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FDP/BERLIN Biß vom Däumling

Berlins Liberale gehen mit hohem Risiko in die vorgezogenen Neuwahlen. Mit oder ohne Koalitionsaussage - es geht ums Überleben im Parlament.
aus DER SPIEGEL 6/1981

Im Dezember letzten Jahres schwante einem Kommentator der »Berliner Liberalen Zeitung«, daß an Gerüchten über gewisse »Geschäfte im Nahen Osten« womöglich mehr wahr sei als an den »Märchen aus 1001 Nacht": Was da im Orient geschehen sei, könne West-Berlins Freidemokraten immerhin »Alpträume für ein paar hundert Nächte weniger« bescheren.

Vielleicht, so scheint es nun, auch für ein paar hundert Nächte mehr. Denn die Senatskrise um die morgenländischen Geschäfte des Berliner Bauunternehmers Dietrich Garski hat die FDP so sehr geschwächt, daß ihre parlamentarische Existenz auf dem Spiel steht.

Weil Garski, der mit der Pleite seiner Baufirma mehr als 100 Millionen Mark aus der Staatskasse in den Wüstensand gesetzt hat, FDP-Mitglied ist und seiner Partei 27 000 Mark gespendet hat, lag die Verdächtigung nahe, der FDP-Landesvorsitzende und Wirtschaftssenator Wolfgang Lüder sei dem maroden Garski-Unternehmen mit Gefälligkeitsentscheidungen behilflich gewesen. Lüder mußte wegen politischer Mitverantwortung für den Finanzskandal sein Senatsamt niederlegen, für sein Parteiamt wird ein Nachfolger gesucht.

Vor den am 10. Mai anstehenden Neuwahlen möchte die Berliner FDP ihre Verwicklung in die Garski-Affäre gleichwohl vergessen machen und sich als unverdrossene, unverbrauchte dritte Kraft darstellen.

Doch schon bei der Formulierung neuer Ziele tun sich die Liberalen schwer: Ihre Versprechungen gelten allesamt alten und in einem halben Jahrzehnt sozialliberalen Rathaus-Regiments nicht gelösten Problemen.

So möchte der Noch-Vorsitzende Lüder »der Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen Vorrang einräumen«. »ausreichenden Wohnraum zu sozial vertretbaren Preisen« anbieten und für die Sanierungs- wie für die Nahverkehrspolitik die längst überfälligen »neuen Konzeptionen« finden.

Rechtsanwalt Harald Loch, aus Protest gegen eine zunächst versuchte Geheimhaltung der Garski-Spenden zurückgetretenes FDP-Landesvorstandsmitglied, fordert Wohltaten für Berlin, über die selbst bei bestem Willen nicht im Schöneberger Rathaus entschieden werden kann -- zum Beispiel »neue Impulse« für die »Berlin- und Deutschlandpolitik zum Zwecke der Einbeziehung Berlins in das Intercitynetz der Bundesbahn« und einen »Energieverbund, der Kraftwerkbauten in Berlin überflüssig macht«.

Ob solche guten Worte, die Berlins Bürger bislang noch von jeder Partei vor jeder Wahl vernehmen konnten, ausreichen werden, ist fraglich. Höchst zweifelhaft mutet an, ob das gegen beide Regierungsparteien hochgradig allergische Wahlvolk den Freien Demokraten nochmals, wie 1979, gut 100 000 Stimmen (8,1 Prozent) schenkt.

Obwohl eine jüngst veranstaltete Umfrage der Allensbacher Demoskopen die Liberalen sogar auf neun Prozent aufsteigen sah, bei Riesenverlusten für die SPD (28 Prozent) und hohen Gewinnen der CDU (49 Prozent), erscheint ein Verdrängungswettbewerb zwischen der FDP und den in der »Alternativen Liste« notdürftig organisierten Grünen (1979: 3,7 Prozent) jedenfalls nicht ausgeschlossen.

