Giftmüll Bisweilen nachts
Blitzschnell war das Tor aufgebrochen, Zementsäcke wurden abgeladen, und schon rührten ein paar Eindringlinge einen dicken Brei an. Andere Mitglieder der in weiße Overalls gekleideten Gruppe bauten um den Metallstutzen eine Verschalung.
Dann war die sogenannte Schlucksonde K 80 im thüringischen Kirchheilingen bei Bad Langensalza in einen Betonblock mit Stahlstreben gegossen und nicht mehr funktionsfähig. 18 Minuten dauerte Ende letzten Monats die erste Aktion der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Thüringen.
Kirchheilingens Bürgermeister Holger Waclawczyk, gemeinsam mit dem Ratsmitglied Dietmar Himpel im Trabi herbeigeeilt, zeigte Sympathie für den ungewöhnlichen Zwischenfall. »Bis heute hat uns niemand genau gesagt«, zürnt Waclawczyk, »was da vor sich geht. Es wurde immer nur abgewiegelt.«
Mit ihrem Eingreifen versiegelte die Greenpeace-Crew eine Sonde, durch die seit Jahren flüssiger Giftmüll in einen ausgebeuteten Erdgasspeicher in rund 1000 Meter Tiefe gekippt wird. Zahlreiche Gemeinden aus dem Kreis Bad Langensalza fordern seit langem die Schließung der Deponie.
Die Palette der Sonderabfälle, die in der Thüringer Erde direkt neben einem Wasserschutzgebiet verschwinden, ist gewaltig. Altöle, Tensidwässer, Deponiesickerwässer, Lösemittel, Pflanzenschutzmittel, chlorierte und halogenierte Kohlenwasserstoffe und Dünnsäure werden eingeleitet. Im Untergrund entsteht ein Chemo-Cocktail, den keiner mehr kontrollieren kann.
Thüringens Minister für Umwelt und Landesplanung, Hartmut Sieckmann (FDP), ordnete vergangene Woche gleichwohl an, die verplombte Deponie für den Weiterbetrieb zu öffnen. Es könne »zuverlässig ausgeschlossen« werden, so der Minister »daß Schadstofflösungen« frei würden. Die seit 1989 abgelagerten Giftstoffe, versicherte Sieckmann, seien unter »vollständiger Kontrolle«.
Schön wär's. Nach Ansicht von Greenpeace bleibt die Erdgasdeponie weiterhin »untragbar«. Wegen »Gefährdung des Grundwassers« will die Umweltorganisation vor Gericht ziehen.
Denn Experten befürchten, daß die unterirdische Giftküche keineswegs so sicher ist, wie der thüringische Umweltminister angibt, und daß die Wasservorräte verseucht werden können. Sauberes Wasser, in den fünf neuen Bundesländern nach jahrzehntelanger rücksichtsloser Ausbeutung der Natur ohnehin kaum noch zu finden, würde dann vollends zum Luxusartikel werden.
Schon vor der Wende hatte das ehemalige DDR-Unternehmen VEB Erdgas Gommern die unterirdischen Lagerstätten mit umweltgefährdenden Flüssigkeiten gefüllt. Niemand weiß genau, wieviel und was dort schon liegt. »Bisweilen kamen die Laster nachts«, berichtet Ratsmitglied Himpel.
Mittlerweile betreibt die von der Treuhand verwaltete Erdöl-Erdgas Gommern GmbH die Sonderabfalldeponie. Der Gothaer Gommern-Ingenieur Klaus Ziegert versichert, daß die Untertagedeponie »auch noch in 100 000 Jahren dicht ist«. Schließlich, so Ziegert, sei »das Erdgas ja auch über Millionen Jahre im Speicher geblieben«.
Zweifel an dieser Argumentation sind angebracht. In die frühere Erdgaslagerstätte, poröser Plattendolomit aus der Zechsteinzeit vor 250 Millionen Jahren, ist längst Wasser eingedrungen, das über eine tektonische Störung im angrenzenden Schlotheimer Graben bereits heute Kontakt zu oberen Schichten erhält, wie Umweltschützer vermuten (siehe Schaubild). Daher sei die Einlagerung von Giftmüll »unverantwortlich«, weil niemand wisse, so der Chemiker Michael Braungart vom Hamburger Umweltinstitut, wie sich das Gift im Untergrund bei Wärme und Druck verhält.
Sicher ist: Die eingefüllten Säuren zerfressen den Kalk und bilden Gase, die sich den Weg nach oben suchen. Die dabei im Gestein entstehenden chemischen Reaktionen können das Druckgleichgewicht innerhalb der verschiedenen Erdschichten negativ beeinflussen und Gebirgsschläge auslösen. So haben im Werra-Becken Kaliablagerungen bereits zweimal Gebirgsschläge mit erheblichen Schäden verursacht.
In die Rohrleitungen aus den sechziger Jahren haben nicht einmal die Befürworter der Giftmüllversenkung uneingeschränktes Vertrauen. In einem Gutachten der VEB Erdgasförderung Salzwedel »Karl Marx« heißt es: »Im Falle einer Havarie und Verschmutzung des Grundwassers werden Trinkwasserzuführungen aus entfernt liegenden Bereichen notwendig.«
Vorsorglich soll nach jeder Verpressung von Säuren Süßwasser nachgespült werden, damit die Rohrleitungen nicht allzusehr angegriffen werden. Doch wenn Sonden oder Rohre durch Säuren einmal porös geworden sind, ist es, befürchtet Greenpeace-Experte Jörg Naumann, »längst zu spät«.
In den USA ist die Tiefenverpressung schon seit Jahren heftig umstritten. Bei 39 unterirdischen Deponien wurde bereits 1990 eine Verseuchung der Umgebung festgestellt, in 11 Fällen waren die Grundwasserleiter vergiftet. Die Ursachen lagen vor allem in undichten Sonden, teilweise versagten die Überwachungssysteme, die nicht in der Lage waren, die Leckagen zu erkennen.
Rund 60 000 Kubikmeter Giftstoffe lagern bereits in der porösen Zechsteinschicht in Thüringen. Für rund 1,1 Millionen Kubikmeter reicht die Kapazität nach Berechnungen der Betreiber noch aus. In der Nähe der Landeshauptstadt Erfurt bei Neudietendorf wird ebenfalls eine unterirdische Sonderabfalldeponie betrieben. »Wenn da etwas passiert«, ahnt Naumann, »hat Erfurt kein Trinkwasser mehr.«
Rund 500 Mark kostet bereits heute die Entsorgung einer Tonne Giftmüll - ein lohnendes Geschäft im Volumen von mehreren Hundertmillionen Mark ist allein in Thüringen schon drin.
Von den zehn Sonderabfalldeponien des Landes (Eigenwerbung: »Das grüne Herz Deutschlands« ) entspricht gerade mal eine den gesetzlichen Vorschriften der Technischen Anleitung Abfall. Alle anderen Giftkippen müßten wie die Sonden in Kirchheilingen und Neudietendorf längst geschlossen sein. Doch Minister Sieckmann denkt gar nicht daran.
»Bis zur Schaffung neuer Entsorgungsanlagen und -möglichkeiten«, verkündet der Politiker, »müssen die noch zur Verfügung stehenden Giftkippen genutzt werden.«
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__69_ Sondermülldeponien:
_____ / Querschnitt durch die Erdschichten; Raum Kirchheilingen
_____ Sondermülldeponien: Thüringer Becken
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