TERRORISMUS Big Bang zum Einstand im Club
Saïd Saadi hat sein Leben lang gegen den Terror im eigenen Land gekämpft. Er kritisierte Präsident Abdelaziz Bouteflika, weil der zu lasch gegen die Islamisten in Algerien vorgehe, er nahm für seine Überzeugungen Gefängnis auf sich. Der Vorsitzende der demokratischen Oppositionspartei RCD ist mittlerweile ein illusionsloser Mann von 60 Jahren.
Als der Terror am vergangenen Mittwoch nach Algerien zurückkehrte, saß er in seinem kleinen Büro am Stadtrand von Algier. Er konnte die Druckwellen der Anschläge nicht spüren, doch die Angst war sofort wieder da: »Ich weiß nicht, ob Sie das verstehen, aber für uns war das wie ein kleiner 11. September.«
Für Angst sorgten zwei Attentate mit je 500 bis 700 Kilogramm Sprengstoff, das erste auf den Regierungssitz in Algier, das zweite auf ein Polizeikommissariat auf dem Weg zum Flughafen. Dabei starben 33 Menschen, mehr als 200 wurden verletzt.
Bisher waren Leute wie Saadi an Anschläge mit Autobomben in Algerien gewöhnt. Terroristen aber, die Morde durch Selbstmord verüben, sind neu für Algerien. Die Fotos der blutjungen Täter tauchten noch am selben Tag im Internet auf. So hält es al-Qaida, Osama Bin Ladens Terrornetzwerk, das in Nordafrika nun einen Brückenkopf besitzt. »Das war der Big Bang zum Einstand im Club«, sagt ein deutscher Ermittler.
Der Anschlag von Algier war der achte allein in diesem Monat. Fast täglich gab es Tote - östlich der Hauptstadt, in den Bergen der Kabylei. Diese Serie von Attentaten wurde öffentlich nicht bekannt. Die Regierung war daran nicht interessiert. Am 13. Februar dieses Jahres jedoch explodierten an sieben verschiedenen Orten zeitgleich Autobomben. Sechs Menschen starben, mehr als 30 wurden verletzt. Ein Anschlag von solchen Ausmaßen ließ sich nicht mehr verschweigen.
Die neue Welle der Gewalt trifft Algerien fünf Wochen vor den anstehenden Parlamentswahlen und zwei Jahre nach einem umstrittenen Referendum über die nationale Versöhnung. Danach erging eine Amnestie für islamistische Terroristen aus dem Bürgerkrieg der neunziger Jahre. Das Land schien auf gutem Weg zu einem - gefährdeten - inneren Frieden.
Der Terror trägt einen neuen Namen: Die »Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf« (GSPC) nennt sich seit Januar »al-Qaida des islamischen Maghreb«. Ihr Anführer Abdelmalek Droukdel, ein bärtiger, grimmiger Mann, pries die Allianz in einem Video als »Zeichen der Wahrhaftigkeit der Verbindung zwischen den Mudschahidin in Algerien und ihren Brüdern der Qaida«. Aiman al-Sawahiri, die Nummer zwei der Qaida, hatte die Fusion in einem Video zuvor schon angekündigt.
»Wir haben Droukdel einfach unterschätzt«, sagt Louis Caprioli, der frühere Chef der Terrorabwehr im französischen Inlandsgeheimdienst DST. »Als er 2004 die Leitung der GSPC übernahm, dachten wir, der hätte nicht das Zeug zu einem Führer.« Droukdel trägt dazu bei, dass Algerien nun eine »Irakisierung des Terrorismus« erlebt, wie Caprioli sagt.
Die erste Terrorwelle in Algerien begann, als sich bei den Wahlen 1991 ein Sieg der Islamischen Heilsfront FIS abzeichnete, worauf das Militär putschte und die Macht an sich zog. Aus der FIS, die Algerien islamisieren und die Scharia einführen wollte, ging dann die militante GIA-Gruppe hervor. Es folgte ein mörderischer Bürgerkrieg, der an die 200 000 Menschen das Leben kostete. Von der GIA spaltete sich 1998 die GSPC ab.
Deren Anschläge beschränkten sich bald nicht mehr nur aufs Heimatland: 1998 hoben französische Ermittler eine Zelle aus, ehe sie ein Attentat während der Fußballweltmeisterschaft in Paris ausführen konnte. An Weihnachten 2000 nahmen Beamte des Bundeskriminalamts in Frankfurt am Main vier Algerier fest, die einen Anschlag auf den Straßburger Weihnachtsmarkt vorbereiteten. Alle vier gehörten der GSPC an. Im Jahr 2003 entführte die Terrorgruppe 17 deutsche Sahara-Touristen, die erst Monate später nach Zahlung eines Lösegelds wieder freikamen.
Die Trainingscamps der Droukdel-Truppe liegen im unwegsamen, kaum kontrollierbaren Grenzgebiet zwischen Mali und Algerien. Ende des vergangenen Jahres wurden hier bis zu drei mobile Lager mit ein paar Zelten und Toyota-Pick-ups beobachtet, die oft nach wenigen Tagen wieder aufgelöst wurden.
Die Mobilität der Qaida-Nachahmer sei besorgniserregend, sagen europäische Ermittler. Sie befürchten nun, im Dreiländereck Algerien-Mali-Mauretanien könne ein »Afghanistan light« entstehen. Der nächste Schritt, so die Sorge westlicher Dienste, wäre dann eine koordinierte Anschlagsserie in den Maghreb-Staaten Algerien, Marokko und Tunesien. Und dann womöglich eine Ausweitung der Kampfzone auf Westeuropa.
Saïd Saadi, der Oppositionspolitiker in Algier, ist der Ansicht, dass die Regierung Bouteflika mit ihrer Versöhnungspolitik verantwortlich sei für die Rückkehr der Gewalt. Sie habe den Extremisten den Weg geebnet, anstatt sie zu bekämpfen. Ein Fehler, meint er, unter dem bald auch die Europäer leiden könnten: »Es ist jetzt so, als hätte Bin Laden seine Leute auf einem Flugzeugträger vor euren Küsten stationiert.« BRITTA SANDBERG, HOLGER STARK