CHINA Bild einer Hündin
Sollte China eines Tages die Farbe wechseln, selbst zur Supermacht werden ... und andere zum Opfer seiner Aggression und Ausbeutung machen« -- für diesen Fall hatte der Chinese Teng 1974 vor der Uno in New York eine Bitte an die Welt: »Dann müssen die Völker das als Sozialimperialismus anprangern und diesen, gemeinsam mit dem chinesischen Volk, umstürzen.«
Fünf Jahre später dirigierte derselbe Teng Hsiao-ping als Generalstabschef und Vizepremier den Angriff Chinas auf Vietnam -- und nichts wurde umgestürzt. Tengs eigene Position hat sich im Gegenteil gefestigt: In Peking werden neuerdings Plakate mit einem bislang unbekannten Photo aus dem Jahre 1947 angeboten -- Teng auf einem Schimmel wie Fridericus auf Condé.
Noch ist offen, ob sich Teng mit dem Vietnam-Abenteuer nicht verrechnet hat. Doch seine Anti-Mao-Linie hat obsiegt, gegen den Kurs seines formalen Vorgesetzten Hua Kuo-feng, der seinen Aufstieg Mao und der Kulturrevolution verdankt.
Vor dem Vietnam-Krieg hatte Hua in der Militärkommission des ZK für Freundschaft zu Vietnam und gegen Truppenkonzentrationen an der Grenze plädiert. Doch schon auf der letzten
* Am 13. März in der Nähe von Peking.
ZK-Sitzung im Dezember revozierte er: Künftig dürfe keine persönliche Meinung eines führenden Genossen mehr als »Weisung« ausgegeben werden, erklärte der Parteiführer und Premier Hua, dessen Meinung bis dahin stets als Weisung galt.
Er gab auch den ZK-Beschluß bekannt, wonach keine Einzelperson mehr in den Medien besonders herausgestellt werden dürfe -- wie bis dahin Hua. Und niemand soll mehr mit Titel bezeichnet werden, etwa »Vorsitzender« wie Hua, sondern jeder als »Genosse«.
Hua hatte Selbstkritik geübt: Er bezichtigte sich, blind der Losung gefolgt zu sein, »alles zu tun, was Mao gesagt hat, nichts zu tun, was er nicht gesagt hat«. Offenbar erst derart entmaofiziert, konnte Hua sich vor einigen Tagen mit Vize Teng beim proletarischen Spatenstich auf einer Volkskommune zeigen.
Erstmals tauchte in der chinesischen Presse das Reizwort »Entmaoisierung« auf, wenn auch noch als Dementi: Die Partei werde nicht »entmaoisiert«, sondern Maos Ideen würden lediglich auf ihren ursprünglichen Sinn zurückgeführt und China »entmystifiziert«.
Das heißt: Die neue Führung verwirft nicht nur Maos Kulturrevolution, sondern distanziert sich jetzt auch von Maos Volkskommunen-Experiment aus dem Jahre 1958, dem »Großen Sprung nach vorn«. Nur die ersten neun Jahre der 27jährigen Geschichte Rotchinas bis zum Tode Maos gelten noch als linienkonform -- zwei Drittel der Ära Mao gelten als Irrweg.
Vor vollen Häusern läuft in Peking wieder ein brisantes Theaterstück: »Hai Jui wird entlassen«. Der Autor Wu Han, ehemals Vize-Bürgermeister von Peking, ist rehabilitiert. Sein in den 60er Jahren erstmals aufgeführtes Schauspiel übt in historischem Gewand heftige Kritik an Mao und wirbt für eine Auflösung der Volkskommunen.
Mit einer wütenden Rezension des Stücks hatte Mao-Schwiegersohn Jao, einer von der »Viererbande«, am 10. November 1965 den Signalschuß zur Kulturrevolution gegeben. In deren Verlauf kamen nach neuesten Pekinger Schätzungen 400 000 Menschen ums Leben. Auch Autor Wu Han war, so meldete jüngst die »Volkszeitung«, »bis in den Tod grausam verfolgt worden Wer ihm beistand, mußte leiden; ein Schanghaier Historiker ist seit seinen Verhören durch Rotgardisten gelähmt.
Wu Han wollte mit seinem Theaterstück gegen die Entlassung des Verteidigungsministers Peng Teh-huai protestieren. Marschall Peng nämlich hatte auf einer ZK-Sitzung im Sommer 1959 den Abbruch des »Großen Sprungs« und Maos Rücktritt verlangt.
