BND: »Die Welt ist voller Wunder«
Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes erledigte die Weisung aus Bonn pflichtgetreu, aber mit amtsüblicher Zurückhaltung. In einem 18seitigen Brief erstattete Generalleutnant Gerhard Wessel seinem politischen Vorgesetzten, dem sozialdemokratischen Chef des Bundeskanzleramtes, Bericht über die geheimen Waffengeschäfte des BND.
Was Wessel über den verschwiegenen Handel der Pullacher mit Kriegsgerät niederschrieb, liegt seit nunmehr fünf Jahren in den Panzerschränken des Bundeskanzleramtes unter Verschluß.
So brisant fand der Empfänger des Dokuments, Willy Brandts damaliger Staatssekretär Horst Grabert, den Inhalt des Wessel-Rapports, daß er ihn auf keinen Fall nach außen dringen lassen wollte. Und auch heute noch hält Graberts Nachfolger, Helmut Schmidts Kanzleramts-Chef Manfred Schüler, das Papier sorgfältig zurück.
Der Sozialdemokrat erweist mit seiner Diskretion vor allem der Opposition einen Dienst. Denn Wesseis Bericht könnte den Kandidaten der Unionsparteien für das Amt des Bundespräsidenten, Karl Carstens, belasten.
Die Vorgänge, die der BND-Chef damals aufzählte, datieren im wesentlichen aus der Regierungszeit der CDU-Kanzler Ludwig Erhard und Kurt Georg Kiesinger, denen Karl Carstens als Staatssekretär in verschiedenen Ressorts diente. Die Bilanz der Waffengeschäfte des BND ist ein Dokument für die Doppelbödigkeit der Bonner Politik in der Nach-Adenauer-Ära.
Während der gesamten sechziger Jahre, so enthüllte der BND-Präsident, inszenierte der Geheimdienst ein riskantes Kontrastprogramm zur offiziellen deutschen Außenpolitik. In der Zeit der Großen Koalition, die Christ- und Sozialdemokraten von 1966 bis 1969 miteinander eingegangen waren, wickelte der von CDU-Politikern im Kanzleramt beaufsichtigte Dienst Waffentransaktionen ab, die dem Entspannungskurs des SPD-Außenministers Willy Brandt völlig zuwiderliefen.
Wessels Brief machte erstmals amtlich, welchen Umfang der Waffenhandel des mächtigsten deutschen Geheimdienstes bis Anfang 1970 angenommen hatte. Gerade in jenen Jahren, von 1966 an, war Carstens zunächst Staatssekretär im Verteidigungsministerium, das dem BND die zum Export bestimmten Waffen und Geräte der Bundeswehr überließ. 1968 dann wechselte der Unionsmann als Chef ins Bundeskanzleramt, wo er die Dienstaufsicht über Pullach führte.
Gleichwohl war Carstens angeblich ahnungslos. Vor dem Untersuchungsausschuß des Deutschen Bundestages zur Aufklärung der Guillaume-Affäre beteuerte der gegenwärtige Bundestagspräsident, er habe nichts davon gewußt, daß der Dienst am Waffenhandel beteiligt war.
In einem Revisionsurteil hat ihm der Bundesgerichtshof inzwischen attestiert, es gebe »gewichtige Anhaltspunkte« dafür, daß Carstens falsch ausgesagt habe.
Die Geschäfte, von denen der Ex-Staatssekretär und frühere BND-Aufseher nichts gewußt haben will, waren zwielichtig genug.
Denn laut Wessel lieferte der BND über die Firma Dobbertin in Hamburg ab 1966 deutsches Kriegsmaterial in Krisenherde der Weltpolitik, ohne Rücksicht auf die offizielle Regierungsmaxime, wonach die Bundesrepublik keine Waffen in Spannungsgebiete exportiert.
