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STRAUSS-BEFEHL Bier-Order 61

aus DER SPIEGEL 19/1962

Dem Bundeswehr - Oberbefehlshaber Franz-Josef Strauß steht Schweres bevor.

Der Wehrdienstsenat des Bundesdisziplinarhofs und der Wehrbeauftragte des Bundestages haben ihm auferlegt, vor den Kommandierenden Generalen, Divisions- und Regimentskommandeuren sowie Geschwader-Kommodores der westdeutschen Luftwaffe

- zu bekennen, daß er Unrecht getan hat, und

- den Befehl zu widerrufen, der eben

jenes Unrecht begründete.

Mit solch einem Canossa-Gang soll Strauß eine Affäre aus der Welt schaffen, die unter dem Stichwort »Bier -Order 61« den Fliegerkasinos schier unerschöpflichen Gesprächsstoff liefert, nach Meinung des Straußschen Hauspropagandisten, des Presse - Obersten Schmückle, aber »viel zu sensitiv ist, als daß wir dazu etwas sagen könnten«.

Die Vorgeschichte: Das Nato - Oberkommando hatte die Luftwaffen auf dem westeuropäischen Halbkontinent übungshalber alarmiert. Das Losungswort hieß »Checkmate« (Schachmatt). Alle Geschwader aus Frankreich, Belgien, Holland, Dänemark und der Bundesrepublik kurbelten durch die Luft - ein Auftrieb, den die deutschen Nato-Kameraden in Erinnerung an diffizile

Parademanöver der Vergangenheit auch heute noch »Reichsparteitag« nennen.

Das Jagdbomber(Jabo) - Geschwader Lechfeld flog den Dreieckskurs Würzburg-Laon-Memmingen. Es war, so bestätigen Jabo-Piloten in Lagerlechfeld, »das Einfachste von der Welt«. Eine Rotte - zwei Maschinen vom Muster F 84 F »Thunderstreak« - des Geschwaders kam dennoch vom Kurs. ab.

Der Radiokompaß des Rottenführers Feldwebel Pfefferkorn zeigte um 40 bis 60 Grad falsch an. Die elektroatmosphärischen Effekte eines Gewitters störten zugleich den elektromagnetischen Kompaß Pfefferkorns wie den des Rottenkameraden Stabsunteroffizier Eberl.

Hinzu kam eine steife Westdrift, deren Geschwindigkeit die Nato-Meteorologen mit 70 nautischen Meilen in der Stunde angegeben hatten, die jedoch mit doppelter Schubkraft, nämlich mit 140 nautischen Meilen pro Stunde, die Maschinen erheblich schneller versetzte als bei den Flugvorbereitungen berücksichtigt worden war.

Pfefferkorns und Eberls Irrflug begann auf der Route Würzburg-Laon (siehe Graphik): Nach der errechneten Flugzeit für diese Distanz haben sich die beiden so weit verflogen, daß sie Lüttich in Belgien für Reims in Frankreich halten.

Wenige Minuten später orten Nato -Radarstationen die Rotte bei Warburg im Südostzipfel Westfalens. Pfefferkorn und Eberl halten Ostkurs, ungefähr in Richtung Königs Wusterhausen südlich Berlin.

Sie palavern miteinander per Sprechfunk von Bord zu Bord - »Wo sind wir? Hast du das Funkfeuer?« - und hören deshalb nicht den Warnruf der Radarsoldaten, auf Gegenkurs zu wechseln.

Erst nördlich der DDR-Kreishauptstadt Leipzig schaltet Pfefferkorn die Notfrequenz ein und sendet den Notruf »Mayday«. Der französische Flughafen Tegel in Westberlin meldet sich - Reaktion an Bord: »Was? Berlin?« - und gibt den beiden Irrfliegern die Landeerlaubnis.

Vergebens pirschen derweil insgesamt 42 sowjetische Mig - Jäger hinter der deutschen Jabo- Rotte her. Zwischen 2000 und 12 000 Metern Höhe hängt ein kompakter Wolkenschirm, der den Jägern die Sicht verwehrt. Pfefferkorn und Eberl drücken ihre Maschinen durch die Wolken nach unten durch, um sich zu orientieren, ziehen aber alsbald wieder in den schützenden Dunst hoch und setzen schließlich unversehrt auf der Tegeler Piste auf.

