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PAKISTAN / BÜRGERKRIEG Biafra in Vietnam

aus DER SPIEGEL 14/1971

Zweieinhalb Jahrzehnte lang hielten der Glaube an Allah und die Bajonette einer gutgedrillten Armee den unmöglichsten Kunststaat der Welt zusammen. Als die bewaffnete Macht sich zuerst weich zeigte, dann ihre Bataillone aber aufeinander schossen, löste sich die nach Bevölkerung fünftstärkste Nation der Welt mi Blut Ihrer Bürger auf.

Als Heimat der Moslems auf dem indischen Subkontinent hatte der Freiheitsprophet Mohammed All Jinnah 1947 das »Land der Reinen« (Pakistan) gegründet. Es war eine von Anfang an problematische Heimstatt: Durch 2000 Kilometer feindliches Indisches Territorium getrennt, führten die eher dem Orient zugewandten, Urdu schreibenden Pandschabis sowie die südostasiatischen Bengalen mit eigener Sprache, Schrift, Kultur und völlig anderem Temperament jeweils ihr Eigenleben.

»Wenn sich Bengalen als Bengalen und Pandschabis als Pandschabis -- nicht mehr als Pakistanis -- fühlen, ist es mit dem Staate Pakistan aus«, prophezeite schon damals der Staatsgründer.

Die Westpakistanis, obwohl in der Minderheit (knapp 60 Millionen), unterdrückten die Bengalen (72 Millionen) und beuteten die ärmeren Landsleute in bester kolonialer Tradition aus. Unter der Herrschaft der fast ausschließlich westpakistanischen Bataillone kuschten die Bengalen viele Jahre lang. Doch vor zwei Jahren stürzten sie den westpakistanischen Militär-Präsidenten Ajub Khan. Ihre große Stunde kam, als der neue uniformierte Landesherr Jahja Khan dem Land der Reinen die Demokratie verschrieb. Bei Wahlen im Dezember 1970 gewann Scheich Mudschib-ur Rahman, genannt der »Tiger von Bengalen«, die absolute Mehrheit. Er forderte darauf absolute Autonomie für den Ostteil des Landes.

Diesem Wunsch sagte der Sieger im Westen, der frühere Außenminister Zulfikar Ali Bhutto, kompromißlosen Kampf an. Er wollte die Vorherrschaft Westpakistans aufrechterhalten -- unter seiner eigenen Führung.

Soldat Jahja suchte zu vermitteln. Er flog Mitte März zum Führer der Bengalen. Elf Tage lang rangen der General und der Scheich in Dakka um einen Kompromiß -- doch die Weichen standen längst auf Konflikt.

Mudschib konnte keinen Schritt zurück, seine von »Bangladesh« -- dem »Land der Bengalen« -- aufgeputschten Landsleute hätten ihn gesteinigt. Hinter Jahja drängten der machtbesessene Bhutto und die Falken der Pandschabi-Militärkaste, die den geschwätzigen Bengalen zu gern über Kimme und Korn zeigen wollten, wer der wahre Herr im Land ist.

Sie hatten es schon durchgesetzt, daß der gefürchtetste Haudegen der Armee, General Tikka Khan, den Befehl über die Garnisonen im Osten (40 000 Mann) übernahm. Und sie verschifften insgeheim noch über zehntausend Elite-Krieger nach Bengalen.

Der Scheich wiederum hatte Fakten geschaffen, indem er in den letzten Wochen die Herrschaft über Ost-Pakistan übernahm. Mittels 35 Dekreten regelte er das gesamte öffentliche Leben; kein Bürger gehorchte mehr dem Wort eines Westpakistanis.

Zum Eklat kam es, als auch Bhutto in Dakka auftauchte und die Autonomie-Forderungen seines Kontrahenten Mudschib als hochverräterische Loslösungs-Bewegung brandmarkte.

Letzten Donnerstag verließen die westpakistanischen Unterhändler fluchtartig Ostpakistan. In der Hafenstadt Tschittagong schossen Soldaten in eine Volksmenge, die das Ausladen von Kriegsmaterial für den Bürgerkrieg zu vereiteln suchte.

General Tikka Khan verhängte Ausgangssperre und forderte die sofortige Ablieferung aller Waffen. Bengalen-Führer Mudschib rief über einen Geheimsender »Stimme Bengalen« die Unabhängigkeit von »Bangladesh« aus; seinem Volk befahl er, »dem Feind bis zum letzten in jedem Winkel Bengalens Widerstand zu leisten«.

Am Freitag brach das Chaos eines Bruderkriegs mit noch unabsehbaren Folgen über Pakistan herein. Bengalische Regimenter lieferten ihren Kameraden aus dem Westen erbitterte Gefechte. Polizei, Parteimiliz und bewaffnete Studenten marschierten in den Kampf für ein freies Bengalen.

Die Lage der nun etwa 60 000 westpakistanischen Soldaten unter 72 Millionen fanatischen Feinden ist auf lange Sicht zwar hoffnungslos -- aber sie können in einem der dichtestbevölkerten Landstriche der Erde ein unvorstellbares Blutbad anrichten. Hunderte Bengalen starben bereits am ersten Tag.

Prophetisch hatte die in Asien angesehene »Far Eastern Economic Review« schon Mitte März den Horror eines Bruderkrieges in Ostpakistan als ein »vietnamisiertes Biafra« geahnt.

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