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FALL HUBER Bißerl düster

Für 44 Stunden kam letzte Woche ein Referent des CSU-Chefs Strauß abhanden Entführung oder Flucht?
aus DER SPIEGEL 8/1978

Hier Huber«, sprach knapp zwei Stunden nach Mitternacht ein Mann in die Notrufsäule bei Kilometer 25,3 der Autobahnumgehung A 99 nahe Aschheim östlich von München. Der Allerweltsname elektrisierte Bayerns Nothilfe- und Polizeiapparat.

Der Verkehrszug Hohenbrunn war binnen Minuten zur Stelle, ein Notarzt der Feuerwehr brachte wegen des klirrenden Frosts Wolldecken und Spritzen herbei, und das bayrische Innenministerium löste Ringalarm aus.

Der Mann, der in der Nacht vom Dienstag auf Mittwoch letzter Woche aus der Kälte kam, war Georg Dieter Joachim Huber, 30, Referent für Auslandsbeziehungen in der CSU-Landesleitung, ein Mann mit ausgedehntem Arbeitsfeld: Mal organisierte er für Strauß einen Nahost-Trip, mal sah man ihn auf den syrischen Golan-Höhen. mal in Caracas (Venezuela), mal im Münchner Umland auf einem Volksfest in Wartenberg, mal aber auch als CSU-Protokollant beim SPIEGEL-Gespräch mit Strauß.

Stets war er dabei in enger Tuchfühlung mit dem Parteivorsitzenden. Wohl deshalb galt er auch als »einer der wichtigsten Männer« im CSU-Management ("Münchner Merkur"). Als der Parteibedienstete unter seltsamen Umständen und zu ungewöhnlicher Zeit, in aller Herrgottsfrüh' um sechs Uhr, unversehens verschwand, geriet er denn auch in die Schlagzeilen der Boulevardpresse »TZ": »Was geschah mit Huber wirklich?«

Hubers Wirklichkeit bestand zunächst nur noch aus einigen spärlichen Requisiten: seinem in der Tiefgarage querstehender brauner Mercedes, auf dem Boden neben dem Auto sein grauer Trachtenhut, auf dem Fahrersitz sein Jagdhund »Ludwig«.

Von »Ludwigs« Herrchen fehlte fürs erste jede Spur -- abgesehen vielleicht von einem auf Kunststoff-Folie gestanzten 10-Zeilen-Brief an die Deutsche Presse-Agentur. Darin war von einem Absender »KGS« die Entführung angezeigt: »Jetzt kann Strauß zeigen, wieviel ihm die Freiheit und ein menschliches Leben wert sind.« Die Botschaft war mindestens eine Stunde vor der ersten öffentlichen Nachricht über den Vorfall im Münchner Bahnpostamt abgestempelt worden.

Obschon also feststand, daß der Plastikbrief nur von Leuten stammen konnte, die am Verschwinden Hubers unmittelbar beteiligt waren oder über das Verschwinden sofort unterrichtet wurden (wie Ehefrau Britt, 32, und ein paar Eingeweihte in der CSU-Zentrale), blieb der verschwundene Referent für Polizei und Staatsanwaltschaft ein Fall »reiner Spekulation« und »ein bißerl düster« (Oberstaatsanwalt Karl Heinz Stocker).

Auch in der CSU-Landesleitung, deren Chef Strauß den fünfsprachigen Politologen vor zwei Jahren von der Deutschen Botschaft in Peking abgeworben hatte. blieb man ratlos. CSU-Generalsekretär Gerold Tandler zur Lage: »Verworrener geht's nicht.«

Die Verwirrung nahm eher noch zu, nachdem der Vermißte nach 44stündiger Absence auf der nächtlichen Autobahn wieder aufgetaucht war. Von drei bewaffneten Männern sei er in einen Kofferraum gepackt worden, erzählte der mit einem Schock im Krankenhaus liegende Huber, und während der vielen Stunden habe man ihn mal in den fensterlosen Transportraum eines VW-Busses verfrachtet und ihn danach mehrmals in diverse Pkw-Kofferräume umgeladen.

Nach der Kofferraumfahrt habe er sich »plötzlich im Freien befunden«, er könne aber »nicht sagen, ob er freigelassen wurde oder geflüchtet ist«. Bei der zweiten dreieinhalbstündigen Vernehmung am Donnerstag letzter Woche, an der auch CSU-Anwalt Günther Ossmann teilnahm, erzählte Huber schon einige Details mehr -- die freilich die Polizei nach wie vor in »Unklarheit über Ursache und Hintergründe des Geschehens« ließ.

Denn allzu absonderlich und unlogisch blieb manches aus den Mitteilungen des Heimgekehrten. Die Entführer hätten durchweg »hautfarbene Strickmützen mit Augen- und Mundlöchern« getragen, und nur einer der Täter, der ihn zuletzt in einem blauen VW-Bus bewachen sollte, habe die Maske abgenommen, weil er ein Buch lesen wollte und sei dabei eingenickt.

Nach einem »kurzen Geraufe« mit dem Schlafenden sei er, Huber, aus dem fahrenden Bus gesprungen. Abschürfungen oder Prellungen bekam er dabei erfreulicherweise nicht. Gefesselt hatten ihn die Täter ohnehin nicht, und außer präziseren Erinnerungen fehlten ihm nach der Odyssee eigentlich nur sein weißgoldener Ehering und eine Armbanduhr der Marke Seiko Bellmatic.

CSU-Chef Strauß schickte nacheinander seine Persönlichen Referenten Wolfgang Maurus und Wilhelm Knittel ans Krankenbett des Kollegen. Doch auch danach hatte die CSU »kein klares Bild«. CSU-Sprecher Godel Rosenberg: »Hier fehlt eine ganze Reihe von Details.« Huber könne vorerst »aufgrund seiner Krankheit die Dienstgeschäfte nicht aufnehmen«. Er wurde samt Frau und Hund in die Berge auf Urlaub geschickt. Dort könne er sich, so Rosenberg. »Zeit lassen, um nachzudenken«.

Im CSU-Hauptquartier blieb letzte Woche keine der denkbaren Versionen ausgeschlossen: von der »Entführung, wenn es eine Entführung war«, bis zur »Selbstinszenierung, wenn es eine Selbstinszenierung war«.

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