OSTBLOCK / MOSKAU-PEKING Blumen verwelken
Wir haben 25 Jahre lang Krieg geführt«, prahlte Chinas Parteichef Mao Tse-tung am 10. Juli in einem Gespräch mit japanischen Sozialisten. »In diesen 25 Jahren hat das chinesische Volk mehrere Dutzend Millionen Tote und Verwundete verloren. Was den Krieg auf dem Papier angeht, so gibt es in diesem Krieg keine Toten. Wir sind bereit, diesen Krieg noch weitere 25 Jahre zu führen.«
Am Freitag vorletzter Woche beantwortete der Kreml Maos Papierkriegsdrohung mit einer förmlichen Kriegserklärung: Auf zwei Druckseiten im Großformat veröffentlichte die parteiamtliche »Prawda« 18 Thesen des Moskauer Instituts für Marxismus-Leninismus zum roten Ideologienstreit.
Darin werden - drei Monate vor einer geplanten Ideologenkonferenz am 15. Dezember in Moskau - die chinesischen Kommunisten zum »Hauptfeind« in der kommunistischen Weltbewegung erklärt und die Gründung einer neuen, nach Moskau orientierten Kommunistischen Internationale in Aussicht gestellt.
1919 war die erste Kommunistische Internationale (Komintern) von Lenin gegründet worden. Bald entwickelte sich die Komintern zu einem internationalen Verschwörerzentrum zur Förderung der Weltrevolution. Ihre Agenten zettelten Streiks, Unruhen und Sabotageakte an. Seit 1928 geriet die Komintern zunehmend unter russischen Einfluß. An die Stelle der internationalen Parteiräson trat die russische Staatsräson. Stalin setzte ausländische KP-Führer nach eigenem Gutdünken ein oder ab und löste ganze Parteien, wie die polnische Vorkriegs-KP, wegen angeblich trotzkistischer Umtriebe einfach auf. Erst 1943 liquidierte Stalin die Komintern aus taktischen Gründen - mit Rücksicht auf seine kapitalistischen Verbündeten im Westen.
Zum ersten Male tauchte der Plan einer Neugründung der Komintern bei einer Ungarn-Visite des sowjetischen Parteichefs in diesem Jahr auf. Bei einer Festveranstaltung in der Budapester Oper Anfang April forderte Chruschtschow die sowjetischen Satellitenparteien zu einer besseren Koordinierung ihrer Beziehungen zu Moskau auf.
Der Kremlchef begründete seinen Appell mit der Notwendigkeit, die von den Chinesen bedrohte monolithische Einheit des Weltkommunismus wiederherzustellen. Das konnte aber erst nach einer kollektiven Beratung der KP -Internationale geschehen.
Am 15. Juni stellte Chruschtschow den Chinesen ein Ultimatum: »Wir halten es für notwendig, sich schon in allernächster Zeit über den Zeitpunkt für die Einberufung einer Konferenz mit den Bruderparteien zu einigen.«
Auf einer solchen Konferenz hofft Chruschtschow eine genügend große Mehrheit für die Neugründung der Kommunistischen Internationale zusammenzubekommen. Ihre erste Amtshandlung wäre dann die Exkommunizierung der gelben Ketzer und damit die Wiederherstellung der russischen Vormachtstellung im Weltkommunismus.
Maos Antwort kam am 28. Juli. Sie bestand aus über 10 000 chinesischen Schriftzeichen und attackierte mit schneidendem Hohn die Moskauer »Spalterkonferenz": »Wir sind fest davon überzeugt, daß ihr an dem Tag, an dem diese sogenannte Konferenz zusammentritt, den Schritt in das eigene Grab tun werdet.«
Das Schreiben schloß - einigermaßen ungewöhnlich für ein kommunistisches Parteidokument - mit einer alten chinesischen Spruchweisheit: »Blumen verwelken, das ist der Lauf der Welt; Schwalben kehren wieder, sie sind keine Fremden.«
Chruschtschow würdigte Mao nicht einmal einer Antwort. Bereits zwei Tage später verschickte der Kreml die Einladungen zur Vorbereitung jenes roten Weltkonzils der 90 Parteien, das Mitte 1965 in Moskau selbst auf die Gefahr hin stattfinden soll, daß eine Reihe von Parteien fernbleibt. Zuvor, am 15. Dezember, soll ebenfalls in Moskau eine von 26 Bruderparteien - darunter die chinesische KP und die illegale westdeutsche KPD - beschickte Redaktionskommission zusammentreten, um eine neue Charta des Weltkommunismus auszuarbeiten.
Damit setzte sich der Kremlchef auch über den Letzten Willen des italienischen KP-Chefs Palmiro Togliatti hinweg, der noch auf dem Sterbebett in einem sowjetischen Staatssanatorium auf der Krim den Nutzen des Moskauer Dezembertreffens bezweifelt und sich gegen jeden Vorschlag einer internationalen Einheitsorganisation« ausgesprochen hatte.
Den Sowjets konnten die Unlustgefühle der kleineren Parteien, sich wieder an die Moskauer Kandare nehmen zu lassen, nicht verborgen bleiben. Bis Ende letzten Monats hatten sich erst neun der 26 eingeladenen Parteien bereit erklärt, am 15. Dezember nach Moskau zu kommen.
Da holte der Kreml Anfang September zu einem weiteren propagandistischen Schlag gegen die Widersacher in Peking aus. Das Parteiorgan »Prawda« enthüllte, daß Mao an jenem 10. Juli auch Anspruch auf sowjetische Gebiete in Asien erhoben habe. Ebenso sei die Grenzziehung in Osteuropa von Mao in Frage gestellt worden.
Mao, laut »Prawda": »Die Sowjet -Union hat viel zu viele Gebiete besetzt. Sie eignete sich einen Teil Rumäniens an. Sie trennte einen Teil Ostdeutschlands ab und vertrieb die Einwohner in den westlichen Teil. Sie trennte auch einen Teil Polens ab, verleibte ihn sich selbst ein und gab Polen als Entschädigung einen Teil Ostdeutschlands. Dasselbe geschah mit Finnland. Sie trennte alles ab, was nur abzutrennen war.«
Die Chinesen konterten mit dem Vorwurf, Chruschtschow plane bei seinem bevorstehenden Besuch in Bonn ein »kriminelles politisches Geschäft«. Er wolle die DDR an die kapitalistische Bundesrepublik verkaufen.
Daraufhin billigte Chruschtschow die Veröffentlichung der 18 Parteithesen und empfing am Mittwoch letzter Woche im Kreml eine Abordnung japanischer Parlamentarier, um ihnen mitzuteilen, daß die Sowjet-Union eine »gewaltige neue furchtbare Waffe« besitze, mit der die Menschheit ausgerottet werden könne. Dann kritisierte er die chinesischen Gebietsforderungen als »provokatorisch, antikommunistisch und kriegstreiberisch«.
Chruschtschow: »Unsere Grenze ist heilig und unverletzlich. Jeder Versuch, sie mit Gewalt zu ändern, bedeutet Krieg.«
Süddeutsche Zeitung
Mauer-Maler Chruschtschowinstitut für Marxismus-Leninismus (Moskau)
Schwalben kehren wieder