BUNDESTAG Billige Lorbeeren ernten
Bundesverkehrsminister Hans Christoph Seebohms vorweihnachtlicher Satz vom Kasseler DP-Parteitag: »Wir neigen uns vor jedem Symbol, unter dem Deutsche gefallen sind. Ich betone ausdrücklich: vor jedem Symbol«, brachte im Bundestag mit schmutziger Wäsche beladene Retourkutschen auf bemerkenswert tiefem Niveau ins Rollen.
Sie wurden (im Anschluß an Konrad Adenauers Beschwichtigung der SPD wegen dieser Rede) von zwei niedersächsischen Nachkriegspolitikern gezogen, die sich nach der Bundestagswahl 1948 beide in Bonn wieder trafen: von dem Rechtsanwalt und Notar Dr. Otto-Heinrich Greve, der in Bonn den niedersächsischen Stimmkreis Nienburg-Schaumburg-Lippe für die SPD vertritt, und von der Verbandsgeschäftsführerin Margot Kalinke, 42, die die niedersächsische Landesliste der Deutschen Partei repräsentiert.
Dr. GREVE (SPD): Daß es Ihnen, Herr Bundeskanzler, natürlich nicht leicht gefallen wäre, den Herrn Bundesverkehrsminister Dr. Seebohm am 5. oder 6. Dezember 1951 oder nach Ihrer Rückkehr aus London auszubooten, kann ich mir denken. Ich will hier mit aller Deutlichkeit sagen, Herr Bundeskanzler: ich glaube schon daran, daß Sie persönlich am liebsten dem Herrn Bundespräsidenten vorgeschlagen hätten, Herrn Dr. Seebohm zu entlassen. Aber Sie sind halt auf die Deutsche Partei angewiesen, um nicht noch mehr Schwierigkeiten mit Ihren Mehrheitsverhältnissen hier in diesem Hause zu bekommen.
(Widerspruch rechts. - Zuruf der Frau Abg. Kalinke)
Frau Kalinke, Sie haben nachher Zeit, Ihr wohltönendes Organ hier erklingen zu lassen!
(Heiterkeit. - Zurufe rechts und Zuruf des Abg. Dr. Mühlenfeld.)
Stören Sie mich bitte nicht! Welche Zwischenrufe ich mache, müssen Sie mir schon überlassen, Herr Dr. Mühlenfeld. Wenn Sie keine machen können, dann fragen Sie mich vielleicht das nächste Mal, was Sie für Wünsche haben.
(Beifall bei der SPD - Zurufe rechts.)
Aber glauben Sie nicht, daß der Schaden, der dadurch angerichtet wird, daß Sie derartige Herren weiter in Ihrer Bundesregierung behalten, auf die Dauer ein größerer ist, als wenn Sie jetzt die Schwierigkeiten in Kauf nähmen, die Ihnen möglicherweise durch den Austritt der Deutschen Partei aus Ihrer Regierung erwüchsen? Die Deutsche Partei würde Ihnen allerdings vielleicht Dank dafür wissen, wenn Sie das täten, weil sie dann die Möglichkeit hätte, in die Opposition zu gehen.
(Zurufe von der CDU: In die SPD?)
Sie ist ja schon Opposition innerhalb der Regierung.
(Zustimmung bei der SPD.)
Warum soll sie da nicht Opposition außerhalb der Bundesregierung sein? Wir haben keine Furcht vor einer schwarz-weiß-roten Opposition mit Hakenkreuz und Stahlhelm.
(Zuruf der Abg. Frau Kalinke.)
Ach, Frau Kalinke, Sie sollen ja auch gar keinen Stahlhelm tragen!
(Allgemeine Heiterkeit.)
Behalten Sie ruhig weiter das auf, was Sie bisher auf dem Kopfe haben.
(Erneute Heiterkeit.)
Meine Damen und Herren! Männer, die nichts weiter im Kopfe haben, als derartige Reden zu halten und wieder zu singen »Es braust ein Ruf wie Donnerhall« und »Siegreich woll''n wir Frankreich schlagen«, sind keine Repräsentanten der Bundesrepublik Deutschland! ... Unser Appell richtet sich an den Herrn Bundeskanzler. Eine Diskussion mit dem Herrn Bundesverkehrsminister erübrigt sich angesichts der Tatsache, daß er einer Diskussion über solche Fragen mit uns einfach nicht würdig ist ...
(Starker Beifall bei der SPD.)
Vizepräsident Dr. SCHÄFER: Das Wort hat die Abgeordnete Frau Kalinke.
Frau KALINKE (DP): Herr Präsident! Meine Herren und Damen! Ich könnte meine Antwort mit dem Bedauern beginnen, daß ich die politische Auseinandersetzung, die nun leider nötig ist, ausgerechnet mit einem Manne beginnen muß, der im allgemeinen seine Meinungsverschiedenheiten durch Prügel und dergleichen auszutragen pflegt.
(Sehr richtig! rechts.)