In seinem Bericht beschränkt sich Wessel auf die »bedeutenderen Geschäfte« der BND-Partnerfirma. Danach gingen über Dobbertin »Waffen und Geräte«
* an Nigeria, von 1967 bis 1970 Schauplatz des blutigen Biafra-Bürgerkrieges mit zwei Millionen Toten; die Deutschen belieferten beide Bürgerkriegsparteien unter anderem mit Munition und G3-Gewehren, dem Standardmodell der Bundeswehr;
* an Rhodesien, obwohl sich die Bundesrepublik dem im Dezember 1966 von der Uno verhängten Handelsembargo gegen das Regime von lan Smith angeschlossen hatte und schwarze Nationalisten sich erste Kämpfe mit der weißen Minderheit lieferten;
* an Südafrika, das schon in jener Zeit als Apartheid-Staat international verrufen war; dennoch widersprach noch 1970 die Bundesregierung offiziell dem Vorwurf der Organisation für Afrikanische Einheit (OAU), Bonn habe durch Waffenlieferungen zur Unterdrückung der schwarzen Südafrikaner beigetragen;
* an Griechenland, wo seit 1967 eine Militärdiktatur jede demokratische Opposition niederhielt; am 2. April 1968 hatte der Deutsche Bundestag die Regierung aufgefordert, der Junta keine Militärhilfe zu gewähren;
* an Jordanien, seit Gründung Israels in kriegerische Konflikte mit dem gleichfalls von Bonn aufgerüsteten Judenstaat verwickelt.
Als letzten Punkt der Dobbertin-Geschäfte verriet Wessel eine besonders aufregende Operation. Die Firma habe »eine Uranprobe im Gegenwert von 1750 DM an die Volksrepublik China« geliefert und Peking zugleich »weitere zwanzig Tonnen« Uran offeriert.
In allen diesen Fällen, so umschrieb der Geheimdienst-Chef vorsichtig die Verwicklungen seines Dienstes in den anrüchigen Handel, müsse davon ausgegangen werden, »daß sich der BND einschaltete«.
Auf detaillierte Angaben mochte sich Wessel hingegen nicht einlassen. So ließ er seinen sozialdemokratischen Dienstherrn im Kanzleramt im unklaren darüber, ob die Pullacher nach der Uranprobe auch noch die angebotenen zwanzig Tonnen nach Peking verfrachteten.
Das BND-Spiel mit dem atomaren Feuer fiel in eine besonders sensible Phase der internationalen Politik. Kurz zuvor erst waren die Chinesen mit der Zündung ihrer ersten A-Bombe im Jahre 1964 zur Nuklearmacht aufgestiegen; in Moskau gab es kaum verhüllte Überlegungen, mit einem gezielten Präventivschlag das Atomzentrum des Erzfeindes auszulöschen, und am Grenzfluß Ussuri schossen Russen und Chinesen aufeinander.
In Bonn bereitete Willy Brandt derweil seine ostpolitische Entspannungs-Offensive vor und warb bei den Sowjets um Vertrauen für die Deutschen. Wäre das Doppelspiel der Bonner und ihres Geheimdienstes mit Moskau und Peking den Sowjets bekannt geworden -- Brandts Ostpolitik hätte schon im Ansatz scheitern können.
Als grotesk mutet zudem nachträglich der BND-Flirt mit Peking an, da im Wahlkampf 1969 CDU-Kanzler Kiesinger mit dem Ruf: »Ich sage nur China. China, China« die deutschen Wähler zu schrecken suchte.
Erst vier Jahre nach dem Bonner Machtwechsel erfuhr die sozialliberale Koalition den vollen Umfang der BND-Geschäfte.
Der Bericht Wessels, Seite für Seite »Streng geheim« gestempelt, trägt den Briefkopf »Bundesnachrichtendienst« und ist an den »Chef des Bundeskanzleramtes, zu Händen Herrn Min-Dirigenten Schlichter« gerichtet.
Der damalige Amtschef Grabert vertritt heute die Bundesrepublik als Botschafter in Wien, Schlichter ist immer noch für die Geheimdienste zuständig und in Vertretung von Kanzleramts-Staatssekretär und Geheimdienstkoordinator Manfred Schüler Aufseher des BND.
Der Brief vom 6. Dezember 1973 beginnt mit den Waffen-Geschäften der von Pullach angeheuerten Bonner Exportfirma Merex.
Größter Merex-Coup: Mit Hilfe gefälschter Papiere verschoben die Händ-Ler 1965 im Auftrag des BND ausgemusterte deutsche Waffen im Wert von 38 Millionen Dollar in eines der damaigen Hauptkrisengebiete -- nach Pakistan, seit September 1965 mit Indien im Krieg.
