RAUMSTATION Blick aus der Röhre
Der Himmel«, verkündete Amerikas Präsident Lyndon B. Johnson, »gehört allen Völkern.« - »Die Pentagon -Bosse«, echote es aus Moskau, planen »die strategische Beherrschung des Weltraums«.
Beides, das Wort des Präsidenten und der grimme Kommentar des sowjetischen Militärjournals »Roter Stern«, galt einem Vorhaben, das den USLuftwaffengenerälen im gleichen Maße Auftrieb gab, wie es die Sowjets schreckte: Die USA planen bemannte Raumfahrzeuge für militärische Zwecke.
Startende Interkontinentalraketen, Autokolonnen auf Fernstraßen, das Kielwasser von Schiffen und startende Flugzeuge - all diese Details hatten die US-Astronauten Gordon Cooper und Charles Conrad vergangene Woche durch die Sichtfenster ihres Raumschiffes »Gemini-5« ausmachen können.
Die amerikanischen Luftwaffenplaner, die schon seit Jahren für ein System bemannter Späh-Satelliten plädiert hatten, sahen sich erneut in ihren Erwartungen bestätigt. Am letzten Mittwoch gab Präsident Johnson das »Go«-Signal: Schon 1968 sollen die ersten fünf Beobachtungs-Stationen vom Typ »Mol«, bemannt mit je zwei Air-Force-Astronauten, für jeweils zwei bis vier Wochen die Erde umkreisen*.
Amerikas derzeit mächtigste Rakete, die »Titan III-C«, soll die rund zwölf Tonnen schweren Späh-Stationen, die aus einem zehn Meter langen Metall-Zylinder und einer Gemini-Raumkapsel zusammengefügt sind, ins All befördern. Wenn die Station in ihre Kreisbahn einschwenkt, können die Astronauten aus der Gemini-Kapsel durch eine Luke nach hinten in den Mol-Zylinder kriechen, der in einen Arbeitsraum und eine Schlaf- und Wohnsektion unterteilt ist (siehe Graphik). In Hemdsärmel-Atmosphäre, ohne hemmende Druckanzüge und Helme, sollen dort die Astronauten mit Kameras, Ferngläsern und Radargeräten Truppen-, Raketen- und sogar U-Boot-Bewegungen im roten Machtbereich auskundschaften.
Es war das erste Mal, daß ein militärisches Raumfahrtprojekt so öffentlich angekündigt wurde - wenn auch in Wahrheit die Strategen in West und Ost sich längst des neuen Mediums bemächtigt haben. Seit 1957, als das Fiepsen des sowjetischen Raum-Erstlings »Sputnik I« die Welt alarmierte, ist die Diskussion um die strategische Bedeutung der Raumfahrt nicht verstummt. Stets blieb die Schreckensvision gegenwärtig, eine Armada von Wasserstoffbomben tragenden Satelliten könnte unablässig um die Erde kreisen, jederzeit bereit, auf einen Funkbefehl hin innerhalb weniger Minuten in die vorherbestimmten Ziele niederzustürzen.
Doch beim derzeitigen Stand der Raumfahrttechnik ist es offenbar noch nicht möglich, ein solches atomares Damokles-Schwert zielsicher zu führen: Nahezu alle bisherigen Raumflüge haben erwiesen, daß beim Wiedereintritt eines Raum-Flugkörpers in die Atmosphäre beträchtliche Abweichungen vom vorgesehenen Zielpunkt nicht zu vermeiden sind. Interkontinentalraketen sind vorerst noch die weit zielsicherere und minder aufwendige Waffe.
So beschränkte sich die militärische Nutzung der Raumfahrt bislang fast ausschließlich auf die Erkundung des gegnerischen Machtbereichs durch erdumkreisende Robot-Späher. Regelmäßig, durchschnittlich alle 14 Tage, starten in West und Ost geheime Beobachtungssatelliten, deren Spezialkameras noch Gegenstände bis hinab zu 60 Zentimeter Durchmesser erkennbar registrieren.
Stillschweigend haben Sowjets wie Amerikaner diesen - Dauer-Fernblick in ihre militärischen Hinterhöfe geduldet. So scheint denn auch die jüngste Schimpfkanonade der russischen Militärs in Wahrheit weniger gegen die Kundschafter-Augen gezielt, die USAstronauten von 1968 an aus ihren kreisenden Mol-Röhren auf das rote Reich richten könnten. Weit mehr fürchten die Russen offensichtlich, daß schon die Mol-Astronauten jene neue Art Weltraum-Spionage oder -Sabotage treiben könnten, für die Gemini-4-Kopilot Edward White im Juni dieses Jahres eine Grundübung vorturnte.
Mit einem Rendezvous-Manöver, so vermögen die Russen sich bereits auszumalen, könnte ein Mol-Fahrzeug sich einem sowjetischen Satelliten nähern. Dann könnte ein Astronaut durch die Luken der Gemini-Kapsel in den Weltraum hinausschweben und sich mit Hilfe einer Rückstoß-Pistole, wie White sie erprobte, an den roten Raumkörper herantasten. Wenige Handgriffe würden genügen, das Kamera-Auge eines Satelliten - oder auch eine atomare Ladung - unschädlich zu machen.
* »Mol": Abkürzung für »Manned Orriting Laboratory« = Bemanntes erdumkreisendes Labor.