Auch Peng wurde jetzt rehabilitiert -- und mit ihm die Kritik am Sprung gebilligt. Ein Peng-Anhänger von vor zwanzig Jahren, der Chefpropagandist Lu Ting-ji (er hatte damals rasch Selbstkritik geübt, stürzte dann aber in der Kulturrevolution), durfte am 8. März wieder in den Pekinger Zeitungen einen Artikel veröffentlichen.
Er schrieb: »Nicht Genosse Peng, sondern seine Gegner befanden sich im Irrtum« -- also Mao. Die »falsche »linke' Tendenz« habe bereits 1958 ihren Anfang genommen und 18 Jahre gedauert, also bis zum Sturz der »Viererbande«. An dem Schaden leide China noch heute: Ohne das Experiment, so
* Oben: in Peking 1962; unten: auf einer Wand-Zeitung.
Mao-Opfer Lu, hätte China heute genug Stahl und auch genug zu essen.
Die letzten »Dämonen und Viehteufel«, wie Mao seine parteiinternen Kritiker genannt hatte, erhalten durch ihren alten Kameraden Teng das Gesicht zurück -- sogar Tote. Der prominenteste Mao-Feind in der Kulturrevolution und Haßobjekt »Nummer eins« der Roten Garden ("Nummer zwei war Teng), der inzwischen verstorbene Staatspräsident Liu Schao-tschi, wird wieder als »Genosse« apostrophiert. Das Parteiorgan »Volkszeitung« rügte zudem, daß Liu in den Gesammelten Werken Maos niemals als »Genosse« vorkommt, das sei eine Fälschung. Sogar der fünfte Band der Mao-Werke, der posthum erschien, sei gefälscht: Maos Worte erschienen darin verkürzt oder verändert. Herausgeber dieses Bandes aber war Chef Hua Kuo-feng.
Lius Witwe Wang Kuang-mei tauchte vor drei Wochen voll rehabilitiert wieder auf dem Pekinger Parkett auf. Die ehemals Erste Dame der Volksrepublik hatte sich einst den ganz persönlichen Haß der Mao-Ehefrau Tschiang Tsching zugezogen, ein Konflikt wie aus einem alten chinesischen Roman:
Frau Wang, eine erfolgreiche Schauspielerin, brillierte an der Seite des Staatspräsidenten, während das gescheiterte Starlet Tschiang Tsching bis zur Kulturrevolution nur im verborgenen agieren durfte.
1963 begleitete Frau Wang ihren Ehemann Liu zum Staatsbesuch nach Indonesien. Vorher erkundigte sie sich böse bei Frau Mao nach der Kleiderordnung; Tschiang Tsching riet von jeglichem Aufwand ab. Doch bei dem Schwerenöter Sukarno in Djakarta trat Frau Wang dann in einem Habit auf, das Mao-Asketen als feudale Dekadenz empfanden: im Schlitzkleid und mit Perlenkette.
Tschiang Tsching verzieh ihr das nie. In der Kulturrevolution erzählte die Mao-Frau den Vorfall ihren tatendurstigen Rotgardisten. Die lockten Frau Wang am 10. April 1967 unter dem Vorwand, ihre Tochter liege nach einem Verkehrsunfall in der Universität, in ihr Hauptquartier und machten der First Lady zwölf Stunden lang den »Prozeß«. Bericht der Roten Garde: Sie leugnete die riesigen Verbrechen, die sie und Liu begangen haben. Manchmal erhob sie Anklagen ... dann wieder setzte sie eine klägliche Miene auf. Mitunter war sie sehr wild, zeigte ihre Klauen und Zähne und schrie hysterisch ... Sie bot das häßliche Bild einer Hündin, die im Wasser kämpft. Dann legten die Revolutionäre der am Boden kauernden Frau gewaltsam ein Schlitzkleid an, Seidenstrümpfe, hochhackige Schuhe und ein Halsband, und photographierten sie so für ein Flugblatt. Tschiang Tsching aber nannte die Rivalin öffentlich eine »Hure«, die mit Sukarno geflirtet habe.
Heute sitzt Tschiang Tsching mit den drei anderen von der »Viererbande« im Hausarrest, hat nach einer Krebsbehandlung -- wie Pekinger Funktionäre genüßlich kolportieren -- ihre Haare verloren und den Import einer Perücke aus Hongkong beantragt.
Frau Wang Kuang-mei aber zeigte sich am 8. März zusammen mit der Ehefrau Tengs auf einem Empfang zum »Internationalen Frauentag«, der in allen kommunistischen Staaten gefeiert wird. Die Siegerin verteilte fröhlich Autogramme.