So flogen Bundeswehr-Piloten 89 von der Luftwaffe abgestoßene Maschinen vom Typ F-86 »Sabre«-Jet, die laut Ausfuhrgenehmigung nur nach Persien geliefert werden durften, zum Iranischen Feldflughafen Bahbati. Pilten anderer Nationalität steuerten die Maschinen dann weiter nach Pakistan.
Um die gleiche Zeit verschiffte der Merex-eigene Frachter »Billetal« 28 ausrangierte Düsenflugzeuge des Typs »Seahawk«, die laut Exportpapieren in Italien bleiben sollten, an Pakistans Kriegsgegner Indien. Schwesterschiff »Werratal« löschte derweil Raketen und sonstiges Kriegsmaterial in Saudi-Arabien -- und nicht, wie beantragt und genehmigt, in einem englischen Hafen.
Verbindungsmann des BND bei all diesen Merex-Geschäften war der Regierungsdirektor Erwin Hauschildt alias Dr. Köster alias Dr. Hermsdorf alias Dr. Winter. Der Mann mit den vielen Namen erledigte die Sicherheitsüberprüfungen, hielt Verbindung zu dem Speditionsunternehmen Schenker & Co., zum Versicherungskonzern Gerling und zur Deutschen Bank und beschaffte in wenigen Tagen die Ausfuhrgenehmigungen für die heiße Ware beim Wirtschaftsministerium und beim Amt für gewerbliche Wirtschaft in Eschborn bei Frankfurt.
Nachdem eine indische Zeitung die Merex-Geschäfte mit dem »Sabre«-Jet enthüllt hatte, zeigte sich die amerikanische Regierung über das Bonner Solo pikiert: Die Vereinigten Staaten hatten nach Ausbruch des indisch-pakistanischen Konflikts beschlossen, den kriegführenden Parteien keinerlei militärische Ausrüstung zukommen zu lassen.
Im Frühjahr 1967 stellte sich überdies in einem Hearing im Unterausschuß für Nah- und Fernostfragen des US-Senats heraus, daß Bonns Verbündete hinters Licht geführt worden waren. Die »Sabre«-Jets hatte ursprünglich Kanada an die Deutschen geliefert -- aber mit der Auflage, jeder Weiterverkauf müsse zuvor genehmigt werden. Die Bundesregierung erhielt von den Kanadiern auch die erforderliche Erlaubnis -- jedoch für den Export in den Iran, nicht für Pakistan.
Als die Merex in die Schlagzeilen geriet und internationale Verwicklungen drohten, beendete der BND auf Weisung des Kanzleramtes seine Geschäftsbeziehungen zu der Firma. Zwar wickelte Merex bis 1970 noch alte Geschäfte ab, aber im Sommer 1966 engagierte der BND einen neuen Partner, die Hamburger Exportfirma Dobbertin.
Geheimdienst-Chef Wessel begründete den Geschäftswechsel vor dem Vertrauensmännergremium des Bundestages am 20. Mai 1976 so: »Ich war damals der Auffassung, daß wir, da die Firma Merex mehr und mehr einen Hautgout bekam, versuchen sollten, mit einer anständigen Firma diesen Aufklärungszweig weiter zu betreiben.«
* Mit Bundeskanzler Kiesinger bei einer Kabinettssitzung.
Wie aus Wessels Brief an das Bundeskanzleramt hervorgeht, knüpfte der BND die Beziehungen zu Dobbertin über den Vorsitzenden der Geschäftsführung, Mortimer von Zitzewitz. und den ehemaligen Hitleradjutanten und Wehrmacht-Generalleutnant Gerhard Engel.
Engel war damals Geschäftsführer der Werkzeug-Außenhandel GmbH, einer Dobbertin-Tochter, die sich ebenfalls im Rüstungsgeschäft betätigte. Der General war zudem Mitarbeiter des deutschen Geheimdienstes: Er stand schon in Diensten der Organisation Gehlen, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Auftrag der Amerikaner die Ost-Spionage der alten OKH-Abteilung »Fremde Heere Ost« weiterführte. Wessel selber bestätigte dem Kanzleramt, daß Engel von 1948 bis 1965 »in Beziehung« zum BND stand.
