Hausbesetzer Blumen für die Dame
Sie kamen vor Sonnenuntergang, und sie trugen schwarze Helme, Gesichtsmasken oder gewürfelte Tücher wie Guerrilleros der El Fatah.
In einem leerstehenden Altbau am Rande der Hamburger City verbarrikadierten sie sich: Die Fenster wurden sturm- und wurfsicher genagelt, das Treppenhaus versperrt ein Spanischer Reiter, und auf dem Dach spähen Vermummte. mit Fernglas und Walkie Talkie, nach der Ordnungsmacht.
Sie haben für den Verteidigungsfall gerüstet. Hinter den Schanzen lagern Benzin und Bitumen, Knüppel und Katapulte. Verluste sind einkalkuliert: »Wir haben »ne ganze Menge Medizinstudenten hier« -- für das Notlazarett im zweiten Stock.
Derart umsichtig haben rund 60 Besetzer ihr Haus bestellt. Im Sanierungsviertel Hohenfelde, in Steinwurfnähe zur gläsernen Millionenpracht der neuen Hamburger Alster-Schwimmhalle, halten sie seit Gründonnerstag an der Ekhofstraße 39 die Stellung -- reisende Hausbesetzer aus Frankfurt, Bremen und Berlin. linke Splitter wie die »Proletarische Front Gruppe Wasserkante«, verstärkt durch einheimischen revolutionären Nachwuchs -- manche sind erst siebzehn. Und wie schon bei jüngsten Frankfurter Straßenschlachten und beim Bonner Rathaussturm sitzen -- so Polizeipräsident Günter Redding -- auch in Hamburg »zwei, drei Mann der Mao-treuen KPD wie die Spinnen im Netz«.
Wieder haben die roten Garden linkes Establishment im Visier. Der Coup gilt der gewerkschaftseigenen Wohnungsbau-Gesellschaft »Bewobau«, die in Hohenfelde mietgünstigen Altbau abreißen und kostspieliges Wohneigentum schaffen will.
»Bild« verbreitete das Treiben der »Polit-Rocker« kurzerhand unter gemeinsamer Rubrik mit einem Rocker-Mord. »Bild«-Leser Ullrich Streu grauste es vor »vermummten Terroristen, die eines Tages auch dem fleißigen Facharbeiter sein Reihenhaus wegnehmen wollen«. Die »Welt« ermunterte die Polizei, »das Notwendige zu tun: zur rechten Stunde einzugreifen«.
Gleichwohl wird die rechte Stunde vielleicht gar nicht schlagen. Polizeipräsident Redding jedenfalls will sich »durch Zeitungsberichte nicht zu unvernünftigem Handeln verleiten« lassen. Ihm geht es »weniger um 'Ruhe und Ordnung', sondern um öffentliche Sicherheit«. Und die sieht er einstweilen nicht in Gefahr.
So beschränken sich seine Beamten auf Patrouillenfahrten durchs Sanierungsquartier: Versorgungsgänger aus dem vernagelten Haus werden nur auf Personalien und Waffen kontrolliert, Lebensmitteltransporte bleiben ungeschoren. Auch vor knüppelschwingenden Stoßtrupps« gleich zu Beginn der Besetzung, reagierten die Polizisten gelassen. Redding: »Manchmal meinten wir, sie suchten den Krawallpunkt. Aber den Gefallen tun wir ihnen nicht.«
Vielmehr setzt die Polizeiführung darauf, daß die Besatzer mit der Zeit den Schwung verlieren und ihre Aktion »austrocknet« (Redding). Das Kalkül könnte aufgehen. Bisher haben sich nach Reddings Urteil die Eindringlinge, die martialisch kostümiert Bürgerschreck verbreiten, nichts zuschulden kommen lassen außer »Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung« -- Delikte, die nur auf Antrag der Betroffenen verfolgt werden. Und die betroffene »Bewobau« verfolgt die gleiche Taktik wie die Polizei. »Bewobau«-Sprecher Siegfried Gerigk: »Wenn man die rausprügelt, was soll's?«
Diskretion statt Prügelei wünscht die »Neue-Heimat«-Tochter aus guten Gründen. Sie hatte im alsternahen Hohenfelde Altbauten mit 111 Wohnungen aufgekauft und den Mietern gekündigt. Hier will sie bis zu 19stöckige Wohntürme mit rund 500 Eigentumswohnungen hochziehen; Quadratmeterpreis: etwa 3000 Mark.
An diesem Projekt entzündete sich abermals die soziale Problematik der Stadterneuerung: Wo immer Sanierung not tut, treiben vor allem die überteuerten Bodenpreise in den Kerngebieten die Baukosten in die Höhe und die minderbemittelten Mieter aus den angestammten Quartieren. Und häufig führen vorzeitige Kündigungen zu zusätzlichen sozialen Härten und öffentlichem Ärgernis.
Bis heute wurde die Baugenehmigung für das umstrittene Vorhaben von Hohenfelde nicht erteilt. So stehen seit langem Häuser leer. die noch auf Jahre hinaus bewohnbar wären -- eine Situation, die in politisch sensibleren Kommunen wie Frankfurt prompt Massenprotest ausgelöst hätte.
In der eher behäbigen Hansestadt aber müht sich schon seit vorigem Jahr die Initiative von Hohenfelder Alteingesessenen und Neumietern, Bürger und Behörden gegen die »Bewobau« aufzubringen. Das Echo blieb schwach.
Selbst das Spektakel von der Ekhofstraße konnte kaum jemanden in Oster-Unruhe versetzen. Der Aufruf der Haus-Eroberer ("Solidarisiert Euch mit uns -- Zahlt die Mieten nicht -- Besetzt Häuser") wurde nicht erhört, nicht mal auf der Linken: Die Mieter-Initiative applaudierte nur matt und beklagte zugleich den »unangemessenen Aufwand« der Schwarzhelme. Hamburger Studenten und Jusos demonstrierten zwar letzte Woche -- doch nur gegen die geplante Tariferhöhung der Verkehrsbetriebe.
Zu den unmittelbaren Nachbarn schließlich wollte sich Solidarität ebenfalls nicht einstellen, und so mußten die Eindringlinge um Schönwetter bitten. Per Flugblatt prahlten sie mit guten Taten -- an einer »alten Dame«, die sich durch Hämmern gestört fühlte ("Wir haben ihr Blumen gebracht"). oder an den motorisierten Mitbewohnern: »Wir blockierten die Einfahrt zu den Garagen im Hof ... Deshalb haben wir die Barrikade wieder weggeräumt.«