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Rundfunk Bis aufs Mark

Der Mitteldeutsche Rundfunk entwickelt sich zum Haussender der Christdemokraten.
aus DER SPIEGEL 46/1993

Am Telefon ist der Mann ein Macher, beim Zahnarzt ganz Mensch. Der Profi, der sieben Termine am Tag bewältigt, fegt samstags als netter Nachbar noch das Treppenhaus. So ist der sächsische CDU-Fraktionschef Herbert Goliasch zwar »der Politiker im Alltagsstreß, aber auch liebenswert und lustig«, wenn ihn der Mitteldeutsche Rundfunk (MDR) abends im Fernsehen vorstellt.

Distanz zum »Mit-Menschen« (Sendungstitel) Goliasch, dessen DDR-Karriere bis in die Ost-Berliner Zentrale der Block-CDU führte, wird höchstens angedeutet. Das Propagandawerk über den Dresdner CDU-Vormann, der dem MDR-Rundfunkrat angehört, war bei Journalisten von der Redaktion Innenpolitik auf heftigen Widerstand gestoßen - Begründung: Im Vorfeld des Superwahljahres 1994 sei Parteienwerbung dieser Art »nicht machbar«.

»Ein sehr guter Beitrag«, befand dagegen MDR-Fernsehdirektor Henning Röhl. Der Boß, selbst CDU-Mitglied, setzte sich durch. So geht das immer wieder in der ostdeutschen Dreiländeranstalt, die Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt mit öffentlich-rechtlichem Rundfunk versorgt. Rechtzeitig zu Beginn der Wahlkampagnen bauen unionstreue Programmgestalter den ARD-Sender, der zehn Prozent der bundesweiten Sendezeit liefert, zur konservativen Plattform aus.

Offener Druck ist dabei oft gar nicht nötig. Ohnedies bestimmen vorauseilender Gehorsam, zähe Anpassung und stille Verzweiflung das Klima in vielen MDR-Redaktionen zwischen Dresden und Magdeburg.

Zum Aufstand der Basis gegen die parteigelenkten Oberen kam es nun erstmals in der Redaktion des MDR-Magazins »Fakt«.

Ausgerechnet beim polit-journalistischen Paradestück des Senders, das Mitte 1992 in den Kreis der etablierten ARD-Magazine wie »Report« und »Monitor« vorgedrungen war, reichten kürzlich drei der vier Redakteure ihre Kündigung ein. »Fakt«-Chef Wolfgang Fandrich, ein früherer Bonner ZDF-Korrespondent mit CDU-Parteibuch, sei deshalb »total am Ende«, sagt einer der Abtrünnigen.

»Fakt« - benannt nach der ostdeutschen Redewendung »das ist Fakt«, nämlich eine Tatsache - wird der Realität nach Erfahrung der Aussteiger immer weniger gerecht. Inhaltliche, gar politische Diskussionen sind in der Polit-Redaktion unerwünscht.

Als beispielsweise in einem Beitrag über die mißlungene Anti-Terror-Aktion von Bad Kleinen nur die Sicherheitsorgane gelobt und die Kritiker getadelt wurden, ließen sich die drei widerborstigen »Fakt«-Leute Reinhard Borgmann, Andrea Everwien und Ulrich Neumann aus dem Abspann der Sendung streichen. Magazinchef Fandrich setzte danach die Redaktionskonferenz monatelang aus.

ARD-weiten Ärger bekam Fandrich mit einem Werk über den christdemokratischen Präsidentschaftskandidaten Steffen Heitmann. Der Magazinmann ließ den sächsischen Justizminister im hellen Anzug durch einen Dresdner Park spazieren und dabei über den angeblich kampagnenhaften Widerstand gegen seine Kandidatur lamentieren. Kritische Fragen blieben beim Landschaftsbild mit Heitmann ausgespart.

Um so heftiger reagierten Fandrichs Kollegen in der üblichen Schaltkonferenz der ARD-Magazine dienstags nach der Sendung. Die Kritik ("journalistisch unvertretbar") kam dabei nicht nur aus der linken Ecke; auch die CSU-nahen »Report«-Macher aus München äußerten Befremden.

WDR-Intendant Friedrich Nowottny ("Ich war verblüfft, was alles möglich ist") sieht Fandrich und dessen Chefredakteur Wolfgang Kenntemich nun in einer schwierigen Lage: »Wer eine solche Sendung abliefert, kann im Grunde genommen nicht mehr damit rechnen, daß man ihn ernst nimmt.«

Die rechte Drift der Ost-Anstalt ist das Ergebnis rigoroser CDU-Personalpolitik bei der MDR-Gründung 1991. Maßgeblich gesteuert vom sächsischen Fraktionschef Goliasch, der Heitmannkritische Berichterstatter kürzlich als »Pissoirjournalisten« beschimpfte, wurde nahezu die komplette Führungsriege aus Westdeutschland importiert - zumeist CDU-Parteigänger mit Karriereknick wie der ehemalige »Tagesschau/ Tagesthemen«-Chef Röhl und die ehemalige NDR-Chefredakteurin Ulrike Wolf, heute Funkhauschefin in Dresden.

Seither läuft ein lebhafter Personaltransfer zwischen Christenunion und Sender. Der frühere CDU-Fraktionssprecher von Sachsen-Anhalt, Hans-Otto Plumeyer, wechselte als Pressereferent ins Landesfunkhaus. MDR-Sprecherin Susan E. Knoll vertrat vergangenes Jahr noch die Politik des Bonner Entwicklungshilfeministers Carl-Dieter Spranger (CSU). Umgekehrt rückte MDR-Redakteurin Hella Fickert zur Sprecherin des sächsischen Wirtschaftsministers Kajo Schommer (CDU) auf.

Der sächsische Ministerpräsident Kurt Biedenkopf (CDU) mischt sich zudem direkt in die MDR-Arbeit ein. Als beispielsweise Biedenkopfs Innenminister Heinz Eggert (CDU) in einem »Fakt«-Beitrag wegen der Weiterbeschäftigung Stasi-belasteter Polizisten kritisiert wurde, intervenierte Biedenkopf bei der MDR-Führung. Ergebnis: Eggert durfte in einem kurzfristig angesetzten »Donnerstagsgespräch« seine Sicht der Dinge ausführlich darstellen.

Heftig reagierte Biedenkopf auch beim »Tag der Sachsen« im September in Görlitz, als die regionale MDR-Sendung zum staatlich verordneten Festtag nicht nur Frohsinn transportierte. Der Landeschef verlangte vom Politik-Ressortleiter noch am gleichen Abend Rechenschaft.

Leichteres Spiel hat Biedenkopfs Kollege Werner Münch (CDU) in Sachsen-Anhalt. In der Person von Ralf Reck (CDU) steht ihm ein Landesfunkhauschef bei, dem Huldigungen näherzuliegen scheinen als Journalismus. In einem »Magdeburger Gespräch« vor prunkvoller Barockkulisse verströmte Münch ungehemmt Lob für sich und seine Minister: »Ich habe mit Sicherheit eins der besten Kabinette.« Reck echote beflissen: »Ich kenne viele Kabinette und kann das nur bestätigen.«

Eine Abkehr vom Parteifunk könnte allenfalls eine wachsende Zahl von Zuschauern bewirken, die sich vom MDR wegzappen - wie bei einem »Fakt«-Interview mit Helmut Kohl (CDU) Ende August.

Während sich Kohl, kaum unterbrochen von den Einwürfen seiner Fans Fandrich und Kenntemich, über Verjährungsfristen, Rezession und Rente verbreitete ("Dies ist die Stunde der Wahrheit"), sackte die Zuschauerzahl binnen Minuten von 4,5 auf 3,5 Millionen.

Das ist Fakt. Y

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