ZIGARETTEN Billard im Zauberwald
Sie schießen mit Schrot«, spottet
Reemtsma-Manager Dr. Gerhard Kleining, »und hoffen, daß irgendeine Kugel den ausreißenden Hasen schon treffen wird:« Der Hase ist Reemtsmas Zigarette Atika; Schützen sind die Konkurrenzfirmen BAT und Brinkmann, die innerhalb von zwei Monaten den westdeutschen Rauchmarkt mit sechs neuen Marken beschickten.
Wovon Zigaretten-Unternehmer seit Jahren kaum noch träumen, schaffte die Atika: einen Blitzerfolg. Sie wurde Mitte Mai dieses Jahres eingeführt; heute liegt sie mit einem Monats-Umsatz von 110 Millionen Stück unter den rund 180 westdeutschen Marken an zwölfter Stelle. Mehr noch: Bei den zunehmend begehrten nikotinarmen Sorten ist Atika schon dritte hinter den älteren Konkurrentinnen Lord Extra von Brinkmann (475 Millionen Stück im Monat) und Krone von BAT (260 Millionen Stück). Reemtsmas Rakete löste ein Feuerwerk aus. Im letzten Jahr hatten die Großen Vier der Branche - vierter ist Haus Neuerburg in Köln - insgesamt nur drei Neulinge losgelassen; jetzt starteten BAT und Brinkmann teils auf begrenzten Märkten, teils bundesweit zwischen dem 22. August und dem Montag dieser Woche allein sechs:
- Batberg (BAT);
- Saba (BAT);
- Kings Superior (BAT);
- Symbol (BAT);
- Erste Lese (Brinkmann);
- Mark 8 (Brinkmann).
Die Marktstrategie leuchtete ein: den Durchbruch der Atika abriegeln und zugleich den Drang der Raucher nach entschärftem Genuß besser nutzen. Zigaretten mit dem Prädikat »nikotinarm im Rauch« verbesserten ihren Marktanteil in den letzten zwölf Monaten sprunghaft von siebeneinhalb auf über zwölf Prozent. Von den sechs neuen Marken tragen drei die Zauberformel, die anderen empfehlen sich mit Kennzeichnungen wie »mild« oder »naturrein«.
Aber der Erfolg wird damit noch nicht garantiert. Reemtsmas Werbeleiter Paul Rieth: »Der Zigarettenmarkt ist kein Billardspiel, wo man eine Marke mit der anderen herausschießen kann.« Der Zigarettenmarkt ist in Wahrheit ein Zauberwald, der selbst die Kundigen immer wieder das Staunen lehrt.
Reemtsma beispielsweise hatte schon vor zwei Jahren die nikotinarme Carlton herausgebracht; sie florierte nicht. Im Februar dieses Jahres versuchten es die Hamburger mit der nikotinarmen Waldorf; sie kam bis heute kaum über 50 Millionen Stück pro Monat hinaus. Zur gleichen Zeit schickte Haus Neuerburg seine nikotinarme Mercedes Filter (Werbung bis heute: zwölf Millionen Mark) auf die Reise. Nach einem Achtungserfolg von monatlich 60 Millionen Stück sackte sie wieder auf 38 Millionen.
Das Feld ist mit Marken-Leichen besät, die alle nach ausgeklügelten Plänen und teilweise mit mehr als zehn Millionen Mark Werbung lanciert worden waren - etwa Ellis von Reemtsma, Life und Kent von BAT, Bremen von Brinkmann. Umgekehrt fangen oft Zigaretten plötzlich zu rennen an, die seit Jahren auf dem Markt sind und für die nicht auffällig viel oder originell geworben wird. Die filterlose Reval von Reemtsma zum Beispiel vergrößerte in den letzten beiden Jahren ihren Umsatz überraschend um 50 Prozent.
Peter Stuyvesant von Reemtsma, die 1959 in Westdeutschland erschien, ist die bislang letzte deutsche Zigarette, die den Sprung zur Supermarke mit 1,2 Milliarden Stück Monats-Absatz schaffte (die anderen Milliardäre: HB von BAT mit 1,7 Milliarden; Ernte 23 von Reemtsma mit 1,5 Milliarden). Seit 1960 wurden 80 Marken neu eingeführt, davon erreichten ganze sechs die Grenze von 100 Millionen Stück im Monat.
Was Erfolg oder Mißerfolg ausmacht, ist vor Einführung einer Marke nur theoretisch, danach nur als Vermutung erkennbar. Der richtige Zeitpunkt spielt eine Rolle, aber Reemtsmas nikotinarmer Frühschuß Carlton ging fehl, sein Spätling Atika schlug ein. Raucher -Moden müssen hofiert werden, aber neue Zigaretten der nikotinarmen Moderichtung kamen dennoch nicht an.
Die Werbung muß stimmen, aber gleiche Werbe-Konzepte bringen höchst unterschiedliche Resultate. Reemtsmas Astor reüssiert mit dem Hinweis auf ihre Verbreitung »in mehr als 40 Ländern« und auf eine Kundschaft »mit dem sicheren Gefühl für das Besondere«. Dagegen nutzte es der Winston von Haus Neuerburg in Bundesdeutschland nichts, daß sie »in 141 Ländern geraucht« wird und »keine alltägliche Zigarette ist«.
Solche Rätsel der Verbraucher -Psyche lassen sich nicht schlüssig lösen. Die Zigarettenmacher versuchen, mit dem psychologischen Tiefenlot die Motive der Käufer zu ergründen. Sie produzieren dabei nicht selten, was die US -Zeitschrift »Time« als »Pop-Psych« verspottet. Etwa: Der Massenerfolg der HB sei darauf zurückzuführen, daß ein mantelähnliches Zeichen auf der Packung den verstörten Massenmenschen Geborgenheit suggeriere.
Nur über eine Erfolgs-Voraussetzung gibt es keinen Zweifel: Das wirklich große Geschäft beginnt erst, wenn eine Marke für automatenwürdig befunden wird. Denn die Verkaufsmaschinen bringen rund 55 Prozent des gesamten Umsatzes. Sie haben in der Regel nur zehn Schächte, die den am meisten verlangten Sorten vorbehalten sind.
Die sechs Premieren dieses Herbstes sind von den Markt-Profis nach dem Lehrbuch gut vorbereitet. Alle Packungen zeigen, wie die Atika, viel Weiß; damit soll den Käufern Milde signalisiert werden. Batberg ("Eine Kostbarkeit aus der Welt des Tabaks") gibt sich anspruchsvoll wie Atika ("Es war schon immer etwas teurer, einen besonderen Geschmack zu haben"). Erste Lese von Brinkmann hat den gleichen Preis wie Atika und schmückt sich gleichermaßen mit dem Namenszug eines Tabakmeisters auf der Packung.
Der Reemtsma-Hase will den Ausgang der Jagd nicht allein den Zufällen des Markts überlassen. Die Hamburger haben ihrerseits eine weitere nikotinarme Sorte, zunächst in Berlin, herausgebracht: die Astor Special. Außerdem bereiten sie sich darauf vor, Brinkmanns Erste Lese gerichtlich zu blockieren. Ihr Hebel: Reemtsma besitzt den Markennamen Erste Sorte.
Neue Zigarettenmarken von BAT und Brinkmann: Schrotschuß auf den Reemtsma-Hasen