Die Kontakte zwischen BND und Dobbertin, von Engel angebahnt, entwickelten sich für das 1912 gegründete angesehene Hamburger Handelshaus rasch zu einem florierenden Geschäftszweig, so daß die Pullacher Zentrale es schon bald für nötig hielt, einen eigenen Mann in den Dobbertin-Vorstand zu schicken.
Die Wahl fiel auf Erwin Hauschildt, einen vielseitigen BND-Agenten, der schon bei Merex mitgemischt hatte und in den siebziger Jahren als Führungsmann des für den BND schnüffelnden CDU-Abgeordneten Julius Steiner von sich reden machte. Steiner hatte 1973 dem SPIEGEL offenbart, ein lahr zuvor beim konstruktiven Mißtrauensvotum gegen Willy Brandt nicht für Rainer Barzel gestimmt und als Doppelagent für die DDR und den BND gearbeitet zu haben.
Über die Verwendung Hauschildts bei Dobbertin sagte Wessel 1976 vor dem Vertrauensmännergremium des Deutschen Bundestages aus: »Zur Steuerung nachrichtendienstlicher Operationen und Verbindungen aus dieser Firma heraus wurde der Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes Dr. Hauschildt mit Wirkung vom 1. Mai 1969 als stellvertretender Vorsitzender der Geschäftsführung der Firma Verwaltungsgesellschaft Dobbertin unter Wegfall der Dienstbezüge für die Dauer von fünf Jahren beurlaubt.«
Und der BND-Chef machte auch aktenkundig, daß er die enge Liaison zu Dobbertin keineswegs im Alleingang, sondern mit Wissen der Kanzleramtsspitze einging. Karl Carstens, von Januar 1968 bis Herbst 1969 Staatssekretär im Palais Schaumburg, wußte Bescheid; er bekam die Akte Hauschildt 1969 auf seinen Schreibtisch.
Wessel: »Dieser Beurlaubung (von Hauschildt) gingen eine Reihe von Schreiben und Anträgen voraus, auch persönliche Vorträge von mir bei dem Herrn Chef des Bundeskanzleramtes.« Wessel erinnerte sich präzise, daß »der Herr Chef des Kanzleramtes auf Grund meines Vortrages und der dann folgenden schriftlichen Vorlage dieser Beurlaubung zugestimmt hat«.
Carstens will sich gleichwohl an nichts erinnern. Vor dem Untersuchungsausschuß erklärte er im Oktober 1974: »Tut mir leid, Dobbertin Hamburg sagt mir nichts.«
Als der frühere stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Günther Metzger daraufhin behauptete, Carstens habe »die Unwahrheit gesagt«, ging der Unionsmann gerichtlich gegen ihn vor. Nachdem er in zwei Instanzen obsiegt hatte, lief Carstens Anfang Oktober schließlich beim Bundesgerichtshof auf: Die Karlsruher attestierten dem Bundestagspräsidenten, daß »gewichtige Gründe jedenfalls für eine objektive Falschaussage bestehen«.
Und die Entsendung Hauschildts zur Firma Dobbertin dient den Richtern gar als Indiz dafür, daß auch für »die subjektive Tatseite einer Falschaussage erhebliche Anhaltspunkte« gegeben seien: Die Beurlaubung des BND-Beamten sei ein so »außergewöhnlicher Vorgang gewesen ... der als solcher nicht ohne weiteres dem Gedächtnis entschwindet«.
Doch Dementis, Erinnerungslücken und Vertuschungsversuche sind seit jeher üblich gewesen, wenn es darum ging, Regierungsmitwirkung bei den geheimen Operationen des BND zu verschleiern.
