»Bis zum Bauch in Bohnen«
Über hundert Mark investierte die Berliner Polizei, um einem Heroinschmuggel auf die Spur zu kommen. Die Drogenfahnder wurden mit Büchsenöffnern ausgerüstet.
Das praktische Haushaltsgerät wurde auf dem Berliner Fruchthof eingesetzt, wo ein türkischer Lastwagen mit Bohnenkonserven sichergestellt worden war. Einige Bohnendosen, so der Tip, den die Kripo erhalten hatte, seien mit Heroin gefüllt.
»Bis zum Bauch in Bohnen«, berichtet enttäuscht der Drogenfahnder Georg Samulowski, habe man zum Schluß gestanden, als alle Büchsen geöffnet waren. Doch Rauschgift fand sich nicht.
So geht es meist. Blamable Pannen wie die Berliner Bohnenaffäre sind nach Ansicht von Kriminalpolitikern bei Ermittlungen gegen die Organisierte Kriminalität (OK) programmiert. Die Gegenseite ist stets schneller, hat mehr Geld, mehr Leute als die Polizei. »Wir sind gewohnt, immer nur zu reagieren«, sagt Hamburgs Kripochef Wolfgang Sielaff, »das ist zu wenig.«
»Weder auf nationaler noch auf internationaler Ebene«, klagen die Autoren eines Interpol-Erfahrungsberichts, »existieren bisher geeignete Methoden«, die Mafiosi zu packen. Den »Führungsqualitäten und Spezialkenntnissen« des kriminellen Managements, so ein Papier, das vom Bundeskriminalamt (BKA) vor wenigen Wochen der Innenminister-Konferenz vorgelegt wurde, habe die Polizei wenig entgegenzusetzen: »Das organisierte Verbrechen dürfte sich erheblich ausweiten.«
Solche Warnungen sind Anlaß genug für Polizeipraktiker, neue Ermittlungsbefugnisse zu verlangen. Einer der Wortführer ist der Leiter der Polizeiabteilung im baden-württembergischen Innenministerium ("Landespolizeipräsidium"), Alfred Stümper, 62.
Die Unterwelt, fordert Stümper, müsse mit neuen Augen gesehen werden: »Eine kopernikanische Wende in der Kriminalpolitik« sei fällig.
Die Wende wird von Kriminalisten mit dem Schlagwort »personenbezogene Ermittlungen« charakterisiert. Dahinter verbirgt sich die Abkehr von der traditionell tatbezogenen, reaktiven Aufklärungsarbeit der Kripo.
Die Polizeiarbeit, wie sie in der Strafprozeßordnung vorgezeichnet ist, setzt voraus, daß eine Straftat begangen wurde - ermittelt wird der Tatverdächtige. Künftig wollen Kriminalisten vom Täter zur Tat ermitteln: Mutmaßliche Mafiosi sollen vorsorglich ins Visier genommen werden - dann erst wird geklärt, welche Leichen sie im Keller haben. »Aktive Informationsgewinnung im Vorfeld relevanter Kriminalitätsbereiche« nennt das Helmut Trometer, Chef des Bayerischen Landeskriminalamtes.
Zu diesem Zweck wollen Stümper und Kollegen mit nachrichtendienstlichen Mitteln arbeiten. Neben dem jetzt schon verbreiteten Einsatz von verdeckten Ermittlern, die sich mit falschen Papieren als Geschäftspartner an Drahtzieher krimineller Gruppen heranmachen, gehören Lauschangriffe mit Richtmikrophonen, Telephonüberwachungen und Rasterfahndung zum Arsenal.
In OK-Computern sollen Personendaten und Details gesammelt werden, um so Dunkelmänner ausmachen zu können. Den Anfang macht die »Arbeitsdatei OK« beim Bundeskriminalamt, eine Abteilung im PIOS-Computer ("Personen, Institutionen, Objekte und Sachen").
Doch das neue Ermittlungskonzept stößt auf rechtliche Schwierigkeiten. Die vorbeugende Bespitzelung mutmaßlicher Mafiosi, um zu sehen, was sie so anstellen, ist von keinem Gesetz gedeckt. Gegen einen Bürger, gelte er auch als Dunkelmann, darf die Polizei nach der Strafprozeßordnung nur recherchieren, wenn er im Verdacht einer konkreten Straftat steht; nach den Polizeigesetzen der Länder nur, wenn er drauf und dran ist, etwas konkret Gefährliches oder Strafbares zu tun. Das Ermitteln »auf Vorrat« hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil verboten.
Allerdings gibt es jetzt schon Entwürfe für eine Erweiterung der polizeilichen Befugnisse zum Sammeln und zur Weitergabe personenbezogener Daten. So sollen nach einem Vorschlag der Innenminister-Konferenz Ermittler künftig auch Informationen sammeln über »Personen, bei denen Anhaltspunkte bestehen, daß sie künftig Straftaten begehen«.
Das Anti-Mafia-Konzept erfordert jedenfalls gesetzliche Regelungen, die alsbald in den Ruch geraten könnten, verfassungswidrig zu sein. Denn in einem Gesetz wird es nur schwer gelingen, rechtsstaatlich präzise die Voraussetzungen zu beschreiben, die ausreichen sollen, einen Bürger für einen Mafioso zu halten.