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INDIZIEN Blutiger Irrtum

aus DER SPIEGEL 37/1966

Ein halbes Jahrhundert nachdem der

deutsche Serologe Paul Uhlenhuth ein noch heute gängiges Verfahren zur Unterscheidung von Menschen- und Tierblut entwickelt hatte, zog der Gerichtsmediziner Professor Dr. med. Kurt Böhmer eine fleckige graue Cordhose über den Labortisch. In den Flecken entdeckte er: »Menschenblut.«

Gegen den Hosenträger erließ das Amtsgericht Düsseldorf Haftbefehl. Der Vertreter Erich von der Leyen stand unter Verdacht des Mordes - begangen in der Nacht vom 7. auf den 8. Februar 1956 an dem Liebespaar Hildegard Wassing und Peter Falkenberg.

Der gelernte Landwirt konnte für die Tatzeit kein einwandfreies Alibi beibringen. Zudem kam der Polizei Klatsch zu Ohren, von der Leyen sei einst mit einer Mistgabel auf spielende Kinder losgegangen - nichts Handgreifliches. Das Hosen-Indiz aber schien verhängnisvoll für von der Leyen.

Denn sowohl an seiner Hose als auch auf den Sitzen seines Volkswagens klebten Reste, die laut Professor Böhmer Menschenblut der Gruppe B darstellten. Blut der Gruppe B hatte der ermordete Peter Falkenberg gehabt.

Leyen bestritt die Tat von vornherein. Er gab bei der polizeilichen Vernehmung zu bedenken, das Blut auf Hose und Autoschonbezügen könne allenfalls von der läufigen Dackelhündin seiner Freundin stammen, die er vier Tage nach dem Mord spazierengefahren habe.

So wagte die Polizei eine Rückfrage bei dem als temperamentvoll geltenden Professor Böhmer, Direktor des Instituts für Gerichtliche Medizin an der Medizinischen Akademie Düsseldorf. Böhmer: Menschenblut. Von der Leyen: Dackelblut.

In dieser Situation entschloß sich der Leiter der Düsseldorfer Kripo, Dr. Bernhard Wehner, zu einem ungewöhnlichen Schritt. Er bat den damaligen Leiter der Biologischen Abteilung des Bundeskriminalamtes (BKA) in Wiesbaden, Dr. Otto Martin, um eine Überprüfung des Böhmer-Befundes.

Was dann geschah, schildert der Erfolgs-Autor Jürgen Thorwald ("Das Jahrhundert der Chirurgen") in seinem jüngsten Buch »Die Stunde der Detektive"*, das dieser Tage erscheint: »Am späten Abend des 9. März klingelte bei Wehner das Telephon. Aus Wiesbaden meldete sich Martin: Bei dem Blut an der Hose von der Leyens handele es sich unter gar keinen Umständen um Menschenblut. Es sei Hundeblut, das außerdem mit Scheidenepithelien vermischt sei und von einem läufigen Tier stammen konnte.«

Nach 16tägiger Untersuchungshaft wurde von der Leyen entlassen. Was ihn hinter Gitter gebracht hatte, war ein laut Thorwald schwerwiegender Irrtum« des zeitweiligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Gerichtliche und Soziale Medizin Dr. med. Böhmer. Diesen Irrtum breitet Thorwald, der einst die altersbedingten Skalpell -Schnitzer des Chirurgen Ferdinand Sauerbruch enthüllte ("Die Entlassung"), jetzt mit Akribie aus - sieben Jahre nach dem Tode Böhmers, und zehn Jahre nach dem Vorkommnis.

Damals bestätigte Böhmers Institut nur in einer »etwas verklausulierten Mitteilung« (Thorwald) seinen Irrtum: Ursache der Fehlleistung sei eine offensichtlich falsche Reaktion des Serums gewesen, das man bei der Blutartbestimmung gemäß der sogenannten Uhlenhuthschen Präzipitinreaktion verwandt habe.

Eben dieses Serum hatte auch BKA -Biologe Martin verwendet, und er war zu einem richtigen Untersuchungsergebnis gelangt. Thorwald weist darauf hin, daß es seit Uhlenhuths Tagen eine Kontrollvorschrift gibt, wonach es »jedem serologischen Untersucher zur Pflicht gemacht ist, jedes Serum vor seiner Anwendung nochmals auf seine Spezifität zu prüfen«. Das hatte Böhmer offensichtlich nicht getan, denn »für denjenigen, der diesen Regeln entsprechend arbeitete, konnte es keine Irrtümer durch unzulängliche Seren geben«.

Drei Tage nach von der Leyens Freilassung äußerte sich Gerichtsmediziner Böhmer in einem Brief an einen Heidelberger Kollegen zu einem anderen Kriminalfall. In dem Schreiben, das Thorwald »einen undiskutablen Schlußpunkt unter eine undiskutable Affäre« nennt, vermerkte der Professor unter anderem: Er fürchte, das Ansehen der gerichtlichen Medizin werde nicht dadurch gefördert, wenn in der Presse die Meinung vertreten werde, daß ein Professor in gerichtsmedizinischen Dingen »überhaupt nachprüfbar« sei.

Böhmer: »Denn wenn man dies zugibt, dann muß man von vornherein zugeben, daß einem Ordinarius der gerichtlichen Medizin Fehler unterlaufen können, die der Nachprüfung zugänglich sein können. Ich bin aber der Ansicht, daß dies bei uns gar nicht der Fall sein kann...«

* Jürgen Thorwald: »Die Stunde der Detektive«. Droemersche Verlagsanstalt, München; 576 Seiten; 29,50 Mark.

Autor Thorwald

Ist ein Professor ...

... überhaupt nachprüfbar?: Gerichtsmediziner Böhmer, BKA-Biologe Martin

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