FRANKFURT Birnen kaputt
Der hohe Gast war tief beeindruckt. Bei der Eröffnung des Frankfurter Opernhauses anno 1880 schwärmte Kaiser Wilhelm I. vom »herrlichsten Bauwerk der Gegenwart«. 4,2 Millionen Goldmark für ein Galahaus, befanden Majestät, »können sich nur die Frankfurter leisten«.
Ruhm heimste der Bau im Renaissancestil noch als Ruine ein. Nachdem alliierter Bombenhagel im März 1944 der Herrlichkeit vorerst ein Ende gesetzt hatte, feierten Lokalpatrioten den Opernrest als schönste Ruine Deutschlands.
Heute ist dem hundert Jahre alten Gemäuer aufs neue ein Superlativ gewiß. Der Wiederaufbau der Alten Oper, die nun auch als Kongreßzentrum genutzt werden soll, geriet zum »aufwendigsten und teuersten Projekt, das sich die Stadt für die nächsten Jahrzehnte eingebrockt hat« ("Frankfurter Rundschau").
Die Alte Oper in der Frankfurter Innenstadt, die der ehemalige Oberbürgermeister und Theaterliebhaber Rudi Arndt (SPD) noch in die Luft sprengen wollte, was ihm den Namen »Dynamit-Rudi« eintrug, soll nach den Vorstellungen seines Nachfolgers Walter Wallmann (CDU) zum »Mittelpunkt des deutschen Musiklebens« werden.
Der Opernbau gehört neben einem riesigen Gartenhallenbad (50 Millionen Mark), einer Eissportarena (42 Millionen Mark) und einer gigantischen Bundesgartenschau (120 Millionen Mark) zu einer Reihe kostspieliger Prestigeobjekte, mit denen der Christdemokrat bei der Kommunalwahl 1981 die absolute Mehrheit behaupten möchte. »Wallmann spekuliert darauf«, meint die FDP-Fraktionsvorsitzende Inge Sollwedel, »daß schöne Fassaden wählerwirksam sind.«
Bislang indes wurde in der historischen Opernkulisse lediglich ein finanzpolitisches Trauerspiel gegeben: Die Kosten der Renovierung schnellten binnen weniger Jahre in ungeahnte Höhen empor -- eine Entwicklung, die selbst altgediente Rathauspolitiker verblüffte, für die es nichts Ungewöhnliches ist, wenn sich ursprünglich veranschlagte Beträge schon mal verdoppeln oder verdreifachen.
In Frankfurt nämlich werden sich die Opern-Baukosten zumindest um den Faktor 6 vervielfachen. Vor wenigen Jahren noch war von 30 Millionen Mark die Rede gewesen. Im Januar wurden bereits 130, im März 145, im April 153 Millionen genannt. Letzte Woche war die Summe für Bau und Außenanlagen gar bei 188,5 Millionen Mark angelangt, der Preisgipfel aber womöglich noch nicht erreicht.
Gebaut wird an dem Opernhaus immerhin noch gut ein Jahr. Das städtische Revisionsamt, das der Öffentlichkeit immer wieder höhere Ausgabenziffern präsentiert, erwartet, daß laufende Detailuntersuchungen »zu weiteren Kostensteigerungen führen«. SPD-Fraktionssprecher Dieter Burow vermutet: »Das erste hohe C im Haus krächzt wohl der Pleitegeier.«
Jedenfalls wird, seit die Stadt vor anderthalb Jahren die Betriebsgesellschaft Alte Oper GmbH gründete, in dem Haus munter drauflos gewirtschaftet. Da mußte etwa, als der Planungsprozeß bereits abgeschlossen war, plötzlich für 1,5 Millionen Mark eine überdimensionierte Dolmetscheranlage her -- das herkömmliche viersprachige System erschien dem Generalmanager der Operngesellschaft, Ulrich Schwab, zu mickrig.
Der großzügige Schwab (ein Mitarbeiter: »Bei dem muß es immer der letzte Schrei sein") bestand auf achtzüngiger Vermittlung und überging die Warnung der städtischen Sparkommissare, eine »Anerkennung der Oper als internationales Kongreßzentrum« sei »zweifelhaft«. Den Mitarbeitern des städtischen »Amtes für technische Angelegenheiten« (ATA), das eigentlich Schwabs Baupläne kritisch prüfen sollte, kam gar nicht in den Sinn, den üppigen Übersetzerapparat für überflüssig zu halten: »Wir brauchen die acht Kanäle zwar nicht«, bekennt ein Amtsrat, »aber wir haben sie.«
Schwabs Arbeitsparole »Von allem das Beste, das Modernste« fielen etliche schon angefertigte Einrichtungen zum Opfer, so die elektroakustischen Geräte. Für 250 000 Mark gewann Schwab den Akustik-Experten Heinrich Keilholz aus Salzburg, ohne dessen Mitwirkung »kein Maestro von Weltrang einen Konzertsaal betritt«, wie Schwabs Technischer Direktor Klaus Diers wissen will.
Keilholz'' Drang nach absoluter Perfektion verteuerte den Etatansatz »Elektroakustik« von 1,8 auf 2,8 Millionen Mark. Ob das exklusive Engagement erfolgreich war, ist freilich fragwürdig. Denn »bei diesem Opernsaal«, so ein an der Neuplanung beteiligter Akustik-Ingenieur, »kriegen Sie nie perfekt hin, daß man in der 47. Reihe die Geige links hört«.
