EG Billiger Sommer
Schwärme von Ungeziefer hingen über den Feldern und trieben die Bauern selbst am kühleren Nachmittag zurück ins Dorf. Doch schon am kommenden Morgen, kurz vor Sonnenaufgang, warfen die Pfirsichbauern nahe der norditalienischen Stadt Ravenna neue Hügel mit faulenden Früchten auf, neue Ziele für Wolken von Wespen und Schmeißfliegen.
In anderen Dörfern, in der Nähe Bolognas und im Mezzogiorno, einer der ärmsten Regionen der prosperier enden europäischen Neuner-Gemeinschaft, setzten die Bauern Bulldozer ein, um die Ernte zu zerstampfen und unterzupflügen. In den letzten Wochen vernichteten sie rund 41 000 Tonnen italienische Pfirsiche.
»Solche Bilder heizen natürlich die Emotionen an«, räumte Jürgen Detken, Leiter der Agrarabteilung der deutschen EG-Botschaft in Brüssel, ein. Besonders dann, wenn solche Vernichtungsaktionen dem europäischen Verbraucher illustrieren, daß hohe Preise im Laden und Vernichtung einer Überproduktion Alltag der europäischen Agrarpolitik sind.
Europas Obstbauern vernichten jährlich Hunderttausende von Tonnen an Äpfeln, Birnen oder Pfirsichen und werden dafür auch noch vom europäischen Steuerzahler belohnt -- in diesem Jahr mit 190 Millionen Mark. Dabei, so Nikolaus van der Pas, agrarpolitischer Sprecher der Brüsseler EG-Kommission, »gibt es offiziell keine Vernichtung als Interventionsmaßnahme«.
Intervenieren zum Schutz der Bauern aber muß die Brüsseler EG-Behörde immer dann, wenn die Preise für ihre Ware weit unter die Schwelle fallen, die die Kommission als »Marktpreis« festsetzt.
Wie die Brüsseler Behörde aber im einzelnen zu diesem Preis kommt, legt sie selten dar. Immerhin hängt das Schutznetz für die Obst- und Gemüsebauern, für die seit 1962 eine gemeinsame Marktordnung gilt, weit niedriger als für die Viehhalter, die weniger Preisschwankungen auf dem Markt fürchten müssen.
Erst wenn der Bauer etwa in Süditalien wegen einer ertragreichen Ernte weniger als 50 Prozent des festgesetzten Marktpreises von seinen Abnehmern erhält oder wenn er gar auf seinen Pfirsichen sitzenbleibt, eilen staatliche Stellen zu Hilfe und kaufen die Überschüsse zur Hälfte des Marktpreises auf.
Allerdings, nach Artikel 21 der Marktordnung müssen diese Früchte wenigstens bestimmten Verbrauchern zugute kommen. Schulen, Altersheime und Krankenhäuser müssen unentgeltlich beliefert werden, der Industrie Früchte zur Futterverarbeitung oder zur Destillation in reinen Alkohol angeboten werden.
Brüsseler Agrarbürokraten, wegen ihrer Hochpreispolitik oft gescholten, weisen gern darauf hin, daß seit 1967 nur zwischen drei und sechs Prozent der europäischen Obsternte auf diese Art »aus dem Markt genommen« wurden.
Denn für den Obstbauern sei wegen der wechselhaften Witterung jede vernünftige Planung unmöglich. Tatsächlich haben zwischen 1968 und 1974 entweder ein Frost im Frühling die Ernte um ein Fünftel verringert oder ein gemäßigter Sommer den Bauern eine Apfelschwemme bereitet.
Den Verbraucher im Neunerklub kostet beides Geld. Rund 500 000 Tonnen Obst zogen Brüsseler Agrarfunktionäre im Rechnungsjahr 1974/75 aus dem Markt, um die Preise für Äpfel, Pfirsiche und Birnen nicht verfallen zu lassen. Dafür zahlte Brüssel rund 160 Millionen Mark.
Der Jahrhundertsommer des letzten Jahres sorgte schließlich für einen veritablen Obstvernichtungsfeldzug und bescherte den Brüsseler Kassenwarten die bisher höchste Obstrechnung seit Bestehen des Wirtschaftsvereins. Rund 1,1 Millionen Tonnen Obst, davon allein 355 000 Tonnen Pfirsiche und 328 000 Tonnen Birnen, erreichten nicht den zahlenden Verbraucher.
Nutznießer der Birnenschwemme war die Schnapsindustrie, die 96 Prozent der unverkäuflichen Früchte billig erstand. Die Brüsseler EG-Kassierer kostete die Obstschwemme des letzten Jahres fast 500 Millionen Mark. Im auslaufenden Jahr nun wird dies besser werden -- weil das schlechte Wetter des Sommers den Agrarfinanziers zu Hilfe kam.
Dennoch empfanden es die italienischen Obstbauern als lukrativer, rund 41 000 Tonnen Pfirsiche zu vernichten. Erregte sich die deutsche Fachzeitschrift »Fruchthandel": »Es ergibt sich der Unsinn, daß nicht für die Nachfrage, sondern für die Vernichtung produziert wird.«