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UMWELT Blanker Wahnsinn

Der Bau des niedersächsischen Kraftwerks Buschhaus gerät zum Milliarden-Skandal. *
aus DER SPIEGEL 17/1984

Erstmals in der Geschichte Niedersachsens gingen bei der hannoverschen Landesregierung in ein und derselben Angelegenheit Proteste aus Ost- wie aus West-Berlin ein.

Die DDR äußerte Unmut über den Bau des grenznah gelegenen ostniedersächsischen Kohlekraftwerks Buschhaus, das 1984 ohne Entschwefelungsanlage in Betrieb gehen soll: Die neue Anlage Buschhaus in Schöningen bei Helmstedt sowie ein seit längerem betriebenes Kraftwerk im benachbarten Offleben würden die DDR-Luft mit einer Schwefelmenge belasten, »die wesentlich höher ist als die Gesamtemission des Bezirks Magdeburg«.

In West-Berlin protestierten derweil CDU, SPD, FDP und Alternative ebenfalls gegen das Buschhaus-Kraftwerk. Die Auswürfe der Anlage, rechnete Umweltsenator Horst Vetter (FDP) per Brief dem christdemokratischen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht vor, entsprächen dem Anderthalbfachen dessen, was sämtliche Berliner Kraftwerke, die Wohnungsfeuerung und die Autos zusammen pro Jahr an Schwefeldioxid abgeben.

Nicht nur im Lee des geplanten Kraftwerks, in der DDR und in Berlin, sondern auch in Westdeutschland gilt Buschhaus mittlerweile als Symbol verfehlter Umweltpolitik: Nach Ansicht von Umweltschützern, die am kommenden Sonnabend zu Zehntausenden in Helmstedt gegen das Projekt demonstrieren wollen, ist der Bau der Anlage »angesichts der katastrophalen Situation unserer Wälder blanker Wahnsinn«, so der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

In der ohnehin mit Industrie gespickten südöstlichen Schmuddelecke Niedersachsens soll ein Kraftwerk der negativen Superlative ans Netz gehen. Verfeuern wollen die Braunschweigischen Kohlen-Bergwerke (BKB) dort die minderwertige, extrem giftige heimische »Salzkohle«, die zehnmal mehr Schwefel enthält als etwa rheinische Braunkohle. Gleichwohl sollte der Schwefel nicht aus den Abgasen herausgefiltert, sondern durch einen Super-Schornstein, der mit 300 Metern fast doppelt so hoch ist wie der Kölner Dom, »großräumig verteilt« werden, so daß das gelbe Gift »in weiten Teilen Europas als saurer Regen oder saurer Staub niedergeht« (BUND).

Daß die von Umweltschützern so genannte »größte Dreckschleuder der Nation« bei einer Verfeuerung von jährlich zwei Millionen Tonnen Salzkohle 125 000 Tonnen Schwefeldioxid - das 41 fache der bei Neuanlagen zulässigen Konzentration - emittieren wird, daß Buschhaus nur 0,4 Prozent zur westdeutschen Stromproduktion beiträgt, aber sechs Prozent zur Schmutzerzeugung des Landes - dies alles erscheint Kritikern schlicht als ein »Skandal« ("Süddeutsche Zeitung") sowohl umwelt- als auch wirtschafts-, landes- und deutschlandpolitischer Art.

Umweltpolitisch: Wie kaum ein anderes Projekt verdeutlicht die niedersächsische Schwefelschleuder die gemeingefährlich großen Lücken des derzeitigen Bonner Umweltrechts. Weil das 1978 genehmigte Kraftwerk rechtstechnisch eine »Altanlage« ist, kann der nachträgliche Einbau von Entschwefelungssystemen laut Bundes-Immissionsschutzgesetz nur angeordnet werden, wenn er wirtschaftlich vertretbar ist - was von den BKB-Managern beharrlich bestritten wird.

Wirtschaftspolitisch: Das neue Kraftwerk wird gar nicht benötigt, denn an Strom mangelt es schon jetzt den Niedersachsen nicht. Geplant wurde Buschhaus (voraussichtliche Bau- und Erschließungskosten: 1,1 Milliarden Mark) vielmehr, um bis zum Jahre 2005, wenn die Salzkohle-Lagerstätten erschöpft sind, im strukturschwachen Grenzland rund 1000 Arbeitsplätze zu erhalten - eine, bei 1,1 Millionen Mark pro Arbeitsplatz, abenteuerliche Investition.

