ÄGYPTEN Blut, Öl und Waffen
Mohammed Heikal, Nassers ehemaliger Chefberater, sieht Ägypten in Gefahr. »Wir stecken in einer Sackgasse«, erklärte er in einem Interview, das die jugoslawische Zeitung »Vecernje novosti« am gleichen Tag veröffentlichte, an dem Ägyptens Präsident Sadat den Freundschaftspakt mit den Sowjets aufkündigte: Ägyptens Kraftquellen, »das arabische Blut, der arabische Wille, das arabische Erdöl, die sowjetischen Waffen« -- all das drohe dahinzuschwinden.
Ob sowjetische Waffen und Berater für Ägypten wirklich unerläßlich sind, bezweifeln die Militärs am Nil schon lange. Die Sowjet-Union, erklärte Vizepräsident Mubarak, ehemals Chef der ägyptischen Luftstreitkräfte, habe ihre »schwächsten Piloten« und »Experten von niedrigem Niveau« nach Ägypten geschickt.
Die Kairoer Zeitung »Al-Gumhurija« lieferte den Ägyptern vor Monaten andere Beispiele sowjetischen Versagens. Von sowjetischen Fachleuten errichtete Betonbunker für Flugzeuge seien zusammengebrochen. Moskauer Experten hätten erklärt, die israelischen Befestigungen am Suezkanal seien nur mit Atombomben zu knacken -- dieselben Wälle, die im Oktoberkrieg 1973 von den Ägyptern mit Hochdruck-Wasserstrahlen durchbrochen wurden.
Unzufriedenheit mit den Sowjets war schon kurz nach dem Abschluß des Freundschaftspaktes im Jahre 1971 entstanden; ein Jahr danach konstatierte Ägyptens Präsident Sadat »Differenzen unter Brüdern« und mahnte versprochene Waffenlieferungen in Moskau an. Als das Kriegsgerät nicht eintraf, schickte er im Juli 1972 15 000 sowjetische Berater nach Hause, nur 200 sind heute noch im Land.
Seither verschlechterten sich die Beziehungen zwischen Kairo und Moskau ständig. Die ägyptische Presse warf dem Kreml vor, den Spannungszustand in Nahost aufrechtzuerhalten, um die eigene Präsenz zu rechtfertigen.
Bei der kriegsmüden ägyptischen Bevölkerung sank das Ansehen der verschlossenen, sich steif gebenden Russen. Trotz sowjetischen Protests lief mit Riesenerfolg in einem Theater Kairos ein Stück, das den Besuch einer sozialistischen -- gemeint sowjetischen -- Delegation in einem ägyptischen Dorf schildert. Die schlauen Ägypter legen dabei die unbeholfenen Ratgeber immer wieder herein.
Ägyptens Präsident Anwar el-Sadat läßt keine Gelegenheit vorübergehen, die Sowjets lächerlich zu machen. In einer öffentlichen Rede schilderte er im vorigen Herbst, wie sich ein sowjetisches Waffenschiff auf dem Mittelmeer offenbar verirrt habe und deshalb fünf Tage verspätet in Alexandria eintraf.
Aus Mangel an Ersatzteilen würden die sowjetischen Waffen in 12 bis 18 Monaten zu »reinem Schrott«. Sadat beschuldigte vorige Woche die Sowjets sogar, sie hätten Druck auf Indien ausgeübt, den Ägyptern keine der dort in Lizenz hergestellten Waffen-Ersatzteile zu liefern. Indiens Regierung erklärte dazu, sie habe unmöglich den Ägyptern helfen können, ohne die eigenen Beziehungen zu Moskau zu gefährden -- und brüskierte damit ihrerseits die Sowjets.
Schon seit langem prüfen die Ägypter, ob ihre 1000 sowjetischen Panzer mit britischen Dieselmotoren und amerikanischen 105-Millimeter-Geschützen ausgerüstet werden können, ob italienische Elektronik in ägyptischen Migs israelische Raketen ablenken könnte.
Vor allem aber braucht Sadat den Westen, um Ägypten vor einer Wirtschaftskatastrophe zu bewahren: Auslandsschulden von rund 30 Milliarden Mark, ein Budget-Defizit von 15 Milliarden allein in diesem Jahr, 20 Prozent Inflation bei Durchschnittslöhnen von etwa hundert Mark im Monat.
Der Westen aber wäre nicht willens, so offenbar das Kalkül der Ägypter, einem Land beizustehen, das Moskau durch einen Freundschaftsvertrag verbunden ist. Dies soll Sadat bei seinem letzten USA-Besuch bedeutet worden sein.
Tatsächlich hat US-Präsident Ford unmittelbar vor Sadats Anti-Moskau-Rede eine 600 Millionen-Dollar-Hilfe zugesagt -- als existenznotwendige Soforthilfe nicht genug für ein Land am Rande des Bankrotts. Selbst die Ölscheichs sind sparsamer geworden. Sadat konnte bei seiner jüngsten Golf-Tour nur 450 Millionen Dollar locker machen.
So sollen die Deutschen helfen, für die Sadat seit je freundschaftliche Gefühle hegte und im Weltkrieg II Verbindungen zur Abwehr unterhielt.
Doch auch die Deutschen haben keine überflüssigen Milliarden mehr in der Kasse. Kritiker wie Heikal werfen dem Präsidenten vor, er habe mit den Russen gebrochen, bevor er etwas Handfestes dafür eingehandelt hatte. Die USA, so Heikal, wollten Ägypten nur isolieren, um Israel zu unterstützen. Moskaus Tass wertete den Bruch als »neue Erscheinung der unfreundlichen Politik« Sadats gegenüber der Sowjet-Union.
Ungeteilten Beifall erhielt Ägyptens Präsident nur aus Peking: »Bankrott des sowjetischen Hegemonie-Strebens in Ägypten«, jubelte die Nachrichtenagentur »Hsinhua«. Ägyptens Parlament will nun sogar einen ägyptischchinesischen Freundschafts-Ausschuß gründen.