Schon am 25. März 1966, als der damalige SPD-Oppositionsabgeordnete Gerhard Jahn erstmals öffentlich im Bundestag nach den Merex-Geschäften fragte, gab Verteidigungs-Staatssekretär Karl Gumbel eine falsche Auskunft: »Brauchbares überschüssiges Bundeswehrmaterial ist im Bereich des vorderasiatischen Raumes lediglich an die iranische Regierung geliefert worden.«
Nachdem die Sozialdemokraten noch im selben Jahr mit der Union die Große Koalition eingegangen waren, beteiligte sich derselbe Gerhard Jahn, nunmehr Parlamentarischer Staatssekretär in Willy Brandts Auswärtigem Amt, selber an der Verdunkelung der Affäre. »Es ist unzutreffend«, so beschied er den freidemokratischen Oppositionsabgeordneten Hans-Dietrich Genscher am 24. Oktober 1967, »daß an den Iran verkaufte Kampfflugzeuge nach Pakistan geliefert wurden.« Auch nach 1969 unternahmen die neuen sozialliberalen Regenten nichts, was zur Aufklärung der alten Affäre hätte beitragen können. Der damalige Kanzleramtsminister Horst Ehmke verweigerte der gegen Merex ermittelnden Staatsanwaltschaft gar Akteneinsicht, Auskünfte und Aussagegenehmigungen. Das Verfahren endete mit einem Freispruch für die Angeklagten.
Und im Zivilstreit Carstens gegen Metzger lehnte der amtierende Kanzleramtschef Manfred Schüler die Aussagegenehmigung für alle Beteiligten ab.
Der Schluß liegt nahe, daß alle Parteien in die dunklen Geschichten verwickelt sind. Tatsächlich war Anfang des Jahres 1966, als die Unionschristen noch allein regierten, auch die damalige Opposition, wie Regierungspolitiker heute einräumen, »in großen Umrissen« ins Vertrauen gezogen worden.
Für die Täuschungsmanöver der Firma Merex hatten in den verschiedenen Ressorts die CDU/CSU-Verantwortlichen sogar eigene Initiativen entwickelt. So stammte nach Aussage eines BND-Mannes die Anregung, die für Saudi-Arabien bestimmten Waffen über den Iran zu leiten, aus dem Verteidigungsministerium. Das AA steuerte den Vorschlag bei, eine für Indien bestimmte Lieferung nicht durch ein Endverbleibszeugnis aus Italien, sondern aus einem anderen Land zu tarnen.
Der Kreis der Eingeweihten in den Bonner Ministerien war freilich klein: Neben den zuständigen Referenten gehörten dazu auch die Staatssekretäre des Auswärtigen Amtes, des Verteidigungs-, Wirtschafts- und Verkehrsministeriums.
Wie BND-Chef Wessel in seinem Brief 1973 bestätigte, reichte die Beteiligung »bis zur Staatssekretärsebene«; in einzelnen Fällen habe der BND auch das Kanzleramt schriftlich unterrichtet. An den politischen Schaltstellen, von denen die Waffengeschäfte vorbereitet und gesteuert wurden, saß stets der Mann, der sich heute an nichts erinnert: Karl Carstens war von 1960 bis 1966 Staatssekretär des Auswärtigen Amtes, 1966 und 1967 Staatssekretär des Verteidigungsministeriums, 1968 und 1969 schließlich Chef des Bundeskanzleramtes.
In seiner Funktion als Gehilfe von Kanzler Kurt Georg Kiesinger zeichnete Carstens nachweislich zwei Vermerke ab, die sich mit den BND/Merex-Aktivitäten aus den Jahren 1964 bis 1967 beschäftigen. Nachweislich wußte Carstens auch von der Entsendung Hauschildts zur Firma Dobbertin nach Hamburg.
Noch gibt es keine letzten Beweise dafür, daß Carstens auch über die Waffenlieferungen an Nigeria, Rhodesien, Südafrika, Griechenland und Jordanien sowie über das Uran-Angebot an China Bescheid wußte.
Doch schafft vielleicht das Oberlandesgericht Köln, das jetzt auf Weisung des Bundesgerichtshofes den Prozeß Carstens gegen Metzger neu verhandeln muß, endgültig Aufklärung. Staatssekretär Manfred Schüler hat angeboten, durch »amtliche Auskünfte« bei der Wahrheitsfindung behilflich zu sein.
»Das klingt alles sehr abenteuerlich« » meinte Regierungssprecher Klaus Bölling in der vergangenen Woche über die Machenschaften von Geheimdienst, Waffenhändlern und Politikern, »aber die Welt ist voller Wunder in dieser Sphäre.«