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Ungarn Bis Kovács kam

Mit privaten Unternehmens-Methoden füllte ein Ingenieur Marktlücken. Er wurde verhaftet.
aus DER SPIEGEL 30/1972

Der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft »Kossuth ging es schlecht. Ihre Bilanz schloß mit Verlusten ab. Bis Kovács kam.

Ingenieur József Kovács, ein dynamischer Unternehmer, der den sozialistischen Markt durch und durch kennt, kam mit einem VW nach Kecskemét zu »Kossuth« und warb für die Produktion von »Termoszig«, einem Wärme-Isolierstoff für die Bauindustrie, der sich, so Kovács, aus jeder Art landwirtschaftlichen Abfalls produzieren lasse. Damit, pries Kovács, könne man Millionen verdienen.

Das gefiel den »Kossuth«-Genossen. Zur finanziellen Gesundung der Genossenschaft und auch zur Beschäftigung der Bauern im arbeitsarmen Winter ist es Ungarns Kollektivgenossenschaften erlaubt, gewerbliche Nebenbetriebe zu gründen. Die Landwirte von Kecskemét taten sich mit der Genossenschaft »Lenin« in Sarkad und der »Allgemeinen Verbrauchs- und Verkaufsgenossenschaft« in Füzesabony zusammen: Jeder der drei Partner beteiligte sich mit 50 000 Forint an der Gründung des Nebenbetriebs »Termoszig«.

Der Vollzugsausschuß des Rats des Komitats Heves erteilte die Lizenz für das »Isolier- und Bauindustrie-Unternehmen Termoszig«. Gleich darauf sprach Ingenieur Kovács beim stellvertretenden Leiter der Organisationsabteilung des Rats vor, mit der Lizenz (14 Seiten): »Wir brauchen dringend eine Kopie des Beschlusses des Vollzugsausschusses, bitte hierhin -- Stempel und Unterschrift.«

Der Beamte las den Text nicht noch einmal durch, sondern ließ auf die Seite 14 tippen: »Der Vollzugsausschuß hat die Firmen-Eintragung von Termoszig genehmigt« -- Aktenzeichen, Stempel. Unterschrift. Er übersah, daß er eine kleine Änderung auf Seite 1 mitbescheinigt hatte: Der Tätigkeitsbereich der neuen Firma erstreckt sich auf das ganze Land.

Mit dem beglaubigten Dokument mietete Kovács, nun Direktor des neuen Betriebs, in Budapest am Römer-Ufer mehrere Villenkeller, meldete das Unternehmen beim Finanzamt an und eröffnete bei der Ungarischen Nationalbank das Konto Nr. 350-47290. Dann ließ er von der Lizenz einige Dutzend Photokopien ablichten, in Kunststoffhüllen stecken und an seine Mitarbeiter verteilen, die damit Aufträge und Arbeitskräfte besorgten.

Die Firma florierte sofort. Zur »Teilnahme an der Realisierung des hauptstädtischen Wohnungsbauprogramms« übernahm sie es, zwei Häuser mit Eigentumswohnungen zu bauen, bestellte einen Bauleiter, einen Vize-Bauleiter. einen Techniker. Gruppenleiter und einige Dutzend Bauarbeiter, die ihr Werkzeug mitbrachten -- Spaten, Pinsel, Lot und Kelle. Die Firma ließ handarbeiten: Sie hatte kein eigenes Baugerät, keine Maschinen. Ihre Kosten betrugen 40 000 Forint. Die Rechnung für das Objekt lautete über 120 000 Forint.

»Termoszig« zahlte doppelten Stundenlohn: 20 bis 25 Forint (etwa drei Mark), wahrscheinlich, weil sie genauer kalkulierte und geringere Kosten hatte. Außerdem zahlte »Termoszig« angeblich auch weniger Steuern und Abgaben.

Dank der höheren Löhne zogen Arbeiter »in hellen Scharen« (so Parteiblatt »Népszabadság") aus der Staatsindustrie in den Privatbetrieb. Andererseits arbeiteten »Termoszig«-Arbeiter soviel besser, daß sich Staatsunternehmen -- darunter das berühmte Metallkombinat von Csepel -- bei »Termoszig« Werktätige ausliehen. Sie mußten dafür 60 Forint je Person und Stunde an »Termoszig« zahlen, verrechenbar als »Betriebsausgaben«, was bei den Staatsbetrieben die Plankennziffer »Arbeitsproduktivität je Beschäftigten« wachsen und die Kennziffer »Lohn« sinken ließ.

Manche Fachkräfte kündigten in Csepel oder bei der Pharmazeutischen Fabrik »Chinoin«, ließen sich den »Termoszig«-Stempel in die Rubrik »Arbeitgeber« ihres Arbeitsbuches drücken und werkten dann wieder -- mit »Termoszig«-Lohn -- im alten Betrieb. Bei »Chinoin« verdienten 150 »Termoszig«-Arbeiter doppelt soviel wie die eigentlichen »Chinoin«-Arbeiter.

»Termoszig« expandierte in andere Branchen. In einer »Lohnfuhr-Abteilung« betätigten sich 30 private Autobesitzer und verdienten bis zu 40 000 Forint im Monat. Mitunter betätigten sie sich auch nicht, lieferten nur den Wagen und stellten selbst Chauffeure dafür ein (7000 Forint Monatsgehalt). Nach einem Vierteljahr hatten sie den Preis für einen neuen Lkw heraus.

Der Erfolg des Bauunternehmers, Arbeitsvermittlers und Transportgewerbetreibenden Kovács schreckte die Staatswirtschaft auf. »Népszabadság": »Die Interessen der Volkswirtschaft und die Normen der gesellschaftlichen Moral erfordern, ein für allemal die Lücken zu schließen, die ein dem Sozialismus fremdes Abenteurertum ermöglichen.«

Nach einem Jahr profitabler Ausfüllung von Marktlücken wurde die Lizenz zurückgezogen, Direktor Kovács verhaftet und gegen 26 »Termoszig«-Angestellte ein Strafverfahren wegen Betrugs, Unterschlagung, Bestechung und Spekulation eingeleitet.

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