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Briefe

BIS ZULETZT
aus DER SPIEGEL 43/1969

BIS ZULETZT

(Nr. 41/1989, Gerhard Mauz über Kiesinger)

Ihr Beitrag »Ein Geheimagent des Vatikans?« hat mich sehr interessiert, da ich bei den Prozessen in USA (Boston und Washington) 1947/48 als Zeuge dabei war. Ihre Recherchen in USA hat Regierungsanwalt V. C. Woerheide mit Recht »bewundernswert gründlich« genannt. Ich füge hinzu: Scharfsinnig rekonstruiert haben Sie auch die Reaktion der deutschen Zeugen, als diese nämlich erfuhren, daß die US-Regierung Herrn Kiesinger nicht als Zeugen nach den USA gebracht hatte; ich selbst habe mich freilich damals, als ich die »Kiesinger-Statements« in den Diensträumen des Mister Woerheide gelesen und »verdaut« hatte, über gar nichts mehr gewundert.

Besonders interessierte mich, daß das sogenannte Ahlers-Papier Ausgangspunkt Ihrer Odyssee durch amerikanische Behörden, Archive und Familien war. Ich begrüße« daß Sie als erster deutscher Publizist den Charakter dieser Niederschrift eines meiner ehemaligen AA-Kollegen richtig skizziert haben, wurde doch mit dieser -- als »Persilschein Kiesingers« im November 1966 bekanntgeworden -- mannigfacher Mißbrauch getrieben; ein Tatbestand, der in Kürze auch in einer Klage des Unterzeichneten gegen den »Ullstein«-Verlag (re: Buch von Klaus Hoff: »Kurt Georg Kiesinger -- die Geschichte seines Lebens«; 1969) sein gerichtliches Nachspiel und seine endgültige Klarstellung finden soll.

Essen HANNS DIETRICH AHRENS

Dr. Hanns Dietrich (nicht Wilhelm) Ahrens, heute in der Public-Relations-Beratung tätig, war während des Zweiten Weltkriegs in der Rundfunkpolitischen Abteilung des AA -- unter dem stellvertretenden Abteilungsleiter Kurt Georg Kiesinger -- für das Referat USA zuständig. Fälschlich galt Ahrens zeitweise als »Denunziant« Kiesingers bei der Gestapo, obwohl er das so genannte Conrad-Ahlers-Papier nicht verfaßt oder unterzeichnet hat, sondern in ihm nur benannt wird. Für Ahrens, den intimen Kenner der NS-Propaganda, war es eine ganz besondere Überraschung, als er 1947 In Boston aus den Kiesinger-Statements der Anklage erfuhr, daß sein ehemaliger Vorgesetzter ein »Geheimagent des Vatikans« gewesen sein will; eine Behauptung, die in einem Vorerst unerklärlichen Gegensatz zu der von Kiesinger 1968 beschworenen Zeugenaussage steht, der zufolge er jene ausländischen Meldungen für »Greuelpropaganda« gehalten haben witt, aus denen seine Widerstandstätigkeit für den Vatikan zu erklären wäre. -- Red.

Wenn zutrifft, was auch dem Artikel über Kiesinger in seiner rundfunk-politischen Funktion im Auswärtigen Amt von 1940 bis 1945 zu entnehmen ist -- und es spricht wenig dafür, daß es nicht zutrifft -, dann hat er nicht »hocherhobenen Hauptes in die Opposition« zu gehen, sondern schleunigst gesenkten Blickes von der Politik Abschied zu nehmen, um die Bundesrepublik und ihre gesamte Politik nicht länger zu belasten. Wer trotz seiner damaligen, informationsgesättigten Funktion angeblich von nichts gewußt hat, tatsächlich oder auch nur vorgeblich Geheimagent war, der ist nicht geeignet, die politischen Richtlinien einer Demokratie zu bestimmen oder, aus der Opposition heraus, auf sie einzuwirken.

Jülich (Nrdrh.-Westf.)

WOLFGANG H. MÜLLER

Als ehemalige Pressestenographin des »Sonderdienstes Seehaus« (Erfasserin in der »Deutschen Gruppe") habe ich Ihren Bericht mit großem Interesse gelesen und möchte mich, vor allem im Hinblick auf das Ermittlungsverfahren, das Herr Dr. Duwe gegen Herrn Kiesinger ausgelöst hat, dazu äußern. Von 1941 bis 1943 habe ich Nachrichten in deutscher Sprache aus England, Amerika, Rußland, Schweiz. dem Vatikan und den Sendern »Calais« und »Gustav Siegfried I« abgehört. In diesen zwei Jahren habe ich nur einmal den Bericht über eine Juden-Deportation aufgenommen. Er kam vom Londoner Sender und stammte von einem polnischen Flüchtling, der zur Begleitmannschaft eines jüdischen Transportzuges gehört hatte. Die Waggons dieses Zuges waren nach seinem Bericht mit Kalk (ungelöschtem?) ausgestreut, so daß die meisten Juden nach tagelanger Fahrt nur noch tot an ihrem Bestimmungsort ankamen. Damals war ich entsetzt über diesen Bericht, hielt diese Deportation aber für eine einmalige Angelegenheit, da ich auch von meinen Freunden und Bekannten der ausländischen Abhörstellen nie etwas über Maßnahmen gegen die Juden hörte. Da wir oft Berichte und Nachrichten des Auslandes diskutierten, hätten wir über solche Nachrichten ganz bestimmt gesprochen, schon im Hinblick darauf, daß zu der Zeit noch genügend Juden in Berlin unter uns lebten. Zu den übrigen Nachrichten kann ich nur sagen, daß die meisten von uns spätestens seit »Stalingrad« den Feindmeldungen mehr Glauben schenkten als den eigenen! Darf ich hinzufügen, daß ich überzeugt davon bin, daß Herr Kiesinger bis zu diesem Zeitpunkt (1943) keine Kenntnis von Vernichtungsaktionen gegen die Juden gehabt hat.

Köln ULLA WELLING

Kurt Georg Kiesinger wußte, obwohl er fünf Jahre an der Quelle, das heißt in der Rundfunkpolitischen Abteilung des AA tätig war, »in seinem dienstlichen Bereich« offenbar wesentlich weniger, nur »im privaten Bereich« formte sich in ihm die »Ahnung, daß etwas ganz Böses geschehe«. Trotzdem hielt er es weiter in dieser Umgebung aus, weil er wohl als »Geheimagent des Vatikans« auf seinem Posten ausharren mußte. Darüber möchte man gern mehr hören: zum Beispiel, ab wann er dem Vatikanischen Secret Service angehört hat? Ob schon zu Beginn des Krieges oder erst nach Stalingrad, als es mit dem Dritten Reich abwärts ging?

Tübingen DR. ADOLF RIETH

Man ist ja inzwischen in Deutschland an vieles gewöhnt und hält fast nichts mehr für unmöglich, aber wenn der amtierende Bundeskanzler als ehemaliger Geheimagent einer ausländischen Macht bezeichnet wird und daraufhin nichts geschieht, noch nicht einmal ein kurzes Dementi erfolgt, so ist das wohl sogar für nachkriegsdeutsche Verhältnisse ein einmaliger Fall, besonders, wenn man sich an den Ausspruch eines Geheimdienst-Fachmannes während des Falles Otto John erinnert: »Einmal Spitzel, immer Spitzel«.

Berlin PAUL MÜLLER

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