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BONN / NAHOST-KRISE Blitz und Blut

aus DER SPIEGEL 25/1967

Mit einem Blitzkrieg, der schneller gewonnen wurde als je ein deutscher Sieg. eroberten die Israelis in der vergangenen Woche die Halbinsel Sinai und die ganze Bundesrepublik. Mit einer Musterdemonstration stählernen Soldatentums für die Deutschen seit je die imponierendste aller Eigenschaften -- schossen sie sich in die Herzen jenes Volkes. in dessen Namen einst alle Juden ausgerottet werden sollten.

Ausgerechnet Juden, die deutsche Nazis für feig. faul und verkommen hielten, gewannen im Gegensatz zu deutschen Herrenmenschen schon zum drittenmal den Krieg gegen eine erdrückende Übermacht. Ausgerechnet Juden riefen deutschen Veteranen ihren Rommel in Erinnerung und erwiesen sich als wahre Wüstenfüchse.

Auf dem Frankfurter Flughafen kampierten tagelang 120 junge Israelis, die zum Kampf nach Hause wollten, aber nicht konnten. Aber als Tel Aviv wieder angeflogen wurde, war der Sieg bereits errungen.

Auch ein paar hundert junge Bundesbürger wären gern dabeigewesen. Bei der israelischen Botschaft in Bad Godesberg meldeten sich in der vergangenen Woche fast 1000 Bundesbürger zum Kriegseinsatz in Israel. Die meisten wie der Schriftsteller Günter Graß -- wollten für die eingerückten Israelis arbeiten gehen. Andere -- wie der Bundeswehrreservist Ingo Hagner, 26. aus Fürstenfeldbruck -- wollten an der Front für Israel kämpfen. Sogar ein Mädchen wollte mit. Karin Engbroeks, 26, Münchner Sekretärin: »Ich kann schießen.«

Tag für Tag steckten bundesrepublikanische Familienvater mit bunten Nadeln den Geländegewinn der Israelis ab. Am ersten Kriegstag schon waren beim Hamburger Fachhandel die gängigen Israel-Karten vergriffen. am zweiten Tag gab es »nur noch traurige Restbestände ungewöhnlicher Maßstäbe« (so Fachhändler Dr. Walter Götze). Und am dritten Tag meldeten auch Grossisten aus Stuttgart und München: »Restlos ausverkauft.«

Überlegene Kampfmoral«, »strategische Idee« und »technisches Verständnis« attestierte der Ex-Generalstäbler und »FAZ«-Stratege Adelbert Weinstein den Männern unterm Davidstern, Sogar die »Bild-Zeitung« nahm zu Fremdwörtern Zuflucht, um ihre Bewunderung auszudrücken: »Militärische Genialität«.

»Ganz großartig«, land der ehemalige SS-Brigadeführer und heutige Sprecher der »Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit« (Hiag) ehemaliger Waffen-SS-Leute, Karl Cerff, 60. »Die haben ja auch unsere Dienstvorschriften und das Skorzeny-Buch ("Lebe gefährlich") in ihren Bibliotheken. Und das mit dem Kibbuz ist ja auch so ähnlich wie mit unserem Arbeitsdienst.«

Aber nicht erst der Sieg Israels und nicht der allein -- brachte die Deutschen auf die Seite der Juden. Wie der militärische Erfolg die Phantasie alter Kämpfer beflügelte, so drängte es die Demokraten aus schuldbewußter Erinnerung zu moralischem Engagement.

Während die Bundesregierung diplomatisch bedingte Neutralität bekundete und wahrte« machten Minister und Abgeordnete keinen Hehl aus ihren Sympathien für die Israelis. Sogar im Kabinett benutzten nur zwei Minister die Vokabel »Neutralität": Verteidigungsminister Gerhard Schröder (CDU), der als AA-Chef stets eine pro-arabische Politik gemacht hatte, und Entwicklungshilfe-Minister Hans-Jürgen Wischnewski (SPD), der als Araberfreund schon seit langem den Spitznamen »Ben Wisch« trägt.

Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn wie der Parlamentarische Staatssekretär Ernst Benda, die Bürgermeister von Berlin, Frankfurt und München wie der Hamburger Philosoph Carl Friedrich von Weizsäcker, die Gruppe 47 wie der Deutsche Städtetag, Jugendgruppen und Frauenorganisationen -- ihnen allen war bewußt, was der SPD-Abgeordnete Adolf Arndt in einem Appell »Helft Israel« so formulierte: »Wir können nicht schweigen, wenn das israelische Volk mit Völkermord bedroht wird.«

Arisches Blut floß für die Juden: Allein in Hamburgs folgten innerhalb von 36 Stunden 1300 Bundesbürger dem Aufruf hanseatischer Prominenz und ließen sich »im Namen der Menschlichkeit« anzapfen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) kaufte für drei Millionen Mark festverzinsliche Israel-Bonds (Staatsanleihe).

Der Berliner Senat spendete 100 000 Mark zum Ankauf von Medikamenten. Genau 71 Mark überwies der Bundesbürger Wolfgang Marschall aus Stuttgart »zur Bezahlung einer Gasmaske für eine Zivilperson«; Bonn hatte 20 000 Masken zu diesem Stückpreis nach Israel geschickt.

1500 Mark erreichten die israelische Botschaft in Bad Godesberg von einem ehemaligen Mitglied der Reiter-SS. der dokumentieren wollte, »daß nicht alle SS-Mitglieder Verbrecher waren«.

Dennoch vermieden die deutschen Arier diesmal die Verdächtigung, sich mit Milliardensummen von historischer Schuld loskaufen zu wollen. Denn auf den drei im Fernsehen bekanntgegebenen Sonderkonten der Aktion »Hilfe für Israel« gingen bis zum Wochenende nur gut 500 000 Mark ein -- nicht einmal zwei Drittel dessen, was ein einziger Wüstenpanzer vom Typ »Centurion« kostet.

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