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ABRÜSTUNG Bloße Worte

Geheime Telegramme aus den USA belegen, wie sehr Konservative in Bonn und Washington eine atomwaffenfreie Welt fürchten. *
aus DER SPIEGEL 47/1986

Die Bonner Konservativen führen oft genug das Wort im Munde, sie wollten »Frieden mit immer weniger Waffen«. Es bleibt bei den Worten, wie vertrauliche Telegramme der deutschen Botschaft in Washington an den Bonner Führungsstab der Streitkräfte über Gespräche des CDU-Abgeordneten Jürgen Todenhöfer mit US-Verteidigungsminister Caspar Weinberger und hohen Pentagon-Beamten belegen. Konservative Westdeutsche und rechte Amerikaner halten gar nichts von Abrüstungsabsprachen mit den Sowjets.

Vor allem die Vision einer atomwaffenfreien Welt, wie sie der amerikanische Präsident Ronald Reagan und der sowjetische Parteichef Michail Gorbatschow bei ihrem Gipfeltreffen in Reykjavik diskutiert haben, versetzt Kanzler Helmut Kohl und die Unionschristen vom »Stahlhelm«-Flügel der CDU/ CSU-Bundestagsfraktion offenbar in Furcht und Schrecken.

Doch Todenhöfer, der vorletzte Woche in Washington vorsprach, konnte Entwarnung geben. Weinberger beruhigte den CDU-Mann, es werde »bei bloßen Worten bleiben«. Sein Vize Richard Perle setzte noch eins drauf: Reagans »Vision einer nuklearwaffenfreien Welt« sei »für den Westen nicht akzeptabel« und schlicht »falsch«. Der Westen, so Falke Perle in den vertraulichen Aufzeichnungen, werde »nie auf Atomwaffen verzichten können«.

Bei so viel Offenheit auf amerikanischer Seite fühlte sich auch der sogenannte abrüstungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion befugt, seine Meinung offen darzulegen. Er sei äußerst besorgt, so Stahlhelmer Todenhöfer, über einen möglichen Abbau der Atomwaffen in Ost und West und meine, _____« daß die deutsche Öffentlichkeit, gerade auch die » _____« Freunde der USA, über die Perspektive einer Abschaffung » _____« aller balli stischen Raketen innerhalb von zehn Jah ren » _____« erschrocken sei. Vielfach werde dies als Signal einer » _____« amerikanischen Ab standnahme von Europa gesehen. Man » _____« frage sich, wie die Abschreckung vor einem » _____« konventionellen Angriff gewährlei stet werden solle, wenn » _____« der Westen nicht mehr auf ballistische, sondern auf hin » _____« sichtlich Penetrationsfähigkeit und zerstö rende Wirkung » _____« unterlegene Systeme zu rückgreifen könne. »

Wie vor ihm CDU-Verteidigungsminister Manfred Wörner Ende Oktober verlangte Todenhöfer von seinen Gesprächspartnern, vor einer nuklearen Abrüstung erst kräftig die konventionellen Waffenarsenale in Europa aufzustocken. Bonns Gesandter Theodor Wallau notierte, Todenhöfer _____« sei der Auffassung, daß eine Reduzierung der » _____« strategischen Systeme beider Seiten über 50 Prozent » _____« hinaus und eine völlige Abschaffung aller ballistischen » _____« Raketen nicht ohne die Herstellung konventioneller » _____« Parität in Europa vorgenommen werden dürfe. »

Bei seinen Gesinnungsfreunden im Pentagon fand Bonns Rüstungsspezialist »weithin Verständnis«, heißt es in einem Telegramm. Vor allem der Verteidigungsminister persönlich habe betont, _____« daß der Zeitplan für weitere nukleare Re duzierungen » _____« mit Fortschritten bei der kon ventionellen » _____« Rüstungskontrolle koordiniert werden müsse. » _____« Allerdings war auch Skepsis zu verspüren, ob die » _____« Voraussetzungen für das Erreichen eines konventionellen » _____« Gleichgewichts in Europa in absehbarer Zeit wirklich gege » _____« ben seien. »

Perle räumte gar unumwunden ein, es werde »unmöglich« sein, »ein konventionelles Kräfteverhältnis herzustellen, das ausreichende Abschreckung gewährleisten würde«. Die Gastgeber waren jedoch eifrig bemüht, den quengelnden Besucher zu beruhigen. Eine »Einigung« mit den Sowjets über den Einstieg in die atomare Abrüstung sei »keineswegs in Sicht«, versicherten sie: _____« Durchgehend war der beruhigend ge meinte Hinweis, die » _____« Sowjets würden den amerikanischen Vorschlag einer Abschaf » _____« fung aller ballistischen Raketen innerhalb von zehn » _____« Jahren nicht akzeptieren. Wein berger meinte, es werde » _____« bei bloßen Wor ten bleiben. »

Zum Beweis zählte Perle »die lange Reihe von ballistischen Raketen der Sowjets auf, die vernichtet werden müßten, und verglich sie mit der geringen Zahl entsprechender amerikanischer Systeme«. Wenn die strategischen Raketen einmal vernichtet werden sollten, fügte Sven Kraemer aus dem Nationalen Sicherheitsrat hinzu, würden natürlich - keine Sorge - die »freiwerdenden Plätze« durch Marschflugkörper und Bomber ersetzt.

Da hatte Todenhöfer einen Einwand parat: Marschflugkörper seien doch »in ihrer Eindringfähigkeit und zerstörenden Wirkung ballistischen Raketen wesentlich unterlegen und daher ein weniger geeignetes Waffensystem für die Drohung mit einem westlichen nuklearen Einsatz im Verlaufe eines sowjetischen konventionellen Angriffskrieges«.

Im Kreis seiner konservativen Gesinnungsfreunde aus dem US-Verteidigungsministerium hielt Todenhöfer auch nicht mit seiner Meinung zurück, er sei gegen einen Abzug amerikanischer Mittelstreckenwaffen aus Europa. Der Null-Lösung könne er - im Gegensatz zur Bundesregierung- nur »grundsätzlich« zustimmen, er halte sie »für keine Ideallösung«. Doch mit dieser Ansicht, der alle seine »Stahlhelm«-Freunde in der Unionsfraktion mit Alfred Dregger an der Spitze und auch Wörner anhängen, lief Todenhöfer selbst im Pentagon auf. Im Telegramm heißt es lapidar: _____« Argumentation der amerikanischen Ge sprächspartner zu » _____« INF (Mittelstreckenwaf fen - Red.) ließ die abgestimmte, » _____« gesi cherte Position der Administration in die ser Frage » _____« erkennen. »

Vielleicht hat der Christdemokrat seine Kritik an den amerikanischen Plänen, die Mittelstreckenraketen im Gegenzug zur Vernichtung der sowjetischen SS-20-Raketen aus Europa wieder zu entfernen, aber auch nur aus Pflichterfüllung zu Protokoll gegeben. Auf dem Telegramm ist seine Order an die deutsche Botschaft vermerkt: »MdB Dr. Dregger bitte umgehend unterrichten.«

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