Wir haben Erinnerungen an niedersächsische Auseinandersetzungen dieser Art. Ich bedauere das ...
Meine Herren und Damen! In meiner Fraktion sitzt neben unserem Freunde, dem Bundesverkehrsminister, kein einziger Mann und keine Frau, die sich etwa zu irgendeiner Zeit in Reden und Aufsätzen mit dem Nationalsozialismus und dem Führer des Nationalsozialismus so identifiziert haben, wie sich maßgebliche Vertreter Ihrer Fraktion in diesem Hause »mit der ingeniösen Staatskunst« des herrlichen
*) Hier mit der Tochter von Justizminister Dehler. Führers noch 1940 lobend identifizierten.
(Hört! Hört! rechts. - Gegenrufe von der SPD.)
Ich will es Ihnen schriftlich geben; ich will Ihnen das vorlesen und vorlegen, wenn Sie das wünschen.
(Zurufe von der SPD. - Bitte! - Namen nennen!)
- Wollen Sie das, dann will ich es Ihnen vorlesen, was der maßgebliche Sprecher Ihres neuen Sozialprogramms, Herr Professor Preller, noch 1940 geschrieben hat:
(Hört! Hört! rechts.)
Wofür wir kämpfen.
- Ich könnte mit der Genehmigung des Herrn Präsidenten sehr viel vorlesen. -
Wenn der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln ist, so schließen diese Mittel für die ingeniöse Staatskunst des Führers jedenfalls diplomatisches und wirtschaftliches Vorgehen nicht aus ...
(Stürmische Heiterkeit bei den Regierungsparteien. - Zuruf rechts: Herr Arndt, jetzt kommen Sie!)
Ich möchte auch von den vielen kleinen Dingen schweigen, über die sehr viel zu sagen wäre. Ich möchte nur einige einzelne, ganz erschütternde Fälle der letzten Tage hier einmal vortragen.
Meine Herren, daß Herr Reuter, der der Generalsekretär der Kommunistischen Partei war, ein großer Sachkenner des Marxismus und des Kommunismus ist, möchte ich ihm nicht abstreiten. Daß er aber ein Sachkenner der demokratischen Kräfte in dieser Regierung ist - und mit dem Angriff sind alle Regierungsparteien angegriffen - , das möchte ich ihm ganz entschieden absprechen.*)
(Beifall bei der DP.)
Ich möchte aber erklären, daß es der Gipfel der Verantwortungslosigkeit ist, wenn ein deutscher Sozialdemokrat im Ausland in einer so ernsten Stunde wie der, in der sich die deutsche Delegation, als es um gesamtdeutsche Fragen ging, im Ausland befand, sich in einem Interview dann so etwas leistet! Dabei sträubt sich alles in mir, es überhaupt in diesem Hause darzustellen.
(Abg. Mellies: O Gott, o Gott!)
- Nicht »O Gott, o Gott!«, Herr Mellies! Sie sollten sich sehr ernsthaft Gedanken über die Folgen solcher unverantwortlichen außenpolitischen Handlungen machen! Nicht etwa, daß der Sprecher der Sozialisten, Herr Reuter, gefragt worden wäre, wie er über die Deutsche Partei im besonderen oder die Regierungsparteien im allgemeinen dächte - nein, ihm ist vom »Franc Tireur« eine Frage vorgelegt worden, wie er sich denn die Vereinigung Deutschlands vorstelle. Und wörtlich ist er gefragt worden, unter welchen Bedingungen seine, die Sozialdemokratische Partei dieser Vereinigung zustimmen würde und worin sich diese Bedingungen von denen der Regierungsparteien unterscheiden.
Darauf hat Herr Reuter geantwortet, - und so können Sie es im »Franc Tireur« vom 11. Dezember 1951 im Original lesen, ich sage es in der deutschen Uebersetzung, frei übersetzt - , man brauche nicht davon zu sprechen, daß sich besondere Differenzen ergäben; denn alle Parteien hätten ja im Bundestag diesem Willen zur Einheit zugestimmt. »Alle demokratischen Parteien«, sagte er, » - und wenn ich sage: die demokratischen Parteien, dann denke ich nicht an die Partei von Herrn Dr. Seebohm, sondern allein an die Sozialisten, an die christlichen Demokraten,
*) Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Prof. Dr. h. c. Ernst Reuter, war 1918-1921 als Sekretär für Groß-Berlin und als Generalsekretär der KPD tätig. an die Liberalen, die sich damit identifizieren!«
(Sehr richtig! bei der SPD.)
... Kein Geringerer als Herr Professor Carlo Schmid, ein sehr gelehrter Jurist, ein Justizminister - nicht wahr? - ,
(Zuruf von der Mitte: a. D.!)
ein Mann, der auch als praktizierender Jurist - er war Kriegsgerichtsrat in Frankreich -
(Heiterkeit und Zurufe)
einiges von der Gefahr solcher Dinge weiß, - Herr Carlo Schmid hat vor kurzem in Straßburg ebenfalls in einer außenpolitisch sehr ernsten Stunde, als dieses schandbare Unglück mit dem Verbrecher Halacz in Nienburg geschah, in Straßburg auf dem Boden der internationalen Auseinandersetzung geäußert, daß man solche Attentate doch mit politischen Zielen und mit nazistischen Aktivs in Verbindung bringen müsse.