Das passierte am 14. September vorigen Jahres - vier Wochen nachdem SED-Sekretär Ulbricht seine Mauer quer durch Berlin hatte zementieren lassen, drei Tage vor den Neuwahlen zum Bonner Bundestag.

In dieser Lage fehlte es dem Notlandemanöver der Lechfelder Jagdbomber in Westberlin keineswegs an politischer Brisanz. Die Franzosen aus Tegel versicherten dem Sowjetvertreter in der alliierten Luftsicherheitszentrale daher schnell, »technische Störungen« hätten die Notlandung dringend geboten. Ebenso rasch machte Straußens Vertreter in Bonn, Verteidigungs -Staatssekretär Hopf, dem Geschäftsträger Timoschenko in der Sowjet-Botschaft Rolandseck am Rhein einen Entschuldigungsbesuch.

Doch die Sowjets hielten noch an sich. Durch das Jagdpech ihrer Mig-Jäger offensichtlich verstört, ließen sie zwei Tage verstreichen, ehe sie in förmlichen Noten gegen die »vorbedachte Provokation« der bundesdeutschen Jabo-Rotte protestierten und für den Wiederholungsfall Raketenfeuer androhten.

SPD - Kanzlerkandidat und Berlin -Bürgermeister Willy Brandt hatte dagegen schon am Abend desselben Tages, an dem die Rotte in Tegel eingeschwebt war, Laut gegeben. Auf Wahltournee just in Stuttgart, fragte Wahlkämpfer Brandt den Wahlkämpfer Strauß per Fernschreiben, wie denn die beiden Jabo-Piloten in die Situation hätten kommen können, in Westberlin landen zu müssen. Es sei doch wohl notwendig, daß angesichts der gespannten politischen Lage alles vermieden werde, was Flieger zwingen könnte, internationale Vereinbarungen zu verletzen.

Brandts Hieb verfehlte nicht seine Wirkung. Strauß entschloß sich prompt, seine Haut vor Schaden zu bewahren. Er wählte dazu die Methode des Spektakels, ohne Respekt vor den althergebrachten Formen des Takts und den heumodischen Rezepten der Inneren Führung.

Es war am Tage nach dem Tegeler Malheur. Nachmittags kündigte Strauß vor Münchner Zeitungsleuten noch »eine genaue und strenge Untersuchung« der Panne an. Spätabends aber, als er sich nach seiner letzten Wahlkundgebung im Löwenbräu-Zelt auf der Theresienwiese mit dem herbeibefohlenen Luftwaffen-Inspekteur Kammhuber im Hotel Ambassador zum Nachtschoppen versammelte, um eine Sühne für den Jabo -Irrflug zu ersinnen, die seinem eigenen Prestige zu Hilfe kam, war von einer Untersuchung schon gar nicht mehr die Rede.

Im Gegenteil, Oberbefehlshaber und Inspekteur dachten sich einen Befehl aus, dem zufolge bei der Bestrafung von Grenzverletzungen einer Prüfung des Falls, mithin der Schuldfrage, keinerlei Bedeutung beizumessen ist. Also verfügte Strauß:

- Oberstleutnant Siegfried Barth, Kommodore

des Lechfelder Jabo - Geschwaders, aus dem die gen Osten verfranzte Rotte stammte, wird abgelöst und andernorts verwendet;

- künftig wird jeder

Kommodore, aus dessen Befehlsbereich Grenzverletzungen gemeldet werden, grundsätzlich sofort abgelöst.

Als Inspekteur Kammhuber anderntags in Lagerlechfeld vorfuhr, wo die Generale, Kommandeure und Kommodores der Luftwaffe seiner harrten, hatte

sich bereits herumgesprochen, in welchem Etablissement das Papier entstanden war, das der Inspekteur in Händen hielt, und der Name »Bier-Order 61« war schnell gefunden.