»Wenn die statt dessen die 1000 Arbeitsplätze im Bereich des Umweltschutzes oder der Waldaufforstung finanziert hätten«, kommentiert der Berliner SPD-Umweltexperte Reinhard Ueberhorst, »wäre es für alle Beteiligten billiger und gesünder geworden.«

Landespolitisch: Skandalös mutet an, wie die Genehmigung des Kraftwerks zustande gekommen ist. 1978, als in Japan schon kein Kraftwerk ohne Entschwefelungsanlage mehr ans Netz ging, billigte Niedersachsens Sozialminister Hermann Schnipkoweit (CDU) das Projekt, ohne der BKB Umweltschutz-Vorkehrungen zur Auflage zu machen - obgleich das Bonner Innenministerium schon damals die Ansicht vertrat, daß im Fall Buschhaus »der Einbau einer Entschwefelungseinrichtung gefordert werden kann«. Der für die Genehmigung des BKB-Kraftwerks zuständige Minister Schnipkoweit gehörte zugleich dem BKB-Aufsichtsrat an.

Deutschlandpolitisch: Der hannoversche Genehmigungsskandal erschwert die Bemühungen der Regierenden in Bonn, die DDR zu einer Entschwefelung ihrer Braunkohle-Kraftwerke zu bewegen. Der DDR-Dreck trägt erheblich dazu bei, daß etwa in West-Berlin bei Smog-Wetterlagen die Todesrate ansteigt.

»Eine optimale Abgasreinigung des Kraftwerks Buschhaus«, hofft Heinrich Windelen, Bonns Minister für Innerdeutsches, »könnte auch die Bereitschaft der DDR begünstigen«, ihre eigenen Kraftwerke »vergleichbar auszustatten«, zum Beispiel eine Dreckschleuder in Harbke, jenseits von Helmstedt.

Der Druck zunehmender Proteste von Umweltschützern, aber auch von CDU-Frauen und Junger Union hat Niedersachsens Landeschef Albrecht in die Klemme gebracht. Einerseits muß er nun den Forderungen der Naturschützer ein wenig entgegenkommen, andererseits will er an Buschhaus festhalten - koste es, was es wolle.

Vorläufiges Resultat dieser Strategie: Nachdem die BKB jahrelang auf ihren - durch die Schnipkoweit-Genehmigung begründeten - Rechtsanspruch gepocht haben, das Kraftwerk ohne Entschwefelung betreiben zu dürfen, versucht Albrecht nun, das (überwiegend staatseigene)

Unternehmen durch Staatszuschüsse zu einer nachträglichen Umrüstung auf freiwilliger Basis zu bewegen.

Noch pokern Bund und Land um die Höhe ihrer Beteiligung an den gigantischen Kosten: 210 Millionen Mark für die Entschwefelungsanlage plus 50 Millionen Mark pro Jahr für deren laufenden Betrieb - macht, bis zum Jahre 2005, rund 1,2 Milliarden Mark Umweltschutz-Kosten für ein überflüssiges Kraftwerk.

Dabei würde, wenn Albrecht seinen Kurs durchsetzt, auf Jahre hinaus im Raum Helmstedt kein Kilogramm Schwefel weniger als bisher aus den Kraftwerksschloten emporsteigen. Denn der Ministerpräsident will Buschhaus in Betrieb gehen lassen, bevor die Filter eingebaut sind; er hat lediglich zugesagt, während der Installation der Entschwefelungsanlage - voraussichtliche Bauzeit: fünf Jahre - zwei benachbarte Kraftwerke so sparsam betreiben zu lassen, daß die Schwefelbelastung der Region insgesamt nicht noch zunimmt.

Bislang unbeantwortet ist die Frage, was eigentlich angesichts des Überangebots auf dem bundesdeutschen Energiemarkt mit dem Strom aus Buschhaus geschehen soll. Den bislang verblüffendsten Vorschlag präsentierte unlängst die »Hannoversche Allgemeine Zeitung«.

Das Blatt empfahl, »diesen Strom der unter ständigem Energiemangel leidenden DDR zu verkaufen« - so daß Ost-Berlin »im Gegenzug das umweltverpestende Kraftwerk Harbke jenseits von Helmstedt stillegen könnte«.

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