(Hört! Hört! bei der DP.)
... Aber, Herr Dr. Greve, ich weiß nicht, in welcher Partei Sie damals saßen. Sie haben Ihre Gesinnung ja gewechselt!*)
(Lebhafter Beifall in der Mitte und rechts. - Abg. Dr. Greve: In derselben Partei, in der Herr Eickhoff**) damals saß, Frau Kalinke!)
Als wir - und auch mein Kollege und Freund Dr. Seebohm - im Niedersächsischen Landtag dem Gesetz über die Entschädigung für die Opfer des Nazismus zustimmten - ich weiß allerdings nicht, in welcher Partei Sie damals waren, Herr Dr. Greve - , da haben wir uns für - -
(Abg. Dr. Greve: Das wissen Sie genau! Sie wollen hier nur billige Lorbeeren ernten!)
- Ich führe kein Buch über Ihre verschiedenen Gemütsbewegungen.
(Große Heiterkeit. - Erneute Zurufe des Abg. Dr. Greve.)
- Herr Dr. Greve, wir haben uns für die Geschädigten des Naziregimes mit demselben Ernst und Eifer verantwortlich eingesetzt, wie wir uns gegen die Verfolgung der Entnazifizierten eingesetzt haben, und
*) Otto-Heinrich Greve war 1926-1933 Mitglied der Deutschen Demokratischen Partei, 1945 bis 1946 Mitbegründer der FDP und ist seit 1. Mai 1948 SPD-Mitglied. **) Rudolf Eickhoff, Bäckermeister, jetzt DP-Abgeordneter für den niedersächsischen Stimmkreis Diepholz-Melle-Wittlage. keiner von uns hat jene Stunden im Niedersächsischen Landtag vergessen, in denen Ihre Fraktion Zurufe machte, die ich in dieser Stunde um des Rechts und der Demokratie willen nicht wiederholen möchte..
Sie werden demnächst, wenn Sie nicht mit uns einen Weg gemeinsamer Verantwortung finden, nämlich den der Verantwortung für unser Vaterland, uns noch öfter herausfordern, so daß wir Ihnen hier leider - ich bedauere das - Vorlesungen halten müssen, die ich lieber verschweigen möchte.
(Lebhafter Beifall bei der DP. - Abg. Mellies: Der Gegenstand, er riß sie hin! - Große Unruhe.)
Vizepräsident Dr. SCHÄFER: Das Wort hat Herr Abgeordneter Dr. Greve.
Dr. GREVE (SPD): Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, in derselben Art und Weise mich hier von der anderen Seite der beiden Geschlechter zu betätigen, wie Frau Kalinke das getan hat.
(Zurufe rechts.)
- Nein, das kann ich auch nicht, da haben Sie ganz recht! Diese Art fehlt mir!
(Heiterkeit und Zustimmung bei der SPD - Lachen bei den Regierungsparteien.)
... Frau Kalinke, wir brauchen uns doch gar nicht darüber zu unterhalten, ob der eine meiner Parteifreunde oder der andere Ihrer Parteifreunde mal in der NSDAP gewesen ist. Wissen Sie, bei Ihnen wimmelt es ja von ehemaligen Nazis, und was Ihr Herr Dr. Ehrich sich im letzten niedersächsischen Wahlkampf geleistet hat, hat ja alles bisher Dagewesene in den Schatten gestellt.
(Sehr richtig! bei der SPD.)
Ich glaube, ich brauche Sie nur daran zu erinnern, was damals wirklich vorgegangen ist; das weiß jeder hier im Hause. Das war eine Schande genau so wie das, was Herr Dr. Seebohm gesagt hat.
Herr Dr. Seebohm hat sich gegenüber einem Journalisten aus Dortmund, als es sich um den Hedler-Prozeß handelte, aufgeregt, daß er mit Herrn Hedler verwechselt worden war, und hat diesem Journalisten aus Dortmund gegenüber zum Ausdruck gebracht, daß man solche Journalisten als »journalistische Schmutzfinken, die in der deutschen Demokratie nicht geduldet werden dürften«, bezeichnen müßte.
Nun, meine Damen und Herren, das ist die Sprache, die Herr Dr. Seebohm zu verstehen scheint. Ich will nur an Stelle des Wortes »journalistisch« »bundesministeriell« setzen - weiter will ich nicht sprechen - , um Ihnen zur Kenntnis zu bringen, wie man die Ausführungen eines solchen Ministers bezeichnen muß.*)
(Zurufe rechts: Unerhört!)
- Das ist nicht unerhört! Das ist die Sprache,
(erneute Zurufe rechts: Unerhört!)
die diejenigen, die so etwas sagen, allein zu verstehen scheinen.
(Stürmische Zurufe rechts.)