Kammhuber las Straußens Befehl vor und suchte ihn in vierzigminütiger Rede zu begründen. Seine oftmals wiederholte Standardthese lautete: »Die Entscheidung ist zu 50 Prozent politisch.«

Und als ob er auch begriffsstutzigeren Zuhörern klarmachen wollte, welcher Gesinnung der Befehl entsprungen war, zitierte Kammhuber ausgerechnet Friedrich den Großen, den königlichen Verächter des Rechts und der Richter: »Er hat keine fortune; ich kann Offiziers ohne fortune nicht gebrauchen.«

Oberstleutnant Barth, soeben geschaßt, ohne je gehört worden zu sein, wünschte etwas zu sagen. Kammhuber winkte ab. Auch dem Divisionskommandeur Barths, Brigadegeneral Streib, fiel er gleich ins erste Wort. Generalleutnant Harlinghausen, damals noch Kommandierender General der Luftwaffengruppe Nord, stand von seinem Stuhl auf: »Wir müssen aber doch überlegen...«

Kammhuber dazwischen: »Aber Harlinghausen, setzen Sie sich doch. Ich sagte doch schon: politisch, politisch.«

Harlinghausen ließ sich durch Kammhubers flehentliche Bitte, zu schweigen, nicht beeindrucken - so wie er einst auch vor seinem Oberbefehlshaber Göring den Mund nicht gehalten hatte.

Reichsmarschall Göring griff sich im September 1944 mit geübter Willkür einen Sündenbock für das Desaster beim Rückzug aus Frankreich und sperrte ihn ohne Verfahren ein: den Fliegergeneral Wimmer vom Luftwaffen-Kommando West, der bar seiner Schulterstücke und Orden im Flak-Turm zu Wiesbaden Prügel, aber nicht seinen Prozeß bekam.

Harlinghausen, später Nachfolger Wimmers, meldete sich bei Göring: »Wenn Wimmer nicht freikommt, verlieren Sie das Vertrauen des Offizierkorps.«

Göring: »Aber irgendeiner muß doch Schuld haben.«

Harlinghausen: »Man muß erst untersuchen, bevor man verurteilt.«

Göring: »Na ja, Wimmer kommt ja auch jetzt 'raus.«

Harlinghausen: »Wimmer muß rehabilitiert werden.«

Göring: »Gut, das werde ich auch tun. Ich hab' das ja nicht so gewußt.«

Während der Kommandeursbesprechung der Bundesluftwaffe in Lagerlechfeld am Vortage der letzten Bundestagswahl trug Generalleutnant Harlinghausen seinem Inspekteur Kammhuber ähnliche Argumente vor: Man könne den Kommodore Barth nicht ablösen, bevor sich dessen Schuld in einem Untersuchungsverfahren erwiesen habe.

Genauso müsse gegenüber dem zweiten Teil des Ministerbefehls (der den Geschwader-Kommodores eine umgekehrte Sippenhaftung für alle Piloten des Geschwaders aufbürdete) der alte Rechtsgrundsatz gelten, daß ohne persönliche Schuld niemand bestraft oder gemaßregelt werden dürfe. Der Inspekteur möge das dem Herrn Minister vortragen.

Kammhuber: »Jetzt haben Sie mir meine ganze schöne Rede kaputtgemacht.«

Rund zwei Wochen später bekam General Harlinghausen seinerseits den blauen Brief: zum 31. Dezember 1961 in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Die Stabsoffiziere Harlinghausens im Kommando der Luftwaffengruppe Nord überraschte dieses jähe Ende nicht. Die Dienst- und Rechtsauffassungen des Ministers und die des Generals klafften zu breit auseinander.

Geradezu verbiestert hatte sich Harlinghausen seinen Stäblern gezeigt, als Strauß zum Beispiel der vierköpfigen Feldwebel - Besatzung seines Ministerflugzeuges erlaubte, mit dieser Bundeswehr-Maschine in Urlaub nach Athen zu fliegen und die vier Ehefrauen mitzunehmen.

Und als die CDU am Kommandositz Münster bei Harlinghausen angefragt hatte, wieviel Ehrenplätze die Partei für ihn und die Familie in einer Wahlversammlung seines Ministers reservieren dürfe, antwortete der General nicht -und traf auch keine Anstalten, Strauß zu empfangen.

Die breite Fliegerfront gegen die »Bier-Order 61« wurde durch Harlinghausens Kaltstellung nicht geschwächt. Die »Unteroffizier - Vereinigung e.V.« in Lagerlechfeld schrieb an Strauß: Inspekteur Kammhuber und Divisionskommandeur Streib hätten das Lechfelder Geschwader bei Besichtigungen mehrmals als »beispielhaft und mustergültig« und als »weit über dem Durchschnitt« belobigt. Deshalb bäten die Unteroffiziere, nun »den Wunsch zum Ausdruck bringen zu dürfen, unseren bewährten Kommodore (Oberstleutnant Barth) an der Spitze des Jabo-Geschwaders 32 zu belassen«.