Dreimal umgeplant wurde die Klimaanlage (Diers: »Es darf schon was Besseres sein"), die statt fünf nun 9,6 Millionen Mark kostet. Die Bühnentechnik soll auf einmal zehn Millionen Mark kosten; veranschlagt war gut die S.46 Hälfte. Dabei sind da womöglich »nur ein paar neue Seilzüge hinzugekommen« (ein ATA-Bediensteter), aber »die Firmen halten sich schadlos, weil wir immer unter Zeitdruck die Ausschreibungen machen«.
»Der Appetit«, mutmaßt Hermann Sengle, Direktor der »Frankfurter Aufbau AG«, »kommt beim Essen.« Sengle, der bei dem Projekt die Planungsprozesse steuert, gibt zu, »daß ein Bau teurer wird, wenn der Bauherr immer auf neue Ideen kommt«. Außerdem »wollten wir nicht kleinlicher bauen als die in Hamburg und Berlin«.
Dort, in den beiden pompösen Kongreß-Palästen, entdeckten die Frankfurter Opernbauer auch, »was eine richtige Fernsprechzentrale ist« (Diers). Folglich wurde die ursprüngliche Planung umgeworfen. »Verzwanzigfachung des ursprünglichen Ansatzes«, konstatierten die amtlichen Prüfer -statt 37 500 Mark stehen jetzt »750 000 DM netto« zu Buche.
Bedeckt wird das Haus mit einem protzigen Kupferdach, obschon die Revisoren frühzeitig moniert hatten, die »dadurch erreichte echte Patina« sei nur »einer begrenzten Zahl von Beschauern (Hochhausbewohnern, Hubschrauberbesatzungen) zugänglich«.
Was auch immer den Ausstattern an neuen und teuren Varianten einfiel, der Bauherr genehmigte es. Im Stadtparlament fand das Millionenspiel stets die Unterstützung der Unionschristen, die sämtliche Magistratsvorlagen um die Bewilligung von Mehrausgaben einstimmig verabschiedeten.
Das generöse Geldgebaren, rügten die Rathaus-Revisoren in einer vertraulichen Vorlage, sei »nicht mit den Regeln einer geordneten wirtschaftlichen Verwaltungsführung« zu vereinbaren. Trotz des alarmierenden Zahlenwerks versicherte Opernbürgermeister Wallmann, die Stadt habe bei dem Bauprojekt »sparsam gewirtschaftet«. Und Stadtkämmerer Ernst Gerhardt (CDU) konterte die Kritiker kurz, man habe eben »die hochgespannten Erwartungen der Bevölkerung in vollem Umfang erfüllen« wollen.
In ihrer »Skandalchronik« (ein Amtsleiter) machen die Finanzaufseher auch die regierenden Christdemokraten für den Preisschub verantwortlich. Denn wesentlich beteiligt an den immensen Kostensteigerungen sei die »Umwidmung des ursprünglichen Konzeptes«.
Sollte das Haus zu SPD-Regierungszeiten noch ein »kulturelles Zentrum für alle« werden, mit Mediathek, Jazzkeller und kommunalem Kino, so krempelte Wallmann, der Jazz in einem Operngebäude für baren »Unsinn« hält, samt seiner Mehrheitsfraktion das Konzept radikal um. Zum konservativen Kontrastprogramm paßten Kammermusiksaal und Konzerthalle besser als Kellerjazz und Kino.
Daß aber die »Auswirkungen der neu gesetzten Nutzungsprioritäten nicht in letzter Konsequenz durchdacht« waren, wie das Revisionsamt bald aufmerkte, störte Frankfurts Christdemokraten wenig. Im März überraschte die städtische »Vergabekommission«, in der die CDU ebenfalls die Mehrheit hat, mit einem neuerlichen millionenschweren Zuschlag.
Rund 4000 Opernstühle soll die Fabrik Schröder & Henzelmann in Vlotho bauen, für 3,02 Millionen Mark. Den gleichen Stuhl hätte auch die Firma Kamphöner in Enger (Westfalen) gefertigt -- insgesamt eine Million billiger.
Den Ausschlag für die teure Anschaffung, die ohne Ausschreibung beschlossen wurde, gab Designer Gerd Lange, der den Stuhl für die Stadt entworfen hatte. Lange ist mit drei Prozent an der Auftragssumme beteiligt. FDP-Fraktionsvorsitzende Inge Sollwedel: »Ein unmögliches Verfahren.«
Im Wirrwarr neuer Bauvarianten und im Streit um die »teure Füllung für die alte Haut« ("Süddeutsche Zeitung") blieb bislang eine Rechnung offen: die jährlichen Folgekosten für das operale Luxusspektakel. Auf »zehn bis 15 Millionen Mark« schätzen Insider die künftige finanzielle Belastung pro Jahr, noch ein »harter Brocken für den Steuerzahler« (Sollwedel).
Allein für die vielen tausend Glühlampen, erwartet Generalmanager Schwab, »brauche ich zwei Mann, die ununterbrochen damit beschäftigt sind, kaputte Birnen gegen neue auszutauschen«.
S.44Mit dem hessischen Ministerpräsidenten Börner (2. v. r.) vor derFassade der Alten Oper, 1978.*S.46Mit Querschnitt-Zeichnung der Alten Oper.*