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VERBÄNDE / MITTELSTAND Bier und Boden

aus DER SPIEGEL 13/1967

Nach dem Vorbild des französischen Papierwarenhändlers und Parteigründers Pierre Poujade formiert sich in Westdeutschland der unzufriedene Mittelstand. Land-, Forst- und Gastwirte, Grossisten und Detaillisten verlangen mehr politischen Einfluß.

Am vorletzten Donnerstag trafen sich im Bonner Hotel »Bergischer Hof« Edmund Rehwinkel, 68, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, und Oswald Wippert, 49, Präsident des Deutschen Gewerbeverbandes, zu einem mittelständischen Gipfelgespräch. Rehwinkel mißfällt, daß die schwarz-rote Koalition seinen Pressionen standhält. Der Gastwirt Nippert, in dessen Verband 2000 lokale Gewerbe-, Verkehrs- und Bürgervereine organisiert sind, möchte mehr Standeskollegen in den westdeutschen Parlamenten sehen.

Das Bier-und-Boden-Personal fühlt sich zwischen den großen Blöcken der industriellen Arbeitgeber und -nehmer eingeklemmt. Die Stimmung ist schlecht, das Geld knapp und Bonn weit.

Als Nippert zu dem Gespräch einlud, sagte Rebwinkel sofort zu. Der Bauernführer nutzte die Gelegenheit, seinen Zorn auf Landwirtschaftsminister Hermann Höcherl abzuladen. Denn Höcherl hatte Rebwinkel brieflich aufgefordert, er möge sich, statt zu lamentieren, bei den Steuerzahlern für die Subventions-Milliarden bedanken.

Im Bergischen Hof kamen die Verbandsherren überein, fürs erste eine mittelständische Arbeitsgemeinschaft zu gründen. Sinnesverwandte Organisationen -- wie Beamtenbund und Hauseigentümerverband -- sollen später eingeladen werden.

Die Bergische Front will die Bonner Parteien auf mittelständischen Kurs zwingen. Falls CDU/CSU, SPD und FDP nicht gesprächs- und zahlungswillig sind, müßten -- so Rehwinkel zu Nippert -- »wir zu neuen Überlegungen kommen«.

Gemeint ist die Gründung einer konservativen Mittelstandspartei. Die Fraktion der Unzufriedenen will gegebenenfalls in die Ausschuß- und Plenarsäle von Bund- und Länderparlamenten vordringen.

Historische Vorbilder schrecken weder Rebwinkel noch Nippert:

* Am 9. März im Bonner Hotel »Bergischer Hof«.

> Die »Wirtschaftspartei« der Weimarer Republik war 1924 mit zehn und 1928 mit 23 Abgeordneten im Reichstag vertreten. Vier Jahre später verlor sie alle Sitze bis auf ein Mandat an die Nazi-Partei.

> Nach dem Zweiten Weltkrieg half Rehwinkels Vorgänger Andreas Hermes einen »Deutschen Mittelstandsblock« gründen. Der zerbrach an Adenauers Christen-Union. per Westerceller Hofbesitzer Edmund Rehwinkel und Oswald Nippert, der im Spessart ein Wirtshaus betreibt, woher überwinden, was bislang den Mittelstand in Stadt und Land trennte. Stets mißgönnte das Landvolk dem Handel den scheinbar mühelosen Gewinn, das Gewerbe nahm den Ackerbauern die Subventionen krumm. Der gemeinsame Ärger über die kartellierten Bonner Parteien aber ist größer als aller Neid.

Der Bauernführer bringt als Mitgift eine zwar formierte, aber nach eigener Aussage nur fünf Millionen Wähler zählende Gefolgschaft in den neuen Bund ein. Nippert schätzt seinen Anhang auf zehn Millionen, doch mangelt es dem Gewerbe an Disziplin. Die soll Rehwinkel, »dieser dynamische Mann« (Nippert), der neuen Bewegung einblasen.

Oswald Nipperts »größte Sorge« ist, daß die NPD das Potential der Unzufriedenen bereits angezapft hat. Falls die Bonner Parteien sich den Forderungen der unierten Provinz verschließen sollten, fürchtet Nippert, »keine Alternative zu den Nationaldemokraten« zu haben.

Diesen Mangel will der Mittelständler Nippert mit einem eigenen Programm abstellen. Formulierungshilfe leistet ihm dabei sein Propagandachef Heinzgünter Bärwinkel, Herausgeber des Verbandsorgans »Der Selbständige«. Für sich selbst hat Bärwinkel bereits ein Programm gefunden. Er ist Mitglied der NPD.

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