Befehlsgemäß reiste Divisionskommandeur Streib in Lagerlechfeld an, ließ die laut Soldatengesetz gewählten Vertrauensleute des Unteroffizierskorps antreten und fragte sie, ob der Brief die Meinung aller Unteroffiziere wiedergebe. Die Vertrauensleute bestätigten es. Strauß hat den Brief trotzdem bis heute nicht beantwortet.

Unterdes hatten die Geschwader den Flugbetrieb sicherheitshalber eingestellt. Die Kommodores berieten ihre Geiselsituation, die durch Straußens Grundsatzbefehl bestimmt war: Ein böswilliger Unteroffizier brauche mit seiner Maschine nur für eine halbe Minute über die Zonengrenze zu huschen, um den Geschwader-Kommodore von seinem Posten zu katapultieren.

Überdies sei nicht einzusehen, warum in der langen Befehlskette vom Staffelkapitän über den Gruppenkommandeur, Geschwader - Kommodore, Divisionskommandeur, Kommandierenden General bis zum Minister prinzipiell der Kommodore schuldlos büßen solle. Wenn schon, bei Grenzverletzungen aus politischen Gründen Strafaktionen demonstriert werden müßten, würden Generale überzeugendere Opfer hergeben.

Schließlich aber hätten Generale und Kommodores angesichts des unzureichenden Ausbildungsstandes bei jüngeren Piloten immer wieder davor gewarnt, der Nato die Geschwader zu frühzeitig als Frontverbände zu unterstellen. Dem sei entgegengehalten worden, die Politik verlange die Unterstellung. Da sei es gerecht und billig zu fordern, daß die Politik auch die Risiken trage.

Das Fazit solcher Diskussionen: Drei der Kommodores - Oberst Krupinski aus Büchel (Eifel), Oberstleutnant Grasemann aus Ingolstadt und Oberstleutnant Greve aus Memmingen - schrieben je einen Brief an den Oberbefehlshaber Strauß: Der Befehl des Herrn Ministers vom 15. September über die Grenzverletzungen blockiere den Dienstbetrieb und beeinträchtige das Vertrauen. Der Herr Minister möge deshalb den Befehl noch einmal überprüfen und ihn zurückziehen. Sonst würden die Kommodores um eine andere dienstliche Verwendung bitten müssen.

Inspekteur Kammhuber fing die drei Briefe ab. Einzeln holte er die Briefschreiber zu sich: Ihre Sorgen seien gegenstandslos; sie beruhten auf einem Mißverständnis.

Oft genug, aber vergebens hatten die Kommodores den Führungsstab Kammhubers um eine schriftliche Ausfertigung des Ministerbefehls gebeten, den Kammhuber in Lagerlechfeld verlesen hatte. Nun eröffnete der Inspekteur ihnen, dieser Befehl existiere überhaupt nicht; selbstverständlich werde jeder Fall von Grenzverletzung sorgfältig untersucht, und nur die Schuldigen würden bestraft werden.

Tatsächlich waren zur gleichen Zeit, als die Lechfelder Jabo-Rotte in Tegel notlandete, auch noch zwei Hauptleute über die Grenze und sogar ins MG -Feuer sowjetischer Mig-Jäger geraten, aber - wieder zurück - trotzdem ungeschoren geblieben. Was nun, so fragten die drei Kommodores den Inspekteur, geschehe denn mit ihrem Lechfelder Kameraden Barth?

Kammhuber: »Barth, das ist etwas anderes, aber das kommt auch in Ordnung.« Die drei Briefschreiber zogen ihre Briefe zurück.

Oberstleutnant Barth, bei Kriegsende mit 465 Frontflügen, Ritterkreuz und Deutschem Kreuz in Gold als Major Kommodore des ersten deutschen Düsen-Jabo-Geschwaders, seit Juli 1958 an der Spitze in Lechfeld, war zwei Tage nach der Tegeler Notlandung, am 16. September vorigen Jahres, von diesem Posten entfernt, aber erst am 2. Oktober regelrecht versetzt worden.

