DEVISENLAGE Bitten aus London
Die Mitglieder der britischen Delegation, die, von der Öffentlichkeit unbemerkt, an zwei Tagen der vergangenen Woche im Bonner Finanzministerium Verhandlungen führten, trugen ostentativ jenen kaltblütigen Optimismus zur Schau, den man den Angelsachsen in gefährlichen Situationen nachrühmt. Gelegentliche hastige Bemerkungen zweier Vertreter des Londoner Schatzamtes, Copleston und Mackay, eines Repräsentanten der Bank of England namens Tomkins und des Gesandten Jackling von der Britischen Botschaft in Bonn machten jedoch darauf aufmerksam, wie dringlich die Besucher aus London und der Gesandte Jackling ihre Mission selbst einzuschätzen schienen.
Die vier Engländer waren in das Bundesfinanzministerium gekommen, um von der Bundesrepublik eine erste Hilfe für
die schmerzlichen Devisenverluste zu empfangen, die jetzt - als finanzielles Ergebnis des britischen Abenteuers am Suez - in Englands Zahlungsbilanz offenbar geworden sind.
Schwerer als die militärischen Kosten wiegen die Verluste, die dem britischen Außenhandel dadurch erwachsen sind, daß der Suezkanal gesperrt ist, daß zwei Ölleitungen im Irak und in Syrien zerstört sind und daß man in den arabischen Ländern keine englischen Exportgüter mehr haben will. Allein die Deviseneinbußen im Monat November ließen Großbritanniens Gold- und Dollarreserven um 1,17 Milliarden Mark schrumpfen. Damit sank Britanniens Währungsreserve unter die gefürchtete Grenze von zwei Milliarden Dollar.
Unter den Aktionen, die das Londoner Schatzamt angesichts dieser alarmierenden Zahlen sofort in die Wege leitetet*, kam der Mission Coplestons und Mackays in der provisorischen Bundeshauptstadt besondere Bedeutung zu: England witterte in Bonn die Chance für eine schnelle Hilfe, die seine gefährdete Zahlungsbilanz noch in diesem Monat entlasten könnte. Diese Hilfe könnte wirksam werden, ehe das Schatzamt über den Mechanismus der Europäischen Zahlungsunion (EZU) erneut gezwungen wäre, von seinem monatlichen Defizit bei dieser Organisation statutengemäß 75 Prozent in
Gold oder Dollar abzudecken. Denn Gold und Dollar benötigt Großbritannien heute dringender denn je, um die Öllieferungen bezahlen zu können, die nicht mehr mit britischen Pfunden in Mittelost, sondern mit Gold oder Dollar in Nord- und Mittelamerika eingekauft werden.
Wenige Tage vor der Ankunft der Vertreter des Schatzamtes und der Bank of England war bereits der britische Versorgungsminister Reginald Maudling zu ebenso dringlichen Verhandlungen nach Bonn gekommen. Maudling hatte dem Bundesverteidigungsminister Strauß seine Aufwartung gemacht und vorsichtig versucht, die Chancen für deutsche Vorauszahlungen auf Rüstungslieferungen aus England zu sondieren.
Der britische Versorgungsminister hatte zwar mit Genugtuung zur Kenntnis nehmen können, daß selbst westdeutsche Bankiers vorgeschlagen haben, man solle den geplagten Briten eine kräftige Vorauszahlung von einer Milliarde Dollar leisten, um ihre Rüstungslieferungen nach Westdeutschland zu aktivieren. Verbindliche Zusagen über feste Beträge wurden dem Briten aber nicht gemacht.
Mister Copleston vom britischen Schatzamt kam mit einem anderen Anliegen. Er konnte bei seinen Besprechungen in Bonn an Empfehlungen anknüpfen, die schon im Sommer dieses Jahres vom Europäischen Wirtschaftsrat (OEEC) ausgearbeitet worden waren, um die chronischen westdeutschen Devisenüberschüsse zu beseitigen. Bereits seit langem nämlich wird der Handelsverkehr Europas im Rahmen der Europäischen Zahlungsunion dadurch gekennzeichnet, daß die Wertdifferenz zwischen deutschen Exporten und englischen sowie französischen Gegenlieferungen zugunsten Westdeutschlands immer größer wird, so daß die Bundesrepublik zum großen Gläubiger geworden ist, England und Frankreich sich dagegen zu ewigen Schuldnern in der EZU entwickelt haben.