Insbesondere Jungwähler, denen die etablierten Parteien als gleichermaßen abgewirtschaftet gelten, neigen nach den jüngsten Auseinandersetzungen zwischen Staatsgewalt und Hausbesetzern stärker noch als vor zwei Jahren zu einem solchen Alternativ-Votum. Laut Allensbach können die Grünen mit 13 Prozent der Stimmen rechnen.

Die Chancen der Freidemokraten werden zudem dadurch gemindert, daß die Wahlen mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einem Showdown zwischen den Spitzenkandidaten Hans-Jochen Vogel und Richard von Weizsäcker geraten werden. Die 2500 FDP-Mitglieder in Berlin müssen sich entscheiden, ob sie sich dem Wähler mit einer klaren Koalitionsaussage oder aber nach allen Seiten offen präsentieren wollen.

Über die richtige Taktik gerade in diesem Punkt aber ist die Landespartei zerstritten: Während die Mehrheit, von links bis weit über die Mitte, zur Fortsetzung des gerade renovierten Bündnisses mit den Sozialdemokraten entschlossen ist, warnen vor allem Mitglieder der elfköpfigen Fraktion vor einer klaren Koalitionsaussage.

Doch die Stimmung unter den Konservativen scheint umzuschlagen. Viele sehen kaum mehr eine andere Wahl, als zusammen mit der SPD weiterzuregieren oder mit ihr gemeinsam in die Opposition zu gehen.

Selbst Rechtsaußen Hermann Oxfort, der während der Senatskrise offen für einen Koalitionswechsel plädierte und nicht müde wurde festzustellen, die Sozialdemokraten hätten ihre »Regierungsunfähigkeit« bewiesen, glaubt seine Gelbblauen nun auf Gedeih und Verderb mit den Roten verbunden. Der gemeinsam gewählte Vogel/Brunner-Senat, so gestand Rechtsanwalt Oxfort widerwillig ein, sei ein »starkes Präjudiz« auch für den Wahlkampf.

Zunächst, in drei Wochen, wird die Berliner FDP zu entscheiden haben, wer sie künftig anführen soll. Als Nachfolger des seit längerem schon amtsmüden Wolfgang Lüder ("Zehn Jahre in einem Job sind genug") wünschen sich viele Liberale den einzigen Berliner Freidemokraten im Bundestag, Hans-Günter Hoppe. Der aber zierte sich noch am vergangenen Wochenende, den Auftrag anzunehmen.

Auch ein neuer Steuermann wird kaum die internen Konflikte in der sozialliberalen Rathaus-Koalition abklingen lassen. Die Neigung, sich auf Kosten des jeweils anderen zu profilieren, gehört sei vielen Jahren zur Tradition dieser politischen Zweckehe, in der rechte Liebe nur selten aufkommt.

»Mit der FDP im Bündnis leben«, bilanzierte schon 1971 das SPD-Blatt »Berliner Stimme«, »das heißt, den Däumling in der Westentasche hätscheln und zum Dank dafür in den Finger gebissen zu werden.«

FDP-Chef Lüder wiederum mäkelte noch letztes Jahr: »Wenn die Sozialdemokraten in ihrer Stadtpolitik so ideenreich wären wie beim Nachdenken darüber, wie man den kleineren Partner am besten übers Ohr hauen kann«, stünde es »im fünften Koalitionsjahr besser mit ihnen«.

Die nächste Kontroverse ist schon angezeigt. Der frischgebackene Wirtschaftssenator Guido Brunner, noch um kommunalpolitisches Profil verlegen, sprach öffentlich über die Möglichkeit, den einen oder anderen stadteigenen Betrieb zu privatisieren -- für viele Sozialdemokraten ein Tabu-Thema.

SPD-Chef Dietrich Stobbe klotzte prompt zurück, als gelte es, einen CDU-Vorstoß abzublocken: Die liberalen Vorstellungen müßten zu »Abstrichen an der Lebensqualität« und zum »Verlust an sozialem Wohlbefinden« führen.

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