Seine neue Verwendung - Leiter der Abteilung »Forderungen der Luftwaffe an das Material« im Allgemeinen Luftwaffen-Amt - enthüllte die Konfusion, in die Oberbefehlshaber Strauß und Inspekteur Kammhuber verstrickt waren.

Denn genau in diese Stelle war Barth bereits vor dem Tegeler Notlande-Eklat schon einmal versetzt worden, und zwar zum 1. Oktober vergangenen Jahres. Strauß jedoch hatte bei seinem Kriegsrat mit Kammhuber am 15. September im Münchner Hotel Ambassador jene Versetzungsorder für Barth verschwitzt.

Allerdings, als für Oberstleutnant Barth, der als Kommodore drei Jahre lang eine Obersten-Planstelle innehatte, der erste Versetzungsbefehl ausgefertigt wurde, war der Abteilungsleiter-Job im Luftwaffen-Amt ebenfalls noch als Obersten-Stelle projektiert. Gleichzeitig mit dem zweiten Versetzungsbefehl für Barth aber wurde der Posten auf die Besoldungsstufe eines Oberstleutnants heruntergesetzt.

Dessenungeachtet befahl der Divisionskommandeur Streib, Oberstleutnant Barth, der ohne Schuld sei, solle sein Geschwader dem Nachfolger in feierlicher Form übergeben. Kammhuber verbot den Festakt.

Streib schrieb an Strauß, er möchte den Minister sprechen. Er erhielt Nachricht, daß sein Brief eingegangen sei, aber - bis heute - keine Antwort.

Nun ersuchte Barth den Strauß; gegen ihn wegen Dienstpflichtverletzung ein disziplinargerichtliches Verfahren einzuleiten. Der Minister rührte sich - bis heute - nicht.

Aber die erste Untersuchung des Irrflugs nach Tegel lief endlich an. Es wurde festgestellt, Oberstleutnant Barth, der mitten im Geschwader geflogen war, um den Einsatzoffizier einer Staffel zu prüfen, habe die Piloten hinreichend darüber belehrt, daß sie bei Kurszweifeln auf Westkurs gehen und Kontakt zu Bodenstationen suchen müßten.

Und: Nachdem die Rotte Pfefferkorn -Eberl vom Kurs des Geschwaders abgerutscht war, habe der Kommodore auf der Notfrequenz, die durch alle Frequenzen durchschlägt, Notrufe aus Marseille, Kopenhagen und Bitburg empfangen. Pfefferkorn und Eberl hätten sich nicht vernehmen lassen.

Der Untersuchungsführer Oberst Krupinski, Primus unter den Jabo-Kommodores, kam zu dem Schluß, Oberstleutnant Barth sei unschuldig. Inspekteur Kammhuber verwarf dieses Resultat; sein Urteil über die Untersuchung: »Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus.«

Oberst Krupinski ist ein Mann, der keinen Spaß versteht. Er verlangte, man müsse gegen ihn wegen Dienstpflichtverletzung bei der Untersuchung des Falles Tegel ein Disziplinarverfahren führen. Dem Inspekteur Kammhuber blieb keine Wahl; er bat den Obersten inmitten von Generalen, Kommandeuren und Kommodores, die »Krähe« zu entschuldigen.

Eine zweite Tegel-Untersuchung, von Kammhuber dem Brigadegeneral Mahlke aus dem Luftwaffen-Führungsstab aufgetragen, führte zu dem Ergebnis, Oberstleutnant Barth sei teilschuldig.

Grund: Rottenführer Feldwebel Pfefferkorn, am dritten Manövertag nach dem dritten Start aus der Bahn geraten, sei übermüdet gewesen. Und der Kommodore Barth habe keine Vorsorge dafür getroffen, daß ein Arzt den müden Feldwebel vor dem dritten Start habe untersuchen können. Der Geschwaderarzt sei vielmehr auf Urlaub gewesen.

In Wahrheit hatte sich Pfefferkorn freiwillig zum dritten Start gemeldet, der in kriegsähnlichen Manöververhältnissen alltäglich ist. Aber abgesehen davon, Brigadegeneral Mahlke verwaltet im Luftwaffen-Führungsstab die Heeresfliegerei: Transporter und Nahaufklärer.

In den Jabo-Geschwadern rumorte es, der General hätte sich besser von einem Jabo-Piloten fliegerisch beraten lassen sollen. Inspekteur Kammhuber erklärte vor den versammelten Kommodores, er werde auch von Mahlkes Untersuchungsergebnis keinen Gebrauch machen.

Die dritte - und bislang letzte - Tegel-Untersuchung veranstaltete Barths alter Divisionskommandeur, Brigadegeneral Streib. Resultat: Der Kommodore sei unschuldig.

Gegen den unschuldigen Barth ein Disziplinarverfahren einzuleiten, konnte Minister Strauß freilich nicht für ratsam halten. Als der Oberstleutnant damit rechnen mußte, daß sein Oberbefehlshaber, der in eigener Sache gern über die zu langsam funktionierende Rechtspflege klagt, die Entscheidung über das Disziplinarverfahren vor sich herschob, bediente er sich eines zweiten Rechtsmittels gegen ihn. Barth beschwerte sich über Strauß wegen Dienststellen- und Ehrenminderung.

Der Wehrdienstsenat des Bundesdisziplinarhofs in München verhandelte über die Beschwerde am 20. Dezember des vergangenen Jahres; er hatte sechs Zeugen geladen:

- General Kammhuber, Inspekteur der

Luftwaffe,

- Generalleutnant Harlinghausen, damals Kommandierender General der Luftwaffengruppe Nord,

- Generalmajor Panitzki, damals Befehlshaber der Luftwaffen-Schulen,

- Brigadegeneral Streib, Divisionskommandeur,

- Oberst Krupinski, Geschwader-Kommodore,

und

- Oberstleutnant Grasemann, Geschwader-Kommodore.

Verteidigungs-Staatssekretär Hopf, Straußens Vertreter, verblüffte den Senat: Sein Minister sehe sich außerstande, den Zeugen das Aussagerecht zu gewähren - in einem Beschwerdeverfahren, das gegen den Minister selber gerichtet war.

Der Senat beriet und beschloß, er müsse die Zeugen hören. Hopf: »Dann werde ich den Zeugen befehlen, nichts zu sagen.«

Senatspräsident Dr. Eberhard Barth ließ die Zeugen in den Verhandlungssaal führen. Merklich voller Zorn verkündete er, die Herren befänden sich in einem Konflikt, nämlich dem zwischen der Pflicht, als Zeugen zu sagen, was sie wüßten, und dem Befehl, nichts zu sagen. Der Senat sei genötigt, sie aus diesem Konflikt zu befreien und auf ihre Bekundungen zu verzichten.

Aschfahl im Gesicht, aber sichtlich erleichtert, marschierte Inspekteur Kammhuber zur Saaltür hinaus.

Die Entscheidung in der Sache traf der Wehrdienstsenat am 12. Februar. Sein Beschluß lautete: Straußens Befehl, den Oberstleutnant Barth vom Posten des Geschwader-Kommodore in Lechfeld abzulösen, sei rechtswidrig und deshalb aufzuheben.

Acht Wochen lang mißachtete Minister Strauß diese Senatsentscheidung. Erst als sich der Wehrbeauftragte des Bundestages, Admiral a.D. Guido Alexander Heye, kurz vor Ostern der Sache annahm, gab der Minister zu erkennen, daß er sich arrangieren möchte.

Freilich, in der Entscheidung Barth versus Strauß steht, der Oberstleutnant müsse vor dem gleichen Personenkreis rehabilitiert werden, vor dem der Ablösungsbefehl gegen ihn verlesen worden sei: vor allen Generalen, Kommandeuren und Kommodores der Bundesluftwaffe.

Der Wehrbeauftragte des Bundestages besteht darauf, daß der Bundeswehr-Oberbefehlshaber den Beschluß des Wehrdienstsenats im Bundesdisziplinarhof buchstabengenau vollzieht.

Inspekteur Kammhuber, Oberbefehlshaber: »Politisch, politisch«

General Harlinghausen

»Setzen Sie sich doch!«

Divisions-Kommandeur Streib

Der Befehl aus dem Ambassador...

... verhängte Sippenhaft für Kommodores: Geschwader-Kommodore Krupinski

Staatssekretär Hopf

Aussage verboten

Senatspräsident Barth

Zeugen erlöst

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