Da nach den Statuten der europäischen Clearingstelle die deutschen Aktivsalden von England und Frankreich zu 75 Prozent in Gold oder Dollar abzudecken sind, türmten sich bei der Bank deutscher Länder in Frankfurt die Gold- und Devisenreserven immer höher, während London und Paris ständig einen Abfluß ihrer Zahlungsmittel zubeklagen hatten. Dieses unglückliche Verhältnis drohte den gesamten Mechanismus der Europäischen Zahlungsunion zu sprengen.
Die Ursache des Mißverhältnisses war hauptsächlich das relativ niedrige Preisniveau der Bundesrepublik. Dank seiner straffen Geldpolitik hat sich Westdeutschland in der Welle allgemeiner Preissteigerungen von allen europäischen Ländern am besten gehalten. Während der vergangenen fünf Jahre stieg in Westdeutschland zum Beispiel der Großhandelspreisindex nur um zwei Prozent, verglichen mit einer Steigerung um fünf Prozent in Frankreich und um sieben Prozent in England. Die ausländische Nachfrage nach deutschen Waren, die dementsprechend billiger waren, erreichte ungeheure Ausmaße.
Hatte schon diese Entwicklung die Frankfurter Devisenreserve im Sommer auf 16 Milliarden Mark anschwellen lassen, so wurde das Tempo durch die Suezkrise unheimlich beschleunigt. Aus Angst vor einer Abwertung der britischen Währung - die man vielfach für unvermeidlich hielt, wenn Englands Devisenreserven einmal unter die Grenze von zwei Milliarden Dollar absinken würden - begannen Kaufleute in aller Welt, ihre Pfunde nach Westdeutschland zu transferieren und sie in die stabilere Deutsche Mark umzuwandeln. Zum ersten Male strömt das internationale Fluchtkapital nicht nur in die Schweiz, sondern auch in die Bundesrepublik.
Immer häufiger erhalten deutsche Exporteure in diesen Wochen Briefe, in denen ihre Kunden sie bitten, ihnen bei der Pfundumwandlung zu helfen. Zu diesem Zweck werden Rechnungen über Summen ausgestellt, die den Wert der gelieferten Waren übersteigen (Überfakturierung); die Differenz zahlt der deutsche Geschäftsfreund dann zugunsten seines Partners auf ein Bankkonto ein.
Darüber hinaus gibt es völlig legale Möglichkeiten einer Kapitalflucht in die Bundesrepublik. Dazu gehören insbesondere Vorauszahlungen auf künftige deutsche Warenlieferungen. Durch solche Vorauszahlungen wollen sich die ausländischen Käufer davor schützen, im Falle einer britischen Abwertung mehr Pfunde als jetzt für die gleiche Ware aufwenden zu müssen.
Nach der britischen Aggression am Suez und nach der gleichzeitigen Beschlagnahme der Bankguthaben ägyptischer Firmen in London erklärte sich beispielsweise die indische Regierung spontan zu größeren Anzahlungen auf deutsche Lieferungen bereit. Sie will allein für das von den Firmen Krupp und Demag projektierte Hüttenwerk in Rourkela Pfundbeträge im Werte von 560 Millionen Mark in Deutsche Mark umwandeln und anzahlen.
Der neueste, in der vergangenen Woche veröffentlichte Bericht der Bank deutscher
Länder weist die westdeutschen Devisenreserven denn auch mit einer Rekordsumme von 17,5 Milliarden Mark aus.
Bereits am 15. November hatte deshalb eine ministerielle Arbeitsgruppe des Europäischen Wirtschaftsrates (OEEC), der auch Minister Erhard angehörte, eine eilige Aktion »zur Entspannung dieser prekären Situation« beschlossen. Als Sofortmaßnahmen schlugen die ausländischen Minister der Bundesregierung vor:
- Westdeutschland solle vorzeitig die Beträge zurückzahlen, die es England und Frankreich aus ihrer wirtschaftlichen Nachkriegshilfe schuldet, und
- die Bundesrepublik solle beschleunigt Gelder für die Einfuhr von Rüstungsgütern aus seinen Hauptschuldnerländern bereitstellen.
