Zur Ausgabe
Artikel 52 / 85

TUNESIEN / BURGIBA Blaue Augen

aus DER SPIEGEL 46/1969

In den Moscheen von Tunis beteten die Bürger für ihren Präsidenten. An seinem Krankenbett wachten französische Ärzte. Der amerikanische Präsident schickte einen Herzspezialisten.

Das war vor zwei Jahren, Tunesiens Staatschef Habib ("Der Liebling") Durgiba lag mit einer Herzattacke in seinem Palast in Karthago,

Heute sorgen sich viereinhalb Millionen Tunesier wieder um ihren »Combattant supreme«, wie sie ihren Staatschef nennen. Der »oberste Kämpfer«, den sie am vorletzten Sonntag mit 99,76 Prozent der Stimmen zum drittenmal zum Präsidenten wählten, leidet an einer schweren Gelbsucht.

Tunesiens Presse, sonst wohlgeübt in der Hofberichterstattung, meldet fast nichts mehr aus dem Präsidentenpalast. Ausländische Diplomaten warten seit Wochen auf eine Audienz bei dem Mann, der »feurige arabische Rhetorik mit dem Feilsch-Geschick eines levantinischen Händlers verbindet« ("The Economist").

Diese Fähigkeiten setzte der an der Pariser Sorbonne zum Advokaten ausgebildete Burgiba in seinem jahrzehntelangen Kampf für Tunesiens Unabhängigkeit ein. Und er büßte sie auch während jahrelanger Haft in den Gefängnissen der französischen Kolonialherren nicht ein.

Als deutsche Truppen Burgiba 1942 aus der Festung Vancia bei Lyon befreiten, paktierte der Tunesier nicht etwa mit den um ihn buhlenden Deutschen und Italienern. Der von ihm gegründeten Neo-Destour-Partei befahl er vielmehr, mit den Alliierten zusammen zu arbeiten, »damit wir uns nicht im Lager der Verlierer wiederfinden«.

Spürsinn für zukünftige Sieger bewies Burgiba auch im Algerien- und im Nahost-Konflikt: Er unterstützte Ben Bellas algerische Freiheitskämpfer, hielt aber einen arabischen Waffengang mit Israel für töricht.

Über die Drohung radikaler Araber, die Juden ins Meer zu werfen, höhnte er 1965 im damals noch jordanischen Teil Jerusalems: »Leeres Gerede.« Burgiba: »Die arabischen Länder sollten die 70 Prozent ihres Staatshaushalts, die sie für Rüstung ausgeben, besser dafür nutzen, den Lebensstandard ihrer Völker zu erhöhen.« Zeitungen in Kairo und Bagdad forderten offen Burgibas Ermordung.

Seinen eigenen, seit 1956 unabhängigen Einparteien-Staat regiert der »monarchische Präsident« (so »Le Monde") nach einer auf ihn zugeschneiderten Verfassung.

Frauentyp Burgiba (Wilhelmine Lübke: »Ich liebe Ihre blauen Augen") schaffte die Vielweiberei ab und gab den Frauen das Recht auf Scheidung -- Miniröcke aber gesteht er ihnen nicht zu.

Nachdem er zunächst die Geburtenkontrolle gepriesen und Ledigen Steuervergünstigungen versprochen hatte, empörte sich der Landesvater am »Tag der Frau« 1966 über Tunesiens Junggesellen:

»Wer über 25 ist, soll heiraten und Kinder zeugen. Tunesiens demographische Situation ist beunruhigend.«

Burgiba selbst hat nur einen Sohn: Habib ("Bibi") Burgiba junior, 45, Außenminister, aber vermutlich nicht Nachfolger seines Vaters. Burgiba senior: »Ich will in Tunesien keine Dynastie gründen.«

Wohl aber möchte er aus dem armen Agrarland einen modernen Staat zimmern.

So speiste er, um seinen mohammedanischen Mitbürgern zu demonstrieren, daß wochenlanges Fasten mit der heutigen Arbeitswelt unvereinbar ist« zur Ramadan-Zeit mittags in öffentlichen Lokalen.

Andererseits ließ der westlich orientierte Burgiba Tunesiens Landwirtschaft kollektivieren, weil er sich davon bessere Erträge erhoffte. Als aber das Gegenteil eintrat und die Bauern sogar Minister aus der Hauptstadt mit Steinen bewarfen, änderte der sanfte Diktator den Kurs: Anfang September feuerte er den Kolchosen-Befürworter Ahmed ben Salah aus dem Ministerium für Planung und nationale Wirtschaft.

Doch seither sahen die Tunesier kaum noch etwas von ihrem schwerkranken Präsidenten. Die meiste Arbeit nahm ihm sein Staatssekretär Bahi Ladgham ab, und er wird vermutlich auch Tunesiens erster Ministerpräsident werden.

Zwar erschien Habib Burgiba, die »Inkarnation des neuen Tunesiens« (so die tunesische Nachrichtenagentur TAP), vor einigen Wochen auf einer Feier. Zwar zeigte er sich am Wahltag kurz in seinem Wahllokal. Aber seine Auftritte bestätigten nur die Gerüchte vom sehr schlechten Gesundheitszustand des 66jährigen: Burgibas Frau Wassila mußte ihren Mann stützen.

Tunesiens Wähler entschieden sich dennoch mit einer Rekordwahlbeteiligung für den kranken Mann. Die Entscheidung an den Urnen war ihnen freilich leichtgemacht.

Wie bei den beiden vorangegangenen Präsidentenwahlen gab es nur einen Kandidaten -- Habib Burgiba.

Zur Ausgabe
Artikel 52 / 85
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren