LÜBKE-REISE Bin ein Togoknabe
Strafende Gerechtigkeit im Blick, suchte und fand Bundespräsident Heinrich Lübke den Mann, dem er den Tod seines alten Freundes und früheren Präsidenten der Republik Togo, Sylvanus Olympio, anlastet.
Als der Staatsgast aus Bonn am Freitag vorletzter Woche die Gangway herunterschritt und den roten Teppich auf dem Flughafen von Lome, der Hauptstadt Togos, betrat, stand der Beschuldigte leibhaftig vor Lübkes Angesicht: der togolesische Militärbefehlshaber Oberstleutnant Eyadema, der nach dem Putsch vom 13. Januar 1963 an die Spitze der Streitmächte gespült worden war. Der Bundespräsident hatte sich schon in Bonn das Gesicht Eyademas nach eigens angeforderten Bildern eingeprägt.
Noch heute sind in Olympios sandfarbenem Haus, nahe am Strand von Lomé, die Einschüsse jener Kugeln zu sehen, denen der Präsident - er war der einzige afrikanische Staatschef, der sich mit Lübke in fließendem Deutsch unterhalten konnte - damals zum Opfer gefallen war.
In Telegrammen zwischen Bonn und Lomé hatten das Auswärtige Amt, das Bundespräsidialamt und die Deutsche Botschaft sich bemüht, einen Eklat bei der Ankunft Lübkes zu vermeiden. Denn der Bundespräsident hatte wissen lassen, er werde dem laut Protokoll hinter dem neuen Staatspräsidenten Nicolas Grunitzky am Rande des roten Teppichs stehenden Armeechef nicht die Hand drücken; er wollte den Namen Eyadema auch auf keiner deutschen Einladungskarte und keiner Ordensliste sehen. Vergeblich hatte die Deutsche Botschaft darauf hingewiesen, es habe auch unter Olympio Verfolgung und Mißhandlung oppositioneller Politiker gegeben.
Für die Diplomaten in Lübkes Begleitung und den - seit einem Fehltritt in einen leeren Swimming-pool gipsfüßigen - deutschen Botschafter Gerhard Seeliger ebenso wie für die Spitzen der Regierung von Togo gewann die Ankunft Lübkes die Spannung eines Ringkampf es.
Als der Bundespräsident die Gangway herunterkam, ging spürbar Aufatmen durch die Reihen: Lübkes rechte Hand war bandagiert. Im Flugzeug auf dem Weg von Duala nach Lome hatte ihm sein begleitender Arzt, Professor René Schubert, einen elastischen Verband angelegt.
Mit der linken Hand ergriff Lübke die Rechte des Präsidenten Grunitzky, den togolesischen Befehlshaber ignorierte er. Eyadema reagierte auf den Affront mit einer hochmütigen Grimasse. Mit säuerlicher Miene stapfte er dann, wie das Protokoll es befahl, hinter den beiden Präsidenten her, als sie die Front abschritten.
Heinrich Lübke stand das protokollarische Zeremoniell mit steinernem Gesicht durch. Daß auch er innerlich aufgeregt war, ließ höchstens ein Versprecher in seiner Begrüßungsansprache erkennen, in der er zum Schluß in Togo die deutsch-kamerunische Freundschaft beschwor.
Die 120 000 Einwohner der togolesischen Hauptstadt schienen zum Empfang des Bundespräsidenten nahezu vollständig auf den Beinen zu sein. Mit Palmwedeln, Deutsch-Brocken und Papierfähnchen, bei denen der schwarzrotgoldene Aufdruck bisweilen auf dem Kopf stand, entboten die Togolesen Heinrich Lübke das auf dieser Reise bisher spontanste Willkommen.
Am nächsten Tag, dem Sonnabend, wurde die Erinnerung an die einstige deutsche Musterkolonie beschworen. Im Garten des Goethe-Instituts trafen sich unter einem ausschwingenden Dach, wie es in minderbemittelten Badestädten die Kurkapellen beherbergt, die Mitglieder des Bundes deutschtreuer Togoleute, erkennbar an schwarzweißroten Abzeichen mit eingewebten Wellen und Palmen. Zu ihnen gesellten sich die Angehörigen des Bundes der Deutschstämmigen, erkennbar an rotem Kräuselhaar auf schwarzen Häuptern, und des deutsch-afrikanischen Bundes-Togovereins.
»Sehr geehrter Herr Bundespräsident, sehr verehrte Frau Lübke«, so begann in fließendem Deutsch und mit vor Erregung und Alter zittriger Stimme der dunkelhäutige Sprecher aller drei Vereine mit dem anheimelnden Namen Josef Ammerding seine Ansprache. Er mußte dann hinzufügen: »Leider ist der Herr Bundespräsident abwesend.«
Zum erstenmal war das 71jährige Staatsoberhaupt den Strapazen der Reise nicht mehr gewachsen gewesen. In glühender Mittagshitze hatte Lübke auf Madagaskar im offenen Wagen durch eine Bananenplantage fahren müssen. In Kameruns Nordstadt Garua hatte er bei Backofentemperaturen ohne Ruhepause Reiterspiele beobachtet. In Lomé schließlich, wo ihm als Residenz der zugige, frühere Gouverneurssitz des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg zugewiesen worden war, brach der physische Widerstand des Präsidenten zusammen.
Am Freitagabend hatte er noch unter Aufbietung aller Kräfte an einem zu seinen Ehren von Präsident Grunitzky gegebenen Essen teilgenommen.
Am nächsten Tag lag Lübke mit einer schweren Erkältung im Bett. An seiner Stelle nahm Entwicklungshilfe-Minister Scheel die Wünsche der deutschtreuen Togovereine entgegen: »Möge der gütige, gnädige Gott den Herrn Bundespräsidenten und seine Frau Gemahlin und die ganze Begleitschaft wohlbehalten wieder in die Heimat zurückbringen.« Dann rezitierte eine schwarze Schönheit mit Inbrunst in der Stimme Gottfried-Keller-Worte: »Es gehet eine schöne Sage ...«
Doch eine Steigerung war noch möglich. Mit hellen Stimmen sangen schwarze Kinder, von einem früheren Feldwebel und jetzigen Volksschullehrer unterwiesen, das von ihrem Zuchtmeister persönlich auf deutsch getextete Lied:
Ich bin ein Togoknabe und hab' die Heimat lieb, wie Gott in seiner Gote mir in das Herz es schrieb.
Der Sonne und des Meeres Pracht, die zieht mich an mit Zaubermacht.
Ich bin ein Togoknabe und hab' die Heimat lieb; hali, hali, hali, haliho, haliho.
Goethe-Instituts-Leiter Klaus Stoltz verlieh dem Ganzen die Weihen höherer Kultur, indem er ein Goethe-Wort abwandelte: »Jede Nation sollte versuchen, auf ihre Art griechisch zu sein.« Das Deutschlandlied kam als Zugabe.
Völlig anders als in Kamerun gab es in Togo ein rückhaltloses Bekenntnis zur gemeinsamen Vergangenheit. Es beschränkte sich nicht nur auf die deutschtreuen Togovereine. Ihre in Ehren ergrauten und auch die im Kindesalter stehenden Mitglieder die mittlere Generation ist französisch geprägt - klatschten Beifall, als ihr Sprecher erwähnte, daß Deutschland stets Togo seine Musterkolonie genannt habe. Selbst Staatspräsident Grunitzky, der selbst nicht deutsch spricht, dessen Väter aber ein deutscher Kaufmann aus Danzig war (seine Mutter war eine Häuptlingstochter aus Atakpamé), gebrauchte die Bezeichnung Musterkolonie.
Die Vertretung des Bundespräsidenten durch Scheel stiftete unter den Landeskindern Verwirrung. Präsident Grunitzky übersetzte dem Minister und der vorn im Wagen sitzenden Bonner Dolmetscherin, Colette Bouverat, die »Ewe« -Rufe der Bevölkerung mit den Worten: »Das da ist der Bundespräsident, und da vorn, das ist seine Frau.«
Prompt war am nächsten Tag Scheel auch krank. Während der Entwicklungshilfe-Minister eine Nervenentzündung im linken Fuß kurierte, hatte Lübke sich wieder aufgerafft. Am Sonntagmittag ließ er die Repräsentanten der Togovereine, der Kirchenvereine und den Bürgermeister von Lomé, Kodzo Nathaniels, zu sich kommen. Lübke nahm von ihnen den Stadtschlüssel aus Elfenbein und ein Gemälde entgegen, das den Bundespräsidenten in weißer Toga, grünem Häuptlingsumhang und Sandalen in der nach Landesart üblichen Schuhnummer, etwa der Größe 50, zeigt.
Seinen Gästen konnte Lübke als Gegengabe die Gewißheit mitgeben, daß sein Besuch nicht von gewöhnlicher Art sei: »Schon als junger Student hatte ich
Lust, nach Togo zu gehen. Das scheiterte aber daran, daß meine Mutter nicht so lange von mir getrennt sein wollte. So sehen Sie, daß alle Dinge, die jetzt ein Faktum sind, schon vorherbestimmt waren.«
Ganz im Sinne dieser Auslegung wurde am Montag letzter Woche auch das von den Honoratioren überreichte Gemälde Wirklichkeit. Zu einer Reise ins Landesinnere war Lübke im einzigen verfügbaren Erste-Klasse-Wagen auf den noch von Deutschen gelegten Schienen nach Palimé aufgebrochen. Eines der Transparente, mit denen der Gast aus Deutschland begrüßt wurde, zeigte das leicht ramponierte Konterfei Kaiser Wilhelms II. mit der Aufschrift »Häuptling von Kuma«. Der Titel bezieht sich auf eine in der Nähe von Palimé gelegene Ortschaft.
Im Stadion wurde Heinrich Lübke von Landeshäuptlingen in grünes Tuch eingewickelt. Als eine Art Zaubermeister mit geheimnisvollen Gesten daranging, die Tötung eines weißen Hammels vorzubereiten, stoppte Lübke die Verbrüderung. Der Hammel blieb am Leben.
Die Häuptlinge wahrten nur mit Mühe die Fassung. Enttäuschung war in ihren Kreisen schon vorher nur mit Anstrengung überwunden worden. Sie hatten einen Amtsbruder des Abgesandten zur Deutschen Botschaft nach Lomé geschickt. Vergeblich hatte er dort den Wunsch nach einer Beihilfe zur angemessenen Ausgestaltung des Festes angemeldet, das die Häuptlinge zu Ehren Lübkes veranstalten wollten. Im einzelnen hatte der Emissär begehrt: ein 50-Kilo-Faß Schwarzpulver, vier Ochsen, 50 Flaschen Whisky sowie vier Flaschen Soda.
Wieder nach Lomé zurückgekehrt, fielen Lübke nicht nur wegen der Gunstbeweise der Togo-Bevölkerung die Vorbereitungen zum Abschied schwer. Den ganzen Montag hindurch hatte die Deutsche Botschaft - 300 Meter entfernt von der Landesgrenze zu Ghana gelegen - Nachrichten über den Abstecher Nkrumahs und seines Trösters Sekou Toure nach Malis Hauptstadt Bamako, der nächsten Station auf der Reise Lübkes, aufgefangen.
Mit Reisebegleiter Scheel konferierte Lübke noch in der Nacht zum Dienstag über das zweckmäßigste Verhalten. Daß Bamako inzwischen zu einer Sammelstation der aus Ghana vertriebenen Russen und Zonenfunktionäre geworden war - damit hatte man sich in der Bonner Delegation abgefunden. Ein Zusammentreffen mit dem gestürzten ghanaischen Diktator Nkrumah und seinem Kostgeber Sckou Touré aber hätte den reibungslosen Ablauf des Staatsbesuches in Frage gestellt.
Scheel und Lübke wurden jedoch einer Entscheidung enthoben. In den Nachtstunden meldete der Rundfunk die Abreise der beiden schwarzen Kompagnons aus Bamako.
Der Weg in die Hauptstadt von Mali, nun frei geworden, war gesäumt von Schulklassen, Dorfgruppen und Jungvolk der Staatspartei, das von DDR -Instrukteuren in einem Lager nördlich von Bamako trainiert wird. Die Früchte dieser Bemühungen wurden Heinrich Lübke bei seinem Einzug in die Stadt am letzten Dienstag dargeboten: Die Partei-Junioren applaudierten nach kommunistischer-Manier mit den Händen über ihren Köpfen.
Doch wie sichtbar auch immer der Einfluß kommunistischer Berater in Bamako sein mochte - Heinrich Lübke predigte tapfer und unbeirrt das deutsche Anliegen. Am Dienstagabend, auf einem Empfang im Palais seines Gastgebers, beschwor er das Leid der Teilung. Vor ihm hatte Mobido Keita das Wiederaufkommen von Imperialismus und Neokolonialismus in Afrika beklagt.
Keiner der beiden Präsidenten konnte für sich in Anspruch nehmen, auf den anderen einen tiefen Eindruck gemacht zu haben. Sichtbare Wirkung erzielte Heinrich Lübke nur bei einem Diplomaten: Der sowjetische Botschafter in Mali, Leonid Mussatow, verließ zum Zeichen des Protestes gegen die Worte des Bundespräsidenten demonstrativ den Empfang.
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