Auf diese Empfehlungen der OEEC nahmen die Emissäre Copleston und Mackay am 3. und 4. Dezember bei ihrem Besuch im Bonner Finanzministerium Bezug. Im Londoner Schuldenabkommen vom Jahre 1953 hatte sich die Bundesrepublik verpflichtet, insgesamt 150 Millionen Pfund (1,76 Milliarden Mark) als Abgeltung der britischen Wirtschaftshilfe während der Nachkriegszeit in zwanzig Jahresraten zurückzuzahlen*. Am 1. August eines jeden Jahres waren seitdem 7,5 Millionen Pfund Sterling zur Rückzahlung an das Londoner Schatzamt fällig gewesen und von Deutschland pünktlich bezahlt worden.
Die Vertreter des Schatzamtes und der britischen Notenbank schlugen nun vor, Westdeutschland möge sofort vier oder möglichst sogar fünf solcher Pfund-Raten im Gesamtwert von 350 bis 450 Millionen Mark als Vorauszahlung anweisen. Damit wäre dem Schatzamt vor allem durch ein Nachlassen des drückenden Pfund-Angebots geholfen und die kostspielige Kursstützung des Pfundes erleichtert.
Falls jedoch die britischen Unterhändler gehofft hatten, sie könnten die erwünschte deutsche Zusage, man werde die volle Summe auszahlen, binnen einigen Tagen zu erlangen, so hatten sie sich über die Zähigkeit des Bundesfinanzministers Fritz Schäffer getäuscht.
Weisungsgemäß ließ Ministerialdirektor von Spindler die Briten wissen, man sei zwar grundsätzlich einverstanden, aber es sei bei einer solchen Vorauszahlung ja wohl kaufmännisch üblich, einen Zinsabschlag zu subtrahieren. Tatsächlich gilt im Geschäftsverkehr eine Abzinsung von etwa sechs Prozent pro Jahr für derartige Vorauszahlungen als angemessen. Die Londoner Experten dagegen hielten nichts davon, ihrem Schatzkanzler nur eine beträchtlich gekürzte Summe heimzubringen. Sie lehnten die deutsche Zinstheorie ab und verlegten sich aufs Handeln.
Als Mister Copleston und seine Begleiter schließlich baten, man möge doch Finanzminister Schäffers Zustimmung zu einer großzügigeren Regelung einholen, kam unter den Vertretern des Bundesfinanzministeriums und des Auswärtigen Amtes eine leichte Verlegenheit auf. Fritz Sehäffer nämlich war just um diese Zeit - ob aus Erholungs- oder taktischen Gründen, blieb dahingestellt - zu einer kurzen wintersportlichen Verschnaufpause in seine bayrische Heimat abgereist.
*Großbritannien hat in Washington um Streichung der am 31. Dezember fälligen Zinszahlung für amerikanische Dollaranleihen nachgesucht und beim internationalen Währungsfonds Antrag auf Ausnutzung seiner Ziehungsrechte (Kreditmöglichkeiten) gestellt. Außerdem wurden die Steuern für Benzin und Dieselöl erhöht, sowie Kürzungen des Budgets und eine Heraufsetzung der Einkommensteuer angekündigt.
* Der Rückzahlungsbetrag an Frankreich macht insgesamt nur knapp 50 Millionen Mark aus. Auf Wunsch der französischen Regierung wird die Bundesrepublik diese Summe ebenfalls in den nächsten Wochen vorzeitig auszahlen, um Frankreich zu helfen, seine gleichfalls schwer angeschlagenen Finanzen aufzubessern. Eine vorzeitige Rückzahlung der wesentlich höheren US-Nachkriegshilfe ist nicht vorgesehen.
Manchester Guardian
Ja - könnt ihr denn auch bezahlen?«
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