens, mit dem die Mehrheit der westdeutschen Politiker nach wie vor dem deutschen Militär gegenübersteht. Die Institution des Wehrbeauftragten wurde sogar im Grundgesetz verankert, als es Konrad Adenauers Regierungskoalition im Frühjahr unternommen hatte, das Grundgesetz so zu ändern, wie es für die Remilitarisierung erforderlich war. Die SPD hatte ihre Zustimmung zu den Grundgesetzänderungen damals unter anderem davon abhängig gemacht, daß auch der Posten des Wehrbeauftragten in der Verfassung verankert wird. So gibt es seit dem 19. März 1956 den Artikel 45 b im Bonner Grundgesetz, der lautet:
Zum Schutz der Grundrechte und als Hilfsorgan des Bundestages bei der Ausübung der parlamentarischen Kontrolle wird ein Wehrbeauftragter des Bundestages berufen. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz.
Den Wehrbeauftragten hatte der SPD -Bundestagsabgeordnete Ernst Paul noch in den EVG-Zeiten kreiert. Paul war schon während seiner Emigration in Schweden auf die Institution des »Militieombudsman«, des Wehrbeauftragten, gestoßen. Anfang 1954 wurde Paul dann vom Verteidigungsausschuß zu einer Studienreise
in den Norden entsandt. Seit jenen Tagen ist Schweden, das länger als ein Jahrhundert keinen Krieg geführt hat, für Paul und viele andere westdeutsche Parlamentarier das Musterbeispiel für ihr Ideal einer Bürgerarmee und einer strengen zivilen Kontrolle über die Truppe.
Pauls Anregung, den »Militieombudsman« nach Deutschland zu verpflanzen, fiel auf fruchtbaren Boden. In der CDU/CSU war es der Vizepräsident des Bundestages, Richard Jaeger, der mit einer Gruppe Gleichgesinnter die teils gleichgültige, teils widerstrebende Mehrheit der Christdemokraten-Fraktion von dem Nutzen eines Wehrbeauftragten überzeugte.
Aufgabe eines solchen Wehrbeauftragten soll es sein, »auf die Wahrung der Grundrechte aller Angehörigen der Bundeswehr und die Einhaltung der Gesetze und Vorschriften im Bereich der dem Bundesminister für Verteidigung unterstehenden zivilen und militärischen Einrichtungen zu achten, statistische Auskünfte über die Ausübung der Disziplinargewalt zu beschaffen und alle Beschwerden bezüglich der Bundeswehr nachzuprüfen«.
Zu diesem Zweck soll der Wehrbeauftragte »Aufzeichnungen über die bei ihm anhängigen Beschwerden sowie über Wahrnehmungen bei seinen Besuchen bei der Bundeswehr führen und jährlich einen schriftlichen Bericht über seine Tätigkeit an den Bundestag richten«.
Gegen diese ausführliche Aufzählung der Pflichten des Wehrbeauftragten hat sich bei den internen Ausschußberatungen vor allem der Militärexperte der CDU gewandt, der Oberst im Generalstab außer Diensten Berendsen. Der Oberst, dem Theo Blank eine Generalsstelle versprochen hatte, hält als alter Berufssoldat nicht viel von der ganzen Sache. Er beantragte deshalb, dem betreffenden Gesetzesparagraphen die bündige Fassung zu geben: »Der Wehrbeauftragte prüft die Einhaltung der Rechte und Pflichten der Angehörigen der Bundeswehr und berichtet über die dabei festgestellten Wahrnehmungen dem Bundestag.« Eine ähnlich kurze Formulierung schlug der ebenso zackige wie unbeliebte DP-Abgeordnete Herbert Schneider - einst Generalstabsoffiziers-Anwärter - aus Bremerhaven vor. Beide Anträge wurden jedoch abgelehnt.
So weitgehend wie die Pflichten sollen auch die Rechte des Wehrbeauftragten sein. Er wird vom Verteidigungsminister und allen diesem unterstellten Dienststellen und Personen Auskunft, Berichte und Akteneinsicht verlangen können. Er wird wie ein Staatsanwalt von Amts wegen jeden Fall, der seinen Aufgabenbereich berührt, aufgreifen und die notwendigen Erhebungen vornehmen können. Er wird alle Truppen, Stäbe und Verwaltungsstellen der Bundeswehr jederzeit und ohne vorherige Anmeldung inspizieren dürfen. Er wird schließlich vom Verteidigungsminister und von den Justizministern des Bundes und der Länder regelmäßig Berichte über »die Ausübung der Strafrechtspflege gegen Angehörige und in Sachen der Bundeswehr« anfordern können.
Wenn der Verteidigungsausschuß des Bundestages, der seine Beratungen über das Gesetz fast abgeschlossen hat, nun noch den Antrag des Abgeordneten Paul annimmt, nach dem der Ausschuß dem Wehrbeauftragten für seine Arbeit allgemeine Richtlinien und in einzelnen Fällen sogar Weisungen erteilen kann - wofür sich bereits ein Teil der Ausschußmitglieder ausgesprochen hat -, dann sind die Abgeordneten nicht nur in bezug auf die notwendige Kontrolle der Bundeswehr bis an die äußerste Grenze des Möglichen gegangen. Der Verteidigungsausschuß des Parlaments hätte dann auch alle Möglichkeiten, sich auf dem Gebiet der Militärpolitik zu einer Art Gegenregierung zu entwickeln.
Zu dem rührigen Betätigungsdrang der Abgeordneten in militärischen Fragen haben vor allem die unzähligen Pannen beigetragen, die bei dem überstürzten Aufbau der Bundeswehr unter Theo Blank auftreten mußten. Auf den Tischen der Parlamentarier häufen sich die Briefe, in denen Soldaten über die mangelhafte Unterbringung, über die Zeitvergeudung bei der Ausbildung wegen des Fehlens von Waffen und Gerät und nicht zuletzt
über den wiederauflebenden Kommißgeist klagen. In solchen meist mühsam gekritzelten Schreiben heißt es dann:
»Schleifer Platzek von 08/15 feiert hier fröhliche Wiederauferstehung. Ich hatte einen normalen Haarschnitt, wie ich ankam, den zweiten Tag, wo ich hier war, wurde ich bereits angeschrien mit den Worten: 'Machen Sie, daß Sie zum Friseur kommen und kommen Sie nicht unter Streichholzlänge wieder.' Bettenbau wird nach dem Lineal gehandhabt. Für ein im schlechten Zustand empfangenes Besteck kann ich mich eine Woche lang beim Unteroffizier mit dem Besteck in tadellosem Zustand melden. Die Rekruten, die mit mir eingetreten sind, stehen eine halbe Stunde vor dem Wecken auf, aus Angst, sonst nicht fertig zu werden. Die Ausbildung geschieht durch ehemalige Grenzschützer, und da heißt es wieder: Jawohl, Herr Gefreiter!' oder 'Bitte an Herrn Gefreiten vorbeigehen zu dürfen!' Der Unteroffizier begrüßte uns mit den Worten: 'Wir wollen hier keinen Verein wie die Franzosen aufziehen, hier geht es nach preußischem Muster.'«
Auch in der Unterabteilung Innere Führung desVerteidigungsministeriums treffen derartige Klagen ein. Sie haben den Erfolg gehabt, daß jetzt die Bundeswehr-Schule für Innere Führung beschleunigt eingerichtet wird, auf der im kommenden Jahr versucht werden soll, den Kommandeuren beizubringen, wie schwer es ist, in einer Demokratie Soldat zu sein. Der Bundeskanzler, der einen der ersten provisorischen Lehrgänge dieser Art vor zwei Wochen besuchte - der Lehrgang wird zur Zeit mangels einer anderen Unterkunft in den verschiedenen Kneipen von Konrad Adenauers Heimatort Rhöndorf abgehalten -, hat sich von Nutz und Frommen dieser Arbeit jedenfalls überzeugen lassen.
Ob der Wehrbeauftragte die in ihn gesetzten Erwartungen erfüllen kann, hängt von dem Mann ab, der auf diesen hochdotierten Posten - für fünf Jahre - gewählt werden wird. Er darf kein anderes öffentliches Amt ausüben, also kein Abgeordneter sein, wird wie ein Staatssekretär besoldet werden und auch pensionsberechtigt sein. Sein Stellvertreter wird das Gehalt eines Ministerialdirektors beziehen. Beide sollen außerdem eine jährliche Aufwandsentschädigung von 2400 Mark erhalten.
Um die Frage, ob es einen Stellvertreter überhaupt geben soll oder nicht, ist es im Ausschuß zu harten Auseinandersetzungen gekommen. Die beiden großen Parteien, CDU und SPD, wurden sich jedoch schnell einig. Sie traten für einen Stellvertreter ein. Diese Lösung verbürgt, daß die Kandidaten der beiden Parteien auf jeden Fall durchkommen. Die kleinen Parteien FDP und DP opponierten vergebens.
Der Freie Demokrat und Ritterkreuzträger Erich Mende erboste sich, daß der »Wiener Proporz« der großen Koalition, das neue Schreckgespenst der FDP, bereits fröhlichen Einzug halte*.
Auch das Problem, welche Qualifikationen der Wehrbeauftragte mitbringen müsse, war hart umstritten. Er soll mindestens 40 Jahre alt sein (die SPD hatte ursprünglich ein Mindestalter von 35 Jahren gefordert). Er muß mindestens ein Jahr Wehrdienst geleistet haben. Eine Anregung des Abgeordneten Berendsen, man solle festlegen, daß der Wehrbeauftragte auch Vorgesetzter gewesen sein müsse, wurde abgelehnt, ebenso der Vorschlag Richard Jaegers, der Wehrbeauftragte müsse Jurist sein. Berendsen erklärte im Ausschuß: »Die Rechtsgelehrsamkeit soll für den Wehrbeauftragten weder eine Vorbedingung noch ein Ausschließungsgrund sein.«
Wer die erstrebenswerte Stellung des Wehrbeauftragten oder dessen Stellvertreters zum erstenmal erhalten soll, ist noch ungewiß. In der CDU-Fraktion denkt man an den Abgeordneten Georg Kliesing, 45, einen Studienrat aus Honnef am Rhein, der eine leichte Neigung zum Moralisieren zeigt, aber bisher von der ihm zugedachten Aufgabe nicht übermäßig begeistert ist. Kliesing war Oberleutnant der Panzerwaffe und vier Jahre Kriegsgefangener in Rußland. Er hat auch auf den hinteren Bänken der SPD zahlreiche Sympathien.
Als Stellvertreter des Wehrbeauftragten Kliesing wird auf diesen Bänken der SPDAbgeordnete Hauptmann außer Diensten und Ritterkreuzträger Fritz Eschmann, 47, protegiert.
Damit der Wehrbeauftragte und sein Stellvertreter für ihre Tätigkeit auch eine breite parlamentarische Vertrauensbasis erhalten, will der SPD-Abgeordnete Paul nun noch erreichen, daß die beiden vom Parlament mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden müssen.
* Die österreichische Regierungskoalition zwischen der Christlichen Volkspartei und den Sozialdemokraten hat alle Regierungs- und Koalitionsposten untereinander aufgeteilt.
CDU-Abgeordneter Kliesing
Kommt der Wiener Proporz?
SPD-Wehrpolitiker Paul
Demokratische